(c) Andreas Hauß, Oktober 2000

Über Pokemons und die Ordnungssucht von Faschisten
"Ordnung ist das halbe Leben."

Genau. Das halbe. Die andere Hälfte ist recht unordentlich.
Was haben ein Pokemon-tauschender Achtjähriger, ein Wissenschaftler, ein Messie, ein Neofaschist, ein Maurer, Dustin Hofman als "Rainman" und ein Priester gemeinsam?

Sie bringen Ordnung in die Sachen, teils nach Ritualen, teils nach Wissen, teils frei nach persönlichem Gusto.
So sehr Ordnung ihren Sinn hat in Zeitersparnis, in Platz- und Kostenökonomie, darin, Basis für Kreativität und Gewinnung neuer Einsichten zu sein (Sprung aus Quantität in Qualität) -
so sehr liegt ihr Sinn aber auch in eben diesem SINN.
Suche ich den Sinn der Pokemon-Tauscherei, erkenne ich bei gutem Willen gerade noch die Schulung des VERMÖGENS, eine Klassifizierung durchzuführen, die Schulung von Gedächtnis und den Zwang zur Kommunikation mit anderen Pokemon-Besitzern. Dennoch wäre all dies auch mit Briefmarkensammlung, Herbarium, Aquarium und dgl. zu erzielen, also mit REALEN Dingen, deren Klassifizierung einen Wissenszuwachs bedeutete. Der Wissenschaftler und der Maurer arbeiten einem höheren, relativ festgesteckten Ziel zu. Ihre Ordnungssysteme sind erprobt, lassen eine gewisse Freiheit, und das Ziel kann ebenfalls ins Wanken geraten - was aber selten der Fall ist, die Erfahrung und die Schulung sind davor. Gottseidank.
Der Messie hebt alles auf, incl. seinem Müll. Hier wird schon deutlich, wie sehr Ordnung auch eine Intelligenzleistung ist. Die Relativierung eines Werts für das künftige Leben bedeutet die Fähigkeit, Müll als solchen zu definieren und zu behandeln. Etwas nicht in Relation setzen zu können, speziell nicht in Relation zum tosenden Leben, kündigt die psychische Störung an, und die Müllberge sind dann ein Ausdruck davon. Dustin Hoffman hat uns mit seiner überzeugenden Darstellung eines (übrigens nur leicht behinderten) Autisten vermittelt, wie sinnlos eine Fähigkeit zum Zählen von Streichhölzern, Flugzeugabstürzen und dgl. sein kann, und wie nervend für jedermann solche Rituale wie das Zubettgehen um 23 Uhr oder der Zwang zur täglichen Fernsehshow sein können.
Die Rituale der kirchlichen Gemeinschaften sind nur noch der schwache Abklatsch ihrer früher das Leben reglementierenden Funktion. Die Pracht eines Priestergewandes und die Abläufe eines Gottesdienstes unterscheiden sich zwischen den verschiedenen Religionen in ihrem Wesen nicht. Das Ziel ist, die Feierlichkeit der Anbetung und der Glaubenstiefe zu unterstreichen. Nur wenige Gesellschaftsformen lassen es zu, daß derartige religiöse Prinzipien das alltägliche Leben regeln. Die Zeiten, als der Glockenschlag der Kirche bestimmte, wann zu Mittag gegessen wurde oder die Arbeit begann, wann man sich festlich kleidete und wann nicht, sind vorbei.

In all dieser Rituallosigkeit heutigen Lebens verwechseln Menschen mit geringem Selbstvertrauen und auch teils niedrigem Bildungsstand den Mangel an ordnenden Eingriffen in ihr Leben als "Sinnentleerung".
Dem Leben wieder einen Sinn zu geben beginnt also mit dem Aufbau von Ritualen wie Befehl und Gehorsam, uniformer Kleidung, Verabredung von Symbolen - teils sogar geheimen (hier ist das Kindische offenbar) usw. Es wird eine Ordnung künstlich geschaffen, die jedem seinen Platz zuweist. Diese Ordnung wird durch äußere Zeichen unterstrichen. Hitler hatte am Ende des 2. Weltkriegs ca. 35 seiner Oberpfeifen zu Feldmarschällen, Generalfeldmarschällen etc. befördert und mit Epauletten versehen sowie Orden mit Spange zum Kranz auf Lorbeerblättern und Schwertern, die dann noch in erster und zweiter Klasse und Tralala. Ca. 3000 Generale waren 1945 damit beschäftigt, die Glorie der ach so unbesiegbaren Wehrmacht zu beerdigen. Und Hinz und Kunz in diesem Mördersystem trachtete danach, Karriere zu machen und auch mal General zu werden. Das hatte System - Führerprinzip genannt. Dieses System an sich geilt junge Menschen, die noch keinen Sinn im Leben gefunden haben, auf. So wie sie sich untereinander ein"ordnen", so werden die anderen ebenfalls eingeordnet. Mit Verschwörungstheorien einerseits und einer gehörigen Portion Rassismus andererseits. Wie schwachsinnig es ist, Menschen nach "Rassen" zu klassifizieren (abgesehen von der Strafbarkeit, moralischen Verwerflichkeit usw.), ergibt sich schon aus den Ergebnissen der Genforschung. Wir wissen mittlerweile, daß Lebewesen wie Mensch und Frosch, Pferd oder Kanarienvogel schon zu mehr als 85% genetisch identisch sind. Menschen untereinander sind es zu 99%. Welchen Sinn macht da die Klassifizierung, die Einordnung nach Unterschieden innerhalb der 1%? Und nach welchen Kategorien soll das geschehen? Warum nur nach Hautfarbe? Die spielt z.B. bei Fingerabdrücken von Verbrechern keine Rolle. Warum nicht nach Schuhgröße? Nach Zahnstellung? Penislänge?
Sinn der Kategorisierung ist offenbar ein anderer als der vorgeschobene:
Rassisten und Faschisten wollen MACHT ausüben durch Staffelung der gesamten Menschheit nach einem Ordnungssystem, aus dem man schwerlich herauskann und dessen Kategorien sie selbst bestimmen. Daß sie damit immer die stille Reserve der derzeitigen Machthaber sind, wenn deren Ordnungssysteme zusammenbrechen (z.B. in einer Wirtschaftskrise), ist historisch belegbar und logisch.
Zurück zu den Pokemons. Kinder lernen, zu klassifizieren. Nach idiotischen Kategorien, die von der Industrie gesetzt werden und meist Machtkategorien sind (Pocketmonster A kann dies, Pocketmonster B kann jenes und ist deshalb stärker = mehr wert). Lernen können sie dabei nichts Sinnvolles - aber Zeit, Geld und Energie auf Raster verschwenden, die sie im Leben nicht brauchen können, außer ... ? Wie war das noch mit stärker = wertvoller?

Wann reagieren Schulen und Medien endlich?
Aber warum sollten Medien reagieren? Sind es nicht sie selbst, die zu einem großen Teil die Undurchschaubarkeit und Rasterlosigkeit der Gesellschaft predigen? Die den Sozialdarwinismus fördern, denn der Stärkere, Gemeinere setzt sich von Zeichentrickfilm bis Samstagabendkrimi, von Wirtschaftsnachrichten bis zu Talkgeschreie durch.