Die Rubrik „Politische Morde“ im Angebot der  „Arbeiterfotografie“

von Volker Bräutigam
  

Die Rubrik „Politische Morde“ im Angebot der  „Arbeiterfotografie“ 

Die publizistischen und politischen Verdienste der Internet-Seiten „Arbeiterfotografie“ sind bekannt und unbestritten, sie brauchen hier nicht gewürdigt zu werden. Die Seite hat informationellen und künstlerischen Anspruch, ihre Macher verstehen sich als gesellschaftskritische Intellektuelle. Auch den Guten aber unterlaufen Fehlleistungen. Eine solche zu benennen und warnend auf sie hinzuweisen bedeutet jedoch zugleich, den Aufmerksamkeitswert für sie zu steigern. Ein Dilemma, das ich nach einer per Mail ausgetragenen Debatte mit den Autoren als unlösbar erkannte. Meine Kritik an der fraglichen Internet-Seite wurde dort ohne mein Wissen und anonymisiert veröffentlicht. Ich ließ die Passage entfernen, weil ich keinen aufwertenden Beitrag zur Seite leisten wollte. Aber die Publikation öffentlich kritisieren, nachdem ich sie nun mal nicht wegdiskutieren kann, das möchte ich wohl.

Unter der Rubrik „Politische Morde“ hat die Kölner Redaktion (Anneliese Fikentscher, Andreas Neumann) mit der Internet-Seite 

http://www.arbeiterfotografie.com/politische-morde/
index-2008-10-11-joerg-haider.html

einen Beitrag ins Netz gestellt, der unter ethischen, politischen, journalistischen und methodischen Gesichtspunkten entschieden abzulehnen ist: Hier wird mittels beweislogischen Unfugs der Unfalltod des österreichischen nationalistisch-faschistoiden Politikers Jörg Haider verschwörungstheoretisch als verschleiertes politisches Mordgeschehen  „aufgearbeitet“ und in indiskutable Zusammenhänge mit anderen Todesfällen von Persönlichkeiten der Zeitgeschichte gestellt.

Politische Problematik

· Der Unfalltod Jörg Haiders wird willkürlich und beweislos unter „Politische Morde“ rubriziert, ohne dass es einen Anhaltspunkt für eine Mordthese gäbe; verbreiteter Hass gegen einen Menschen rechtfertigt keine Mordthese. Die Arbeiterfotografie besorgt eine Mystifizierung des Geschehens.
· Die Arbeiterfotografen umrahmen faktisch mit ihren Fragestellungen das abstoßende Zeremoniell der Haider-Beerdigung, ein Ereignis von großer politischer Tragweite, dem sie sich allerdings ebenso wenig widmen, wie den politischen Kontexten:  Dass man beim Betrachten der Gesichter der engeren Beerdigungsgäste unwillkürlich versucht war, Deckung zu nehmen; dass bei den jüngsten Wahlen in Österreich 30 Prozent für völkisch-nationalistische Parteien stimmten; dass die faschistischen Strömungen in der westeuropäischen Politik bedrohliche Kraft gewonnen haben und inzwischen auch „bürgerliche“ Parteien infizieren..
· Die Seite ist ein bemerkenswerter Beitrag zur politischen Legendenbildung und damit das Gegenteil einer Hilfestellung zur politischen und gesellschaftlichen Emanzipation.

Ethische Defizite

· Die Arbeiterfotografen zitieren ausgewählte Erklärungen und Bemerkungen sowie Aktivitäten Haiders, die das Urteil, er sei ein übler Rassist, Ausländerhasser und faschistoider Volksverhetzer gewesen, relativieren sollen. Das Muster: „Auch nur ein Mensch“, „vorurteilslos betrachten“. Auch Hitler hat immerhin die Autobahnen gebaut und die Arbeitslosigkeit verringert. 
· Die Aufnahme Haiders in eine Art Totentafel mit den Namen so unterschiedlicher Persönlichkeiten der Zeitgeschichte wie Olof Palme, Salvador Allende, Uwe Barschel und Jürgen Möllemann ignoriert alle ethischen, moralischen und viele weiteren Fragen, die sowohl im Hinblick auf die jeweiligen Persönlichkeiten und ihre Bedeutung für die Mitwelt zu stellen gewesen wären, wie auch die Frage, womit sich rechtfertigen ließe, den Tod eines Olof Palme mit dem Tod eines Haider in den gleichen Geschehensrahmen zu setzen. Die Zivilgesellschaft verlangt nach Aufklärung in allen Mordfällen, nicht nur den politischen; das Aufklärungsverlangen darf keine Abstufungen nach dem Wesen der Opfer zulassen. Es geltend zu machen darf aber nicht zur Unterschiedslosigkeit bei der Betrachtung der Opfer führen. Die im vorliegenden Fall befördert wird.
· Fragen, welchen Erkenntnisgewinn die Leser der Seite haben sollen, welche politische Orientierungshilfe, welche Lebenshilfe ihnen hier geboten wird,  wie ihre Bereitschaft, sich als homo sapiens sapiens  politicus zu begreifen und sozial zu engagieren, gefördert werden könnte, sind hier nicht bedacht worden.

