Armin Fiand
Rechtsanwalt Minsbekweg 4 a 22399 Hamburg
E-Mail: fiand@arcor.de |
Dr. Alexander Bahar
Historiker und Publizist Ahornweg 7 74248 Ellhofen
albarax@web.de |
Der Generalbundesanwalt
beim Bundesgerichtshof
Postfach 27 20
76014 Karlsruhe
21. Oktober 2005
Sehr geehrte Damen und Herren,
der Generalbundesanwalt hat es bisher strikt abgelehnt, gegen den Bundeskanzler, den Bundesaußenminister sowie den Bundesverteidigungs-minister im Zusammenhang mit dem Irak-Krieg ein Ermittlungsverfahren wegen der Beteiligung an der Vorbereitung eines Angriffskrieges einzuleiten.
Dies hat der Generalbundesanwalt im Wesentlichen wie folgt begründet:
· Der Krieg sei auf dem Hintergrund zahlreicher Resolutionen des UN-Sicherheitsrats zu sehen, die gegen den Irak ergangen seien (diese Resolutionen sind in den ablehnenden Bescheiden im Einzelnen mit Nummer und Datum aufgeführt, so als lasse sich schon aus ihnen ohne weiteres die Rechtmäßigkeit des Irak-Krieges ableiten).
· Ob der Krieg gegen den Irak völkerrechtlich legitimiert sei, sei umstritten. Insbesondere könne im Völkerrecht, das einem ständigen Wandel unterworfen sei, gegenwärtig nicht festgestellt werden, was man unter einem Angriffskrieg, also einer völkerrechtswidrigen Aggression, zu verstehen habe.
· § 80 StGB sei nur anwendbar, wenn die Bundesrepublik Deutschland als Krieg führende Macht unter Einsatz ihrer Streitkräfte oder in vergleichbar massiver Weise an der Vorbereitung eines Angriffskrieges beteiligt sein solle. Aus der hohen Strafdrohung des § 80 StGB folge, dass es sich bei der Kriegsbeteiligungshandlung um einen gewichtigen Beitrag handeln müsse. Ein solcher liege hier nicht vor.
· Die Anwendung des § 80 StGB setze voraus, dass durch die Vorbereitung eines Angriffskrieges die Gefahr eines Krieges gegen die Bundesrepublik Deutschland herbeigeführt werde. Die Wahrscheinlichkeit eines Krieges zwischen der Bundesrepublik Deutschland und einem anderen Staate bestehe im vorliegenden Falle nicht.
· Es komme nicht darauf an, ob die Anwendung von Gewalt durch
die Vereinigten Staaten von Amerika ohne oder gegen den Willen des Sicherheitsrats
völkerrechtlich zulässig sei. Denn die strafrechtliche Bewertung
des angezeigten Sachverhalts sei von der Beantwortung dieser Frage nicht
abhängig.
· Mit der Gewährung von Überflugs-, Bewegungs- und
Transportrechten habe sich die Bundesrepublik Deutschland nicht als Krieg
führende Macht unter Einsatz ihrer Streitkräfte an Kriegsvorbereitungshandlungen
beteiligt. Dies stelle keinen derart gewichtigen Beitrag dar, auf Grund
dessen Deutschland als Krieg führende Macht angesehen werden könne.
Eine Zurechnung der Handlungen der Alliierten sei daher nicht möglich.
· Die Mitwirkung deutscher Soldaten an AWACS-Einsätzen
sei im Rahmen der auf Verteidigung angelegten Bündnisverpflichtungen
zum Schutze der Türkei zu sehen und stelle keine von Deutschland aus
betriebene Vorbereitung einer völkerrechtlichen Aggression im Sinne
des § 80 StGB dar.
· Auch bei der Bewachung von US-Militärgelände in
Deutschland handele es sich um eine auf Verteidigung angelegte Maßnahme
im Rahmen der Bündnisverpflichtungen. Zudem käme dieser Maßnahme
bei einer Gesamtbetrachtung nicht das für eine Beteiligungshandlung
im Sinne des § 80 StGB erforderliche Gewicht zu.
· Der Nichtabzug der Spürpanzer in Kuwait sei ebenfalls
keine Beteiligungshandlung an der Vorbereitung eines Angriffskrieges, sondern
eine Maßnahme zur Verteidigung Kuwaits. Entsprechendes gelte für
eine mögliche Lieferung von Patriot-Raketen an Israel.
· Der Zeitraum nach Kriegsausbruch sei für die juristische
Bewertung des Geschehens nicht entscheidend. § 80 StGB sei nur auf
die Vorbereitung eines Angriffskrieges, nicht aber auf die Beteiligung
an einem bereits im Gange befindlichen Krieg anwendbar.
1.
Die Position, die der Generalbundesanwalt eingenommen hat, ist unhaltbar.
Sie ist getragen vom Bestreben, die angezeigten Personen aus Gründen
der Staatsräson von Strafe freizuhalten. Der Generalbundesanwalt erweist
sich mit dieser Gefälligkeit als treuer und gehorsamer Diener der
deutschen Bundesregierung und der von ihr vertretenen Politik. Der ihm
vom Gesetz auferlegten Verpflichtung, bei Vorliegen zureichender tatsächlicher
Anhaltspunkte wegen aller verfolgbaren Straftaten einzuschreiten, die zu
seinem Zuständigkeitsbereich gehören, und das Legalitätsprinzip
zu beachten, entspricht sein angepasstes Verhalten nicht. Das Legalitätsprinzip
soll die Gewähr dafür bieten, dass die Staatsanwaltschaft jede
Straftat ohne Ansehen der Person verfolgt. Dieser Grundsatz hat, worauf
die Website des Generalbundesanwalts hinweist, demokratische, rechtsstaatliche
Wurzeln und trägt dem Gleichheitssatz aus Art. 3 GG Rechnung.
2.
Wir erneueren hiermit unsere Strafanzeigen vom 08. Januar 2003 bzw.
20. Februar 2003.
Diese Anzeigen hat der Generalbundesanwalt mit Bescheiden vom 01. April 2003 zurückgewiesen. Die dagegen erhobenen Gegenvorstellungen/ Dienstaufsichts-beschwerden hatten keinen Erfolg. Der Vorgang war unter den Aktenzeichen
3 ARP 16/03-3 / II B 1- 313 BA – 1 (129) -
bzw.
3 ARP 90/03-03
anhängig.
3.
Die erneute Strafanzeige wird darauf gestützt, dass sich inzwischen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht weitere und neue Erkenntnisse ergeben haben, die es erforderlich machen, sich erneut mit dem Vorgang zu befassen. Ein Ermittlungsverfahren kann jederzeit wiederaufgenommen werden, wenn Anlass dazu besteht; ein Vertrauensschutz auf den Bestand der Einstellungsverfügung besteht nicht. Es muss wiederaufgenommen werden, wenn – wie hier – der von der Staatsanwaltschaft bzw. dem Generalbundesanwalt eingenommene Rechtsstandpunkt ganz offenkundig mit der Rechtslage nicht übereinstimmt.
Die neuen Erkenntnisse sind:
a.
Dem Krieg gegen den Irak sind bisher über 100.000 irakische Menschen, vor allem Frauen und Kinder, zum Opfer gefallen. Das ergibt sich aus einer von US-Wissenschaftlern erstellten Studie, die im renommierten Wissenschaftsmagazin „The Lancet“ veröffentlicht worden ist. Wir nehmen an, dass dem Generalbundesanwalt diese Studie bekannt ist, so dass wir zunächst davon absehen können, sie zu überreichen.
Im Irak haben also Massentötungen im großen Umfang aus politischen, vom Völkerrecht nicht gebilligten Gründen stattgefunden. Es gab und gibt keine Rechtfertigung, diese Menschen zu töten. Die Iraker sind nicht zum Abschuss freigegeben. Die USA und ihre willigen Verbündeten haben keine Lizenz zum Töten.
Das Recht auf Leben ist das höchste Rechtsgut auf der Werteskala der international anerkannten Menschenrechte.
Das hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg im März 2001 in den Verfahren 34044/96, 35532/97 und 44801/98, in denen die BRD Beteiligte war, festgestellt.
Das Recht auf Leben ist ein unteilbares Recht. Es steht allen Menschen
zu. Auch die Iraker hatten und haben es.
b.
Der Krieg gegen den Irak war damit begründet worden, dass Saddam Hussein über Massenvernichtungswaffen verfüge und mit dem islamistischen Terrorismus gemeinsame Sache mache.
Der ehemalige US-Außenminister Colin Powell, der die Aufgabe hatte, im Februar 2003 in einer zweieinhalbstündigen Multi-Media-Show vor dem UN-Sicherheitsrat der Weltöffentlichkeit den damals bevorstehenden Krieg gegen den Irak schmackhaft zu machen, hat vor kurzem in einem Interview erklärt, dass die Rede vor dem Sicherheitsrat ein „Schandfleck" in seiner politischen Karriere sei, er fühle sich „furchtbar", dass er damals angebliche Beweise für Massenvernichtungswaffen vorgelegt habe, die sich als falsch erwiesen hätten.
Die in der Show vorgetragenen „Fakten“ waren allesamt erdichtet und erlogen. Der Irak hatte keine Massenvernichtungswaffen, wie das Saddam Hussein auch stets beteuert hatte. Saddam Hussein hatte auch keine Kontakte zu Al Qaida.
Das Weiße Haus hatte bereits kurz nach dem 11.09.2001 entschieden,
in den Irak einzumarschieren, um den USA einen Zugang zum zweitgrößten
Erdölvorkommen der Welt zu sichern und ihnen eine Operationsbasis
dafür zu schaffen, den gesamtem nahöstlichen Raum nach ihren
Vorstellungen und Bedürfnissen mittel- oder längerfristig geopolitisch
neu zu ordnen. Ob der Irak Massenvernichtungswaffen hatte oder nicht, war
völlig gleichgültig. Das „Ringen“ im Sicherheitsrat war eine
Farce.
Die Kriegsgegner hatten auf diese Aspekte von Anfang an hingewiesen.
c.
Das Bundesverwaltungsgericht hat sich in seinem Urteil vom 22. Juni
2005 (Aktenzeichen: 2 WD 12.04) ausführlich – die Entscheidung umfasst
136 Seiten – mit der Frage befasst, ob der Krieg gegen den Irak völkerrechtlich
zulässig war bzw. ist, und als was die Unterstützungshandlungen,
die die Bundesrepublik Deutschland erbracht hat, anzusehen und wie sie
völkerrechtlich einzuordnen sind. In dem von ihm entschiedenen
Fall ging es darum, dass sich ein Offizier der Bundeswehr geweigert hatte,
an der Entwicklung einer Software mitzuarbeiten, die nach seiner Auffassung
in einem völkerrechtswidrigen Krieg, nämlich im Krieg gegen den
Irak, verwendet werden könne. Das Bundesverwaltungsgericht hat die
Einwände des Soldaten uberprüft und ist zu dem Ergebnis gekommen,
dass der Soldat berechtigt war, den Gehorsam zu verweigern, weil er die
Ausführung des Befehls mit seinem Gewissen nicht habe vereinbaren
können. Denn gegen den Irak-Krieg und die deutschen Unterstützungshandlungen
bestünden gravierende völkerrechtliche Bedenken. Das Bundesverwaltungsgericht
brauchte diese Fragen nicht „durchzuentscheiden“, weil es aus seiner Sicht
für den Freispruch des Soldaten ausreichte, dass er sich mit diesen
Fragen gewissenhaft beschäftigt und auf ihrer Grundlage eine zu respektierende
Abwägung und Entscheidung getroffen hatte.
Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem Urteil die Gesichtspunkte abgehandelt, die auch in den ablehnenden Bescheiden des Generalbundes-anwalts, wenn auch nur sehr unvollkommen und oberflächlich und im Ergebnis falsch, eine Rolle gespielt haben. Die Argumente, die der Generalbundesanwalt damals vorgebracht hat, sind samt und sonders durch die Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts als widerlegt anzusehen.
4.
Im Einzelnen führt das Bundesverwaltungsgericht aus:
Zu den Resolutionen des UN-Sicherheitsrats (Seiten 73 bis 77 des Urteils):
Für einen Krieg gegen den Irak konnten sich die Regierungen der
USA und des
UK entgegen der von ihnen bei Beginn der Kampfhandlungen in förmlichen
diploma-
tischen Noten an den UN-Sicherheitsrat
zum Ausdruck gebrachten Rechtsauffas-
sung(en) auf keine sie ermächtigende Resolution(en) des UN-Sicherheitsrates
nach
Art. 39 und 42 UN-Charta stützen. In
diesen Noten haben sich die Regierung
der
USA am 21. März 2003 (UN Doc.S/2003/351) ausschließlich
und die Regierung des
UK (UN Doc.S/2003/350) maßgeblich zwar auf die vom UN-Sicherheitsrat
nach der
im Jahre 1990 durch irakische Streitkräfte erfolgten militärischen
Besetzung Kuwaits
verabschiedeten Resolutionen 678 (1990) und 687 (1991) berufen (vgl.
Bothe, Archiv
des Völkerrechts <AVR> 2003, 255 [259 f.]). Diese stellten
jedoch im Frühjahr 2003
keine völkerrechtlich wirksame Ermächtigungsgrundlage für
militärische Kampfhand-
lungen gegen den Irak dar.
Die UN-Resolution 678 vom 29. November 1990, mit der die Verbündeten
Kuwaits
seinerzeit vom UN-Sicherheitsrat autorisiert worden waren, „alle erforderlichen
Mittel"
(einschließlich militärischer) einzusetzen, um Kuwait von
den damals einmarschier-
ten irakischen Truppen zu befreien, kam für die militärischen
Kampfhandlungen der
USA und ihrer Verbündeten gegen den Irak im Frühjahr 2003
- und damit mehr als
ein Jahrzehnt später - als Ermächtigungsgrundlage nicht mehr
in Betracht (vgl. dazu
u.a. Bothe, AVR 2003, 255 [263 f.] m.w.N.). Denn das Ziel jener Ermächtigung
aus
dem Jahre 1990, nämlich die Vertreibung
der irakischen Aggressoren aus Kuwait,
war bereits im Jahre 1990/91 erreicht worden. Sie war damit gegenstandslos
gewor-
den und schied folglich als eine Ermächtigung für den Einsatz
militärischer Gewalt im
Jahre 2003 aus. Zudem waren 1990/91 weder die USA noch ihre Verbündeten
auto-
risiert worden, das Regime von Saddam Hussein im Irak mit militärischen
Mitteln zu
stürzen, zu entwaffnen und einen
politischen Systemwechsel herbeizuführen, was
aber die erklärten oder jedenfalls nachträglich eingeräumten
Ziele des im Frühjahr
2003 begonnenen Krieges waren.
Die des Weiteren von den Regierungen der USA und des UK in ihren zu
Beginn der
militärischen Kampfhandlungen gegen den Irak an den UN-Sicherheitsrat
versandten
Noten (UN Doc.S/2003/351 und UN Doc.S/2003/350)
herangezogene Resolution
687 (1991) vom 3. April 1991 über den Abschluss eines Waffenstillstandes
mit dem
Irak kam im Frühjahr 2003 als Ermächtigungsgrundlage für
den Krieg ebenfalls nicht
mehr in Betracht. Die umfangreiche Resolution enthielt seinerzeit zahlreiche
Bedin-
gungen einer förmlichen Feuereinstellung
(„cease-fire") zwischen Irak und Kuwait
und den mit Kuwait kooperierenden UN-Mitgliedsstaaten.
Zunächst wurde im Text
auf die früheren vom UN-Sicherheitsrat
verabschiedeten Resolutionen Bezug ge-
nommen und festgestellt, dass Kuwait seine Souveränität,
Unabhängigkeit und terri-
toriale Integrität zurückerhalten hat und dass seine Regierung
zurückgekehrt ist. An-
dererseits wurden damals dem Irak für den Fall eines weiteren
Einsatzes gasförmi-
ger oder bakteriologischer Waffen „ernste Konsequenzen" angedroht.
In Abschnitt C
der Resolution wurden die Verpflichtungen des Irak bezüglich seiner
Kampfstoffbe-
stände, Subsysteme und Komponenten sowie aller Forschungs-, Entwicklungs-,
Un-
terstützungs- und Produktionseinrichtungen festgehalten.
In Nr. 32 der Resolution
verlangte der UN-Sicherheitsrat, „dass Irak dem Sicherheitsrat mitteilt,
dass es Hand-
lungen des internationalen Terrorismus weder begehen noch unterstützen
wird und
dass es Organisationen, deren Ziel die
Begehung derartiger Handlungen ist, nicht
gestatten wird, auf seinem Hoheitsgebiet
zu operieren, und dass es alle terroristi-
schen Handlungen, Methoden und Praktiken unmissverständlich verurteilt
und davon
Abstand nimmt". In Nr. 33 der Resolution
erklärte der UN-Sicherheitsrat damals,
„dass, sobald Irak dem Generalsekretär und dem Sicherheitsrat
offiziell die Annahme
der vorstehenden Bestimmungen notifiziert, eine formelle Feuereinstellung
zwischen
dem Irak und Kuwait und den mit Kuwait gemäß Resolution
678 (1990) kooperieren-
den Mitgliedsstaaten in Kraft tritt".
In Übereinstimmung damit stellte der
UN-
Sicherheitsrat in der von ihm am 15. August 1991 beschlossenen weiteren
Resoluti-
on 707 (1991) fest, dass in Anbetracht der daraufhin erfolgten schriftlichen
Zustim-
mung des Irak dazu, die Resolution
687 (1991) vollinhaltlich durchzuführen, die
in
Nr. 33 der genannten Resolution gestellten
Vorbedingungen für eine Waffenruhe
(„cease-fire") erfüllt worden waren. Obwohl der UN-Sicherheitsrat
in der Resolution
707 (1991) zahlreiche Verstöße des Irak gegen die Resolution
687 (1991) feststellte,
sah er davon ab, die Waffenruhe aufzuheben. Auch eine spätere
Aufhebung dieser
rechtswirksam zustande gekommenen Waffenruhe
ist nicht erfolgt. Der Anspruch
einzelner Staaten, ungeachtet dessen eigenständig
über eine Aufkündigung dieser
Waffenruhe zu entscheiden, stand mithin
schon deshalb dazu in Widerspruch. Er
widersprach ferner der in der Resolution 687 (1991) vom UN-Sicherheitsrat
getroffe-
nen Feststellung, im UN-Sicherheitsrat selbst über weitere Schritte
zu entscheiden.
Für die – ungeachtet der 1991 rechtswirksam
zustande gekommenen Waffenruhe –
am 20. März 2003 erfolgte Aufnahme militärischer Kampfhandlungen
gegen den Irak
durch die USA und ihre Verbündeten ohne vorhergehende Ermächtigung
durch den
UN-Sicherheitsrat stellten die angeführten UN-Resolutionen keinen
Rechtfertigungs-
grund dar (im Ergebnis ebenso u.a. Ausarbeitung für die Wissenschaftlichen
Dienste
des Deutschen Bundestages vom 2. Januar 2003, in Ambos/Arnold <Hrsg.>,
a.a.O.
S. 224 [227 f.]; Bothe, AVR 2003, 255 [263 f.]).
Dies gilt auch für die – nach der 1991 erfolgten Beendigung des
Krieges des Irak ge-
gen Kuwait – in der Folgezeit vom UN-Sicherheitsrat damals verabschiedeten
Reso-
lutionen 688 (1991) vom 5. April 1991, 707 (1991) vom 15. August 1991,
715 (1991)
vom 11. Oktober 1991, 986 (1995) vom 14. April 1995 und 1284 (1999)
vom 17. De-
zember 1999. Soweit der UN-Sicherheitsrat diese Resolutionen über
die Einsetzung
und Entsendung eines UN-Inspektionsteams (UNSCOM
und seit 1999 UNMOVIC)
zum Aufspüren und Vernichten möglicher im Irak vorhandener
atomarer, biologischer
und chemischer Waffensysteme verabschiedete, ermächtigten diese
gerade nicht zur
Anwendung militärischer Gewalt gegen den Irak. Sie sahen weder
vor, dass die Ko-
operation mit dem UN-Inspektionsteam durch
militärische Mittel erzwungen, noch
dass gar das Regime von Saddam Hussein durch Krieg gestürzt werden
sollte. Dies
ergibt sich unmittelbar aus dem Wortlaut
der genannten Resolutionen und bedarf
keiner weiteren Begründung.
Auch alle weiteren in der Folgezeit vom UN-Sicherheitsrat zum Irak-Konflikt
gefass-
ten Resolutionen enthielten keine Autorisierung eines kriegerischen
Vorgehens der
Regierung der USA und ihrer Verbündeten gegen den Irak (so auch
Ausarbeitung für
die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen
Bundestages vom 2. Januar 2003,
a.a.O. [S. 228 ff.]; Bothe, AVR 2003,
255 [264 ff.]; Murswiek, NJW 2003, 1014
[1015 f.]; Bruha in Lutz/Gießmann <Hrsg.>, Die Stärke
des Rechts gegen das Recht
des Stärkeren, 2003, S. 289 ff. sowie
auf der Internetseite der Deutschen Gesell-
schaft für die Vereinten Nationen e.V., www.dgvn.de/publikationen).
Dies gilt insbe-
sondere für die nach wochenlangen Verhandlungen am 8. November
2002 vom UN-
Sicherheitsrat einstimmig verabschiedete Resolution
1441 (2002) (Originaltext in
englischer Sprache in: www.un.org./doc; deutsche Übersetzung in:
VN 2002, 232 f.).
Diese legte zwar ein relativ präzises inhaltliches und zeitliches
Regime für die an die
irakische Regierung gerichteten Forderungen sowie die Grundsätze
für die Arbeit der
Inspektionsteams der UNMOVIC und
der Internationalen Atomenergiebehörde
(IAEA) fest, das spätestens 45 Tage nach Verabschiedung der UN-Resolution,
mithin
spätestens am 23. Dezember 2002 mit seiner Tätigkeit im Irak
beginnen und diese
weitere 60 Tage später, also spätestens bis zum 21. Februar
2003 mit einem Bericht
an den UN-Sicherheitsrat abschließen sollte. Für den Fall,
dass die irakischen Stel-
len mit den Inspektionsteams nicht in vollem Maße zur Implementation
der Resoluti-
on kooperieren oder diese in irgendeiner Weise behindern sollten, wurden
der Vor-
sitzende der UNMOVIC, Hans Blix, und der Generaldirektor der IAEA,
Mohamed El-
Baradei, angewiesen, hierüber dem UN-Sicherheitsrat
unverzüglich zu berichten,
damit dieser über die entstandene Situation beraten konnte, um
„international peace
and security" zu sichern. Welche Entscheidungen der UN-Sicherheitsrat
in einer sol-
chen Situation dann fassen würde, wurde offen gelassen. Der UN-Sicherheitsrat
rief
in Nr. 13 dieser Resolution jedoch in Erinnerung, dass er in der Vergangenheit
den
Irak wiederholt gewarnt habe, und drohte, dass der Irak mit „ernsthaften
Konsequen-
zen" („serious consequences as a result of its continued violations
of its obligations")
rechnen müsse. Worin diese „serious consequences" bestehen würden,
konkretisier-
te er nicht. Nach wochenlangen Beratungen brachte der UN-Sicherheitsrat
in dieser
Resolution 1441 (2002) in Nr. 14 selbst
jedoch unmissverständlich zum Ausdruck,
dass er (auch nach ihrer Verabschiedung)
mit der Angelegenheit befasst bleiben
werde. Er stellte damit der Sache nach klar, dass er nicht bereit war,
die Angelegen-
heit aus der Hand zu geben, sondern
– wie in der UN-Charta vorgesehen – (auch)
künftig selbst darüber entscheiden wollte, welche Konsequenzen
aus einem Fehlver-
halten des Irak im Zusammenhang mit
der Durchsetzung der einschlägigen UN-
Resolution(en) gezogen werden sollten. Mit dieser Resolution 1441 (2002)
und ins-
besondere mit der in Nr. 13 gewählten
Formulierung („serious consequences")
sprach er mithin letztlich „lediglich" eine nicht näher bestimmte
Warnung aus, nahm
jedoch bewusst davon Abstand, die von den Regierungen der USA und des
UK an-
gestrebte Gewaltanwendung zu billigen oder sonstwie zu legitimieren.
Nur wenn der
UN-Sicherheitsrat ausweislich des Resolutionstextes
– innerhalb der von der UN-
Charta gezogenen Grenzen – eine Gewaltanwendung
positiv gebilligt hätte, wären
militärische Gewaltmaßnahmen gegen den Irak nach der UN-Charta
zulässig gewe-
sen. Ein diesbezügliches „Schweigen" oder
Offenlassen der Art der angedrohten
„ernsthaften Konsequenzen" reichte als Ermächtigungsgrundlage
nicht aus. Denn
grundsätzlich sind nach Art. 2 Ziff. 4 UN-Charta „jede" Androhung
und Anwendung
militärischer Gewalt gegen einen anderen
Staat völkerrechtswidrig, so lange nicht
der UN-Sicherheitsrat nach Maßgabe der UN-Charta Gegenteiliges
hinsichtlich der
Anwendung (und der Androhung) von Gewalt beschlossen hat oder der Ausnahme-
fall des Selbstverteidigungsrechts nach Art. 51 UN-Charta vorliegt.
Dem kann nicht
entgegengehalten werden, die Vertreter der USA und des UK hätten
im UN-Sicher-
heitsrat dann nicht für die schließlich verabschiedete Fassung
der Resolution 1441
(2002) gestimmt, wenn sie in den darin gefundenen Formelkompromissen
nicht zu-
mindest soviel Interpretationsspielraum gesehen
hätten, dass auch ihre Einschät-
zung einer erfolgten Ermächtigung zum Krieg gegen den Irak zumindest
vertretbar
wäre. Für die Ermittlung dessen, was der UN-Sicherheitsrat
in einer solchen Resolu-
tion beschlossen hat, ist aber nicht
entscheidend, was sich Regierungsbeauftragte
bei der Beratung und Beschlussfassung
im UN-Sicherheitsrat „gedacht" haben.
Vielmehr kommt es darauf an, was im Text der verabschiedeten Resolution
seinen
Niederschlag gefunden hat. Fehlt es daran,
mangelt es insoweit an einer entspre-
chenden Beschlussfassung. Mentalreservationen von
Regierungsbeauftragten oder
ihrer Auftraggeber sind völkerrechtlich insoweit nicht maßgeblich.
Wie der Text der
Resolution 1441 (2002) ausweist, ist eine Ausnahme vom grundsätzlichen
Gewalt-
anwendungsverbot vom UN-Sicherheitsrat gerade
nicht beschlossen worden. Von
einer Ermächtigung oder Autorisierung irgendeiner Regierung oder
eines Staates zur
Gewaltanwendung nach Kapitel VII der UN-Charta ist an keiner Stelle
die Rede. Der
Begriff „Autorisierung" („authorization") taucht im Resolutionstext
in diesem Zusam-
menhang nicht einmal auf. Der Versuch der Regierungen der USA, des
UK und des
Königreichs Spanien, durch eine weitere
Resolution später dann unmittelbar vor
Kriegsbeginn doch noch eine Ermächtigung für die Anwendung
militärischer Mittel zu
erreichen, fand im UN-Sicherheitsrat keine Mehrheit. Um eine Abstimmungsniederla-
ge zu vermeiden, wurde der entsprechende Resolutionsentwurf zurückgezogen.
Zur völkerrechtlichen Legitimität des Irak-Krieges (Seiten
72 bis 73 und Seiten 78 bis 80 des Urteils):
Gegen die von den Regierungen der USA und des UK am 20. März 2003
eingeleiteten offensiven militärischen Kampfhandlungen
gegen den Irak bestanden
bereