Pfadfinderfähnlein
 
 
Von: "Jochen Scholz" <scholz-hj@gmx.de> 
An: andreas.schockenhoff@bundestag.de 
CC: eckart.klaeden@bundestag.de 
Betreff: Putin, Polen, Tschechien und NMD oder GMD 

Sehr geehrter Herr Schockenhoff, 

Sie und Ihr Fraktionskollege von Klaeden haben sich in den vergangenen Tagen mit unterschiedlichen Akzenten zur Stationierung von amerikanischen Raketenabwehrsytemen nebst unvermeidlichem Zubehör in Polen und Tschechien öffentlich geäußert. Spürbar wurde dabei das Bestreben, unseren Hauptverbündeten von Vorwürfen zu entlasten, sich mit unlauteren Mitteln strategische Vorteile zu verschaffen, die seine derzeit unangefochtenen militärische Stellung in der Welt konservieren oder ausbauen könnten. Angesichts der Verdienste, die sich die USA nach 1945 aus deutscher Sicht erworben haben bei der Wiedereingliederung eines "rogue states", wie man heute zu sagen pflegt, in die Völkergemeinschaft, ist dies verständlich. Auch ich bin den USA dankbar dafür, dass ich meinen Lebens- und Berufsweg in einer freien Gesellschaft gestalten konnte. Gleichzeitig weise ich darauf hin, dass die Vereinigten Staaten in vielen anderen Teilen der (nichtkommunistischen) Welt bereits vor 1990 ganz anders wahrgenommen wurden, begründet: I 

n Asien und Lateinamerika zumal. 
Im Jahr 2007 düfte es eigentlich keinerlei Zweifel mehr daran geben, dass die Einschätzung des russischen Präsidenten die Absichten der USA voll reflektiert. Die US-Belege hierfür sind zu zahlreich und in ihrer Deutlichkeit nicht zu überbieten. Sie sollten endlich auch von der Partei zur Kenntnis genommen werden, die das Adenauersche Erbe der Westbindung - die damals ihre volle Berechtigung hatte - heute wie eine versteinerte Monstranz vor sich herträgt. Hier eine kleine Auswahl: 

Brzezinski: "Die einzige Weltmacht" 

Wolfowitz: "Rebuilding America´s Defenses", September 2000, Project for the New American Century des AEI 
(Leseprobe: "The United States must develop and deploy global missile defenses to defend the American homeland and American allies, and to provide a  s e c u r e  b a s i s  f o r  US p o w e r p r o j e c t i o n a r o u n d  t h e  w o r l d.") 

Zum Thema NMD/GMD hänge ich Ihnen einen Artikel aus "Foreign Affairs" vom März/April 2006 an: "The Rise of U.S. Nuclear Primacy" 
By Keir A. Lieber and Daryl G. Press 
Auch hier eine Leseprobe, die das aktuelle Thema beleuchtet: 

"If the United States' nuclear modernization were really aimed at rogue states or terrorists, the country's nuclear force would not need the additional thousand ground-burst warheads it will gain from the W-76 modernization program. The current and future U.S. nuclear force, in other words, seems designed to carry out a preemptive disarming strike against Russia or China...... 

..What both of these camps overlook is that the sort of m i s s i l e  d   e f e n s e s that the United States might p l a u s i b l  y  deploy would be valuable primarily in an o f f e n s i v e context, not a defensive one -- as an adjunct to a U.S. first-strike capability, not as a standalone shield. If the United States launched a nuclear attack against Russia (or China), the targeted country would be left with a tiny surviving arsenal -- if any at all. At that point, even a relatively modest or inefficient missile-defense system might well be enough to protect against any retaliatory strikes, because the devastated enemy would have so few warheads and decoys left." 

Die Zeiten haben sich geändert. Heute, nach dem Ende des Kalten Krieges werden keine Geschenke mehr verteilt, heute ist Europa potenzieller Konkurrent, den es ggf. zu schwächen gilt. Heute greift wieder die historische Konstante, die das Kennzeichen noch jeder Weltmacht war: Alle Anderen sind nur als Tributpflichtige willkommen. Brzezinski nennt sie Vasallen. 45 Jahre unter der machtpolitischen Käseglocke sind keine Entschuldigung dafür, dass in Deutschland manch einer die Beziehungen im Bündnis mit einem Pfadfinderfähnlein verwechselt. 
 

Sicher wird Ihnen Ihr Kollege Willy Wimmer gerne seinen Brief an den damaligen Bundeskanzler zur Verfügung stellen, den er - völlig entsetzt - nach der Konferenz von Bratislava im Frühjahr 2000 geschrieben hat. Dort trug John Bolton im Rahmen der New Atlantic Initiative des AEI für das State Department vor. Die gemachten Ankündigungen sind bereits zu einem Gutteil Realität. Und die nehmen Sie und Ihre Partei doch bitte endlich einmal zur Kenntnis. 
Mein letzter Hinweis: "This War on terrorism is Bogus" (Michael Meacher, ehem. Umweltminister unter Blair (1997-2003) im Guardian vom 6. September 2003. 

Mit freundlichen Grüßen 
Jochen Scholz 
Oberstleutnant a. D. (u. a. 12 Jahre NATO)    
 
 
 

   (c) Andreas Hauß, Februar 2007
http://www.medienanalyse-international.de/ueberblick.html

Im Übrigen bewundere ich Frau Klarsfeld.