Journalistische Mängel

· Die Arbeiterfotografen verletzten eine grundlegende Regel des seriösen Journalismus`: Sie folgen keinem Informationsbedürfnis oder einer Informationsnotwendigkeit, sondern beschreiben mit motivlosen Fragestellungen ein bezüglich der Umstände weitestgehend bekanntes, tödliches Unfallgeschehen ohne die Spur eines neuen Fakts oder Beweises als geheimnisumwittertes Ereignis und schüren einen Mordverdacht. Das ist billigster Boulevard.
· Die Arbeiterfotografen bieten weder im Text noch in den Bildern neues, eigenes Material, sondern spintisieren aufgrund allgemein zugänglicher Bild- und Wortinformationen, ohne das als pure Spekulation kenntlich zu machen. Vielmehr lassen sie ihre verschwörungstheoretischen Darbietungen als berechtigte, ordentliche Fragestellungen investigativer Journalisten erscheinen, als Fragen, die von den Medien nicht gestellt worden seien aber hätten gestellt werden müssen: verschwörungstheoretisch auch im Indirekten. 
· Die Verfasser haben keine eigenen Kenntnisse und Anschauung vom Ort des Geschehens, von den Zeugen, den Details der Ermittlungen. Mit den Ermittlern selbst haben sie über deren Zwischenergebnisse und Detailbewertungen nicht gesprochen, Einblick in die Ermittlungsakten hatten sie nicht, aber sie legen mit großem Anspruch nahe, dass die amtliche Darstellung: „Unfall“ als Verschleierung eines wahrscheinlichen Mordes aus politischen Gründen verstanden werden müsse. 

Methodische Fehler

· Als Prämisse für ihre Veröffentlichung diente den Arbeiterfotografen die Frage: „"...wen Haider so gestört haben könnte, dass er aus dem Weg geschafft werden musste.“ Kann die Tatsache, dass der Mann Hass gegen sich begründete, eine Mordthese stützen? Im Prinzip ja, aber in Grenzen der Rationalität und soweit andere Anhaltspunkte vorliegen. Doch auf der „Arbeiterfotografie“ wird  ohne die Spur eines Belegs, vielmehr im alogischen Widerspruch zur bekannten Faktenlage ein politischer Mord insinuiert. Ermittlungsdetails und Erdmittlungsergebnis werden mit dieser Brille betrachtet und es wird unausgesprochen nahgelegt, amtliche Berichte über den Vorfall als fragwürdig, mysteriös, falsch oder unvollständig, unglaubwürdig, irreführend und verschleiernd zu werten. Man zäumt ein Pferd von hinten auf und bemerkt nicht einmal, dass es sich um ein Rindvieh handelt. 
· Hat man einen Fingerzeig, einen Hinweis für einen absichtlich herbeigeführten Tod, kann das Nachforschen beginnen. Wobei, wie auch im Weiterführenden, nach unserm Rechtsverständnis nicht Journalisten, sondern Polizei und Staatsanwaltschaft die Federführung haben müssen, den Journalisten aber eine Nebenrolle als gesellschaftliche Kontrolleure zukommt. Sie sollen nachfassen, wenn es Anzeichen dafür gibt, dass Polizei und Justiz ihre Pflichten verletzten. Dazu braucht ´s allerdings konkrete Anhaltspunkte, nicht nur Hirngespinste. 
· Führt das Nachforschen zu weiteren Beweisen und einem möglichen Täter, ist die Suche nach Motiven voranzutreiben. Sie kann zu möglichen Hintermännern und Auftraggebern führen. Ob sie als erfolgreich anzusehen ist, entscheiden wiederum erst Richter, ehe Journalisten das Ergebnis kommentieren mögen. Die Arbeiterfotografen hielten diese Reihenfolge nicht ein und setzten damit beweislos die österreichische Polizei und Justiz in den Verdacht des Vertuschens und der Strafvereitelung. Zwar in Frageform, aber immerhin. 
· Der entscheidende Fehler: Gegenfragen wurden nicht untersucht: Warum wohl hat weder die braune Szene in Österreich noch in Deutschland noch im übrigen Europa versucht, Schlagzeilen aus der „Haider-wurde-ermordet-Theorie“ zu machen? Ist es überhaupt denkbar, dass österreichische Behörden bei den Ermittlungen im Todesfall Haiders, der für ein Drittel der Bevölkerung ein Idol und in Kärnten ein in allen Bevölkerungsschichten beliebter Landeshauptmann war, etwas fälschen oder verschweigen oder übergehen, um einen „Haider-Mord“ zu vertuschen? Wo blieb das logische Denken, als dies zu den unausgesprochenen Prämissen  der Veröffentlichung gemacht wurde?

Generelle Fragwürdigkeit· 

Die Arbeiterfotografen laden zu einer Diskussion ein, die zielloser und irrationaler kaum vorstellbar ist. Man kann das bereits an einigen Beiträgen ersehen, die im Blog zu der Seite auftauchen. 
· Die Frage, welchen politischen Kräften es denn dienen könne, wenn man Haiders Tod als etwas anderes denn als Unfall darstellte, wurde ersichtlich nicht bedacht.
· Die im Zusammenhang mit der Abhandlung des Haider-Todes angebotenen Querverweise zu anderen „Fällen“ (unvollständige Aufreihung: Kennedy, Palme, Allende, Barschel, Möllemann usw.) ohne dass 
- irgend eine Begründung, ein vernünftiges Kriterium oder gar ein Ordnungsschema erkennbar wären
- berücksichtigt wurde, dass es zwischen einem Barschel und einem Allende in Leben und Tod ebenso wenige Ähnlichkeiten gibt wie zwischen Haider und z.B. M. Gandhi,  ist eine journalistische Sonderform von Mystizismus und befördert den Aberglauben an das Wabern irgendwelcher nicht näher bestimmbarer höheren Mächte. So wird politische Esoterik befördert, nicht Aufklärung.
 

Mein Resultat:

Der Beitrag der Arbeiterfotografie zum Thema Haider-Tod ist nicht nur überflüssig. Er ist als Musterfall einer journalistischen Fehlleistung mit höchst problematischen Folgen einzustufen, der in unbedarften und naiven Köpfen schlimme Verwirrung und Verirrungen bewirken kann – und der, besonders übel, der neonazistischen Szene reklameträchtige Bälle zuspielt. Erzeugt wird eine verquaste „Nachdenklichkeit“, nicht kritisch-rationales Nachdenken. Das ist das Gegenteil von Aufklärungsarbeit. Es fördert politische Meinungs- und Willensbildung nicht, sondern manipuliert und lähmt sie.

Volker Bräutigam.

 

(c) Volker Bräutigam , November 2008



 

Anmerkung des MAI-Editors:
Unsere Bearbeitung des Themas sehen Sie hier:
www.medienanalyse-international.de/rasenderhaider.html

Nachzutragen wäre noch, daß  es bedauerlich ist, daß die Arbeiterfotografen  nach Jahren  noch nicht erkannt haben, dass auf MAi selten "fertige Artikel" mit einer "runden Meinung"  erscheinen, sondern Dateien in Entstehung, die das Thema und  seine bearbeitung abbilden, die Widersprüche und irrtümer dokumentieren, die  anhand der Quellen  die Arbeit und Überlegungen nachvollziehbar machen und zur eigenen Gedankenarbeit  anregen sollen. Da steckt ein wwenig Ausbildung an Brecht darin, ein wenig Widerwille gegen glatte  Darstellungen und gegen das  Beharren auf Ein- und Ansichten. Speziell wenn diese unvollständig, und besonders, wenn sie falsch sind. Der Widerspruch, der gegensatz ist also immanent, nicht die Entwicklung  der eigenen Ansicht zählt, sondern die Analyse (Medienanalyse) des Murkses der anderen. MAI-Dateien sind zugegeben deshalb auch nicht einfach zu konsumieren - aber  sie bieten Material. Weil selber denken schlau macht. Der "rasende Haider" wurde als eigene Datei - also ausgelöst aus der /index1.html, nahezu unverändert gelassen, hatte also von Anbeginn (+-weniger Stunden) an die Wendung einbezogen, die sich durch die drei unteren Fotos ergab. Dass es sich somit eindeutig um einen Unfalltod eines rasenden Haiders handelte. Auch der Dateiname  war nicht geändert worden - nicht gerade  ein Hinweis auf  "politischen Mord" als Vermutung. Unverständlich, wie man das  mißverstehen kann. Selbst wenn man ein  völlig konditionierter zeitungsleser wäre, der schlicht passiv Vorgesetztes verdaut in der üblichen und von MAI heftig attackierten Konsumentenhaltung des zurückgelehnten deutschen Michels. Die Diskussion des Unfallgeschehens war und ist  mit dem "rasenden Haider" abgeschlossen, da wird nichts mehr nachgetragen, argumentiert, erwidert. Thema dieser Datei ist die Auseinandersetzung Bräutigams mit den Arbeiterfotografen, also der journalistische Crash mit Totalschaden.
 

http://www.medienanalyse-international.de/ueberblick.html
Im Übrigen bewundere ich Frau Klarsfeld.