PDS - Partei des Grundgesetzes.
Plädoyer für ein klares Profil - nach innen und außen
Grundüberlegungen von Jochen Scholz
 
  
Fast alle Analytiker der Wahlniederlage kommen, bei allen sonstigen Differenzen, zu einer Erkenntnis: 

Der PDS fehlt ein unverwechselbares "Markenzeichen", inhaltlich und in der Außenwirkung, wie es die C-Parteien oder die Liberalen vorweisen können. Ich gehe einen Schritt weiter und behaupte:

Der Partei fehlt auch ein eindeutiges, identitätsstiftendes Koordinatensystem nach innen. 
"Sozialismus" allein ist heute nicht mehr profilscharf genug. 
"Sozialismus" wird von sozialdemokratischen und kommunistischen Parteien aller Richtungen jeweils reklamiert, manche in der PDS reduzieren ihn gar auf "Sommer und Sonne" und selbst der neoliberale Kapitalismus tarnt sich gelegentlich mit verbalen Versatzstücken aus der feindlichen Begriffswelt. "Sozialismus" ist also unscharf geworden und damit nicht mehr als alleinige Flagge geeignet. 
Wenn es richtig ist, dass heute sozialistische Politik das Ziel hat, allen Menschen ein selbstbestimmtes Leben in Würde zu ermöglichen und eine gerechte Welt- und Weltwirtschaftsordnung anstrebt -  die es in der global-kapitalistischen Ausprägung nicht geben kann -  in der die Ursachen für Gewalt minimiert sind, und in der Konflikte auf zivile Art ausgetragen werden, wenn also sozialistische Politik unter den heute herrschenden Verhältnissen so definiert werden kann, gibt es dafür in Deutschland eine kodifizierte Handlungsgrundlage, das Grundgesetz, außerhalb dessen man sich ohnehin politisch ernsthaft nicht bewegen kann, und ich ergänze: darf.

Mir ist bewusst, dass in der DDR aufgewachsene Mitglieder und Sympathisanten der PDS dieses Grundgesetz als fremde Haut empfinden mussten, nachdem es der Westen verhindert hatte, dass 1990 eine neue, gemeinsame Verfassung ausgearbeitet wurde. Inzwischen sind jedoch 12 Jahre vergangen. Das ist Zeit genug zu erkennen: diese Verfassung ist die beste, die vom deutschen Bürgertum jemals hervorgebracht wurde. Ich erinnere an die Äußerungen von Max Reimann zum Abschluss der Arbeit am Grundgesetz im Mai 1949 vor dem Deutschen Bundestag: "Sie, meine Damen und Herren, haben diesem Grundgesetz, mit dem die Spaltung Deutschlands festgelegt ist, zugestimmt. Es wird jedoch der Tag kommen, da wir Kommunisten dieses Grundgesetz gegen die verteidigen werden, die es heute angenommen haben." (vgl. Geschichte der SED, Abriss, S. 208). 

Und hat nicht Gregor Gysi am 16. Oktober 1998 vor dem 13. Deutschen Bundestag fulminant und auf den Punkt genau, in der Debatte über die sog. "Activation Order" der NATO gegen Jugoslawien, den Altparteien genau dieses Grundgesetz so um die Ohren gehauen, dass ihnen dies eigentlich die Schamröte ins Gesicht hätte treiben müssen? Muss man also als sozialistische Partei nicht eigentlich dieses Grundgesetz mit Zähnen und Klauen verteidigen gegen seine Verleumder, Ignoranten und skrupellosen Uminterpretierer? Ist es nicht an der Zeit, zu begreifen, dass dies in solchen Zeiten ein nahezu revolutionärer Akt ist?

Es bietet doch geradezu die Blaupause für sozialistische Politik:
Eine Präambel mit der Verpflichtung zum Weltfrieden beizutragen, demokratische und persönliche Freiheitsrechte,
in Art. 1 die unantastbare Würde des Menschen, die von aller staatlichen Gewalt zu schützen ist, 
Offenheit in der Eigentumsfrage und Bindung des Eigentums an das Gemeinwohl mit Art 14 und 15
Gewaltenteilung, Rechtsstaatlichkeit und Bindung der Gewalten an Verfassung und Recht sowie das Sozialstaatsprinzip in Art. 20 (Durch Art. 79 Abs. 3 mit einer "Ewigkeitsklausel" versehen, weil auch mit Zweidrittelmehrheit nicht veränderbar), 
die antimilitaristische Grundausrichtung in Art 24, 25 und 26 sowie mit der Beschränkung des Streitkräfteeinsatzes auf die Verteidigung (Art. 87a). 
Warum sollte sich die PDS also nicht das Markenzeichen "Partei des Grundgesetzes" anheften und durch ihr Programm glaubhaft unterfüttern? 

Nicht nur in der Außen- und Sicherheitspolitik wäre das Argumentationsfundament stabiler, weil man sich auf einen festumrissenen, soliden Bezugsrahmen stützen könnte. Wenn alle anderen Parteien in den Debatten zur Wirtschafts-, Sozial-, Innen- und Außenpolitik um die essentiellen Verfassungsgrundsätze einen Riesenbogen machen, ist es die Pflicht der PDS, diese Lücken zu besetzen. Die Verbindungslinien zwischen den unterschiedlichen Politikfeldern entstehen dann nahezu von selbst und ein gravierendes Defizit der PDS kann beseitigt werden: Das "Wofür" rückt an die erste Stelle, das "Wogegen" ergibt sich automatisch. Bislang ist das aus meiner Sicht eher umgekehrt. 

In diesem Zusammenhang eine Abschlussbemerkung: Wird das Ziel nicht aus den Augen verloren und auch nicht der Eindruck erweckt, dass Grundpositionen aus opportunistischen Gründen geopfert werden sollen, sollte sich eine sozialistische Partei auch wieder der Dialektik bedienen. 
Ich meine das keineswegs in einem sybillinischen Sinn.

Natürlich kann der Fixpunkt Grundgesetz die noch zu leistende programmatische und konzeptionelle Kärrnerarbeit nicht ersetzen, aber das Fundament wäre so festgemauert, wie in Schillers Glocke. 

(c) Andreas Hauß 2002  http://www.medienanalyse-international.de/index1.html