Per aspera ad astra
  
Wie sich ein JW-Autor offenbar durch schlichtes reines Aktenstudium zu historischen Wahrheiten tastet - im Falle RACAK

Per aspera ...
Bo Adam, den JW-Autor dieser Untersuchung über "Racak 1999" vor dem ICTY, ist mir unbekannt. Was ihn also treibt, in seinem langen Aufsatz dauernd von "serbischen Polizisten" und "Kosovaren" zu schwafeln, von einem  "Bürgerkrieg" ohne Hinweis auf äußere Einmischungen usw., weiß ich nicht.

Tatsache ist, 
- daß im multiethnischen Jugoslawien die Polizei gewiß nicht nur serbische Mitarbeiter hatte. Auch nicht im serbischen Teil Jugoslawiens ("Polizei ist Ländersache") oder etwa dem serbisch regierten Kosovo als Teil Serbiens. 
- Daß Polizeiaufgaben in jedem Land auch Schußwechsel mit Terroristen umfassen können. 
- Daß die UCK eine Terrorgruppe war, vgl. die damaligen deutschen Verfassungsschutzberichte. "Kosovaren" ist ein UCK-Kampfbegriff, der unterschlägt, daß 1999 das Kosovo durchaus nicht "rein albanisch" bevölkert war - und es auch heute bekanntlich nicht ist, trotz aller Säuberungen. Adam benutzt diesen Begriff. 
- Daß Adams Text Unterstellungen beinhaltet: "Unter ihrem Beschuß durchkämmten serbische Polizisten Straße für Straße, Haus für Haus in dem weitgehend leeren Dorf und schossen vermutlich auf alles, was ihnen in dieser Situation verdächtig erschien. So können auch Zivilisten ums Leben gekommen sein." Niemand kann das ausschließen. Was aber soll diese Vermutung, wenn er selbst an x Stellen nachweist, daß UCK-Banditen zu Zivilisten umdeklariert worden waren ? 

Adam konstatiert die Anwesenheit von OSZE- Beobachtern, erwähnt auch kurz die ausländische Presse. Die logische Wahrscheinlichkeit, daß/ob Polizisten vor Augen und Ohren ausländischer Presse Zivilisten abknallen, bewertet er nicht. Daß diese Presse abends die Leichen nicht sah, die am nächsten Morgen "gefunden" wurden, weiß Adam evtl. nicht. 

Mit der Verwendung eines simplen Konjunktivs geht Adam auch mal an der historischen Wahrheit vorbei: "Obwohl es Wochenende war, reagierten die politischen Zentren des Westens, als hätten sie auf diese Anrufe nur gewartet. In Brüssel wurde sofort eine Sondersitzung der NATO-Botschafter einberufen." 
Racak kam auf Bestellung, so wie Pearl Harbor und der 11.9.. Ein wenig Recherche an dieser Stelle, und Adam hätte es gehabt. Aber manche Erkenntnis ist Weltbild -zertrümmernd: Polizisten, die als Staatsmacht mit Härte das RICHTIGE tun. Westliche Politiker, die Mord und Totschlag fördern. Und dgl.. 

Völlig erschütternd scheint es auf Adam zu wirken, daß sich die OSZE mit der UCK eingelassen hatte. Die Verwüstungen, die rotzgrüne Machtpolitik in den Hirnen auch gutwilliger Wahrheitssucher anrichtete, zeigen sich in den Schlußbemerkungen: "Nach Lage der Dinge hätte das Jugoslawientribunal im abschließenden Urteil den Punkt Racak der Anklageschrift als sachlich unbewiesen zurückweisen müssen." Nur das ? Gehören nicht diejenigen, die die Justiz täuschen (und ganz nebenbei einen Krieg führen und mit Lügen begründen) auf die Anklagebank ? So weit reicht es nicht. "Milosevic wegen Racak nicht schuldig zu sprechen, war schlicht unvorstellbar." "unvorstellbar" ? Seltsam, in einem Rechtsstaat erwartet das die Bevölkerung doch, daß Recht gesprochen wird. Unvorstellbar für wen ? Passend wäre eben hier auch eine Bemerkung zu Milosevics Tod gewesen - aber die Konsequenz dieser Überlegung scheint Adam wirklich unvorstellbar zu sein.

...  ad astra
Und dennoch ist der Artikel lesenwert. Er dokumentiert die quälende Wahrheitssuche eines Bo Adam, der sich ernsthaft auf den Weg der Erkenntnis machte, aber noch immer vor den fürchterlichen Konsequenzen zurückschreckt: daß statt Milosevic ganz andere Typen in den Knast gehören, und zwar lebenslänglich. Nicht wegen der Lügen um Racak, sondern wegen der Verbrechen, die mit Racak begründet wurden.

Was kann nach all den kritischen Bemerkungen diesen Aufsatz dann noch  lesenswert machen ? Wir haben hier - meines Wissens erstmalug - die stringente Argumentation
- daß Milosevic nicht "wg. Racak" hätte verurteilt werden können
- daß die westliche Öffentlichkeit einer ungeheuren Medienhetze erlegen ist, bis heute
- daß die angeblich neutralen OSZE-Beobachter Partei waren, allen voran Walker
- und eben daß Racak KEIN MASSAKER war.
Dies alles auf rein textimmanenter Basis, rein anhand der Gerichtsakten . Und, wie ausgeführt, offenbar keinesfalls aus einer "pro-serbischen" Perspektive geschrieben.



 

Zu diesen Bemerkungen gab es Kritik bzw. Nachfragen. Beides bezieht sich auf die Begriffe "serbische Polizisten" und "Bürgerkrieg" - die ich Bo Adam als falsch ankreide.
Ich wiederhole noch einmal, was ich ergänzte: "Tatsache ist, daß im multiethnischen Jugoslawien die Polizei gewiß nicht nur serbische Mitarbeiter hatte. Daß Polizeiaufgaben in jedem Land auch Schußwechsel mit Terroristen umfassen können. Daß die UCK eine Terrorgruppe war ..."

Ich gehe zunächst von der Kindervorstellung eines Bürgerkriegs aus: die einen Bürger hauen auf die anderen und umgekhrt. Im Fall Racak muß man sich hart anstrengen, um dieses Bild zu rechtfertigen. Die Welt war und ist komplizierter. Irgendwie empfinde ich es als ungerecht, daß ich es jetzt bin, der begriffe umreißt und nicht der, der sie gebraucht - sei`s drum.

Nehmen wir fünf Situationen, vom klassischen Bürgerkrieg bis zu einem, den niemand (bei Sinnen) als solchen bezeichnen würde:
USA 1860er Jahre, Ruanda (Hutu-Tutsi), Kongo, Irak, Rote Armee Fraktion in Deutschland. Jeder halbwegs Vernunftbegabte spricht bei der RAF nicht von einem Bürgerkrieg, und wenn sich diese verbrecher noch so sehr als "Rote Armee" bezeichnete, und wenn die Polizei paramilitärisch auftrat incl. Autobahnsperren und dgl.

Wo aber gehört der Kosovo im Winter 98/99 eingeordnet ? Am liebsten hätten die Freunde einer "Nothilfe", also einer militärischen Angriffsoperation, die Auseinandersetzungen im Kosovo  so dargestellt wie den Bürgerkrieg in Bosnien-Herzegowina. Der damals noch in frischer Erinnerung war. Mit Massakern, gefangenenlagern auf allen Seiten, Truppen in beachtlicher Stärke und Waffen, die mit denen in Racak nicht vergleichbar waren. Hätte nicht die NATO die Luftherrschaft in Bosnien beansprucht, wären schwere Bombardements möglich gewesen. Wo ist da der Vergleich zu Durchsuchung von Dörfern und gehöften im Kosovo ? Andererseits hat die Aufforderung an Zivilisten, die betreffenden Orte zu verlassen, militärischen Charakter. Nur konnten (im Gegensatz zur hiesigen Propaganda) diese Zivilisten tags darauf meist zurückkehren.

Gegen das "rein interne" sprechen: Uniformen und Waffen aus dem Ausland, Finanzierung, Propaganda, Logistik, Rückzugsräume, politische Einmischung. Die NATO ließ ihre Drohnen über das Land fliegen und gab die Infos an die UCK weiter, die OSZE paktierte immer offener, die UNO-Resolutionen wendeten sich immer an "alle Seiten" und nicht nur an Milosevic, dies oder das zu unterlassen. Nein - die Konsequenz, schon vor dem offiziellen Kriegsbeginn von einem Angriffskrieg der NATO zu sprechen, ziehe ich nicht. Ich weise nur auf das "Gesteuerte" hin, was dem landläufigen verständnis eines internen Konflikts widerspricht.

Beim irak sprechen wir heute, im März 2006, von der "Schwelle zum Bürgerkrieg" - angesichts der x Toten pro Tag. Angesichts schwerster Angriffsoperationen mit allem verfügbaren Gerät (unterhalb der A-Bombe). Es fällt mir angesichts von Waffen, Beteiligten, Zahlen der Opfer usw. schwer, die Situation im Kosovo 1998/99 als als gravierender als die im Irak heute zu bezeichnen.

Es gab Flüchtlinge zu -zig Tausenden. Die offiziellen Beurteilungen sprechen von Bürgerkrieg. Heinz Loquai benutzt den Begriff. Ich habe meine Probleme angesichts der jugoslawischen Armee, die in die Kasernen zurückgekehrt war nach dem Holbrook-Abkommen. Angesichts der Polizisten mit leichten Waffen, die Racak durchkämmten. Angesichts einer UCK, die zwangsrekrutierte und Morde beging, um den Druck dafür aufzubauen. Ich erinnere mich an eine Podiumsdiskussion, in der ich bzgl. des Iraks deutlichen Widerspruch erhielt, als ich sagte, der Irakkrieg sei weder faktisch noch juristisch beendet.

So hänge ich ein wenig zwischen den Stühlen.  Das Maß harrt einer Definition. "I am not convinced" sagte einmal ein bekannter Politiker und drückte damit auch seine Bereitschaft aus, sich überzeugen lassen zu wollen.

Nun zu den "serbischen Polizisten". Der Begriff stieß mir deshalb bei Bo Adam auf, weil er dauernd gebraucht wurde. Ich hätte nicht aufgemerkt, wenn das Adjektiv in etwa der Hälfte der Fälle gefehlt hätte. Aber fast manisch wurde "serbisch" gebraucht. Man stelle sich vor, in der beschreibung der 70er Jahre sei immer wieder das Wort "deutsche Polizisten" benutzt worden. Absurd. 

 "Serbischer Polizei" werden sogar die "Kosovaren" gegenüber gestellt: 
Aber auch Serben, Roma, Juden, Griechen usw. waren Kosovaren. 
Nein, ich habe keine Beweise für die exakte Zusammensetzung der im Kosovo eingesetzten Polizei, aber ich habe Logik und Parallelen: die Polizei wird auch dann nicht serbisch, wenn keine Albaner drinnne sind. Denn Roma, Griechen, Mazedonier usw. dürften natürlich ebenso im Polizeidienst gewesen sein. 
Dann gab es lange Jahre einer verschärften Integrationspolitik seitens Belgrads. Mit der Folge hoher Wahrscheinlichkeit, dass auch albanischstämmige Polizisten möglich  waren. 
Selbst wenn ich Milosevic als übelsten Diktator ansehen würde: in jeder Diktatur holt man sich GERADE in den Polizeidienst einheimische Kräfte ("Verräter") zu Spitzeldiensten, zum Dolmetschen, als Scout usw. Es wäre völlig undenkbar, wenn das in  Kosovo nicht so war. 

"Serbische Polizei" ist ein Kampfbegriff aus interessierten Kreisen, der natürlich zuhauf in den Akten vorkommen dürfte, die Bo Adam studierte. Angesichts seiner Rechercheleistung kreide ich den Begriff nicht allzusehr an - aber es muß doch erwähnt werden, daß auch in interessanten Artikeln Begriffe falsch verwendet werden können. Damit eben nicht der Eindruck entsteht, der Krieg gegen Jugoslawien habe etwa zum Ziel gehabt, einen Krieg zwischen zwei Nationalitäten zu beenden. "Erhnische Säuberungen finden auch weiterhin nicht statt" zitiert Loquai das Amt für Nachrichtenwesen. und dennoch gab es Flüchtlinge und Schießereien. Ein Widerspruch. Aber er muß anders aufgelöst werden als durch reine Exkulpierung im Fall Racak bei Beibehaltung anderer alter Schemata.
 

 

(c) Andreas Hauß, März 2006 http://www.medienanalyse-international.de/ueberblick.html
Im Übrigen bewundere ich Frau Klarsfeld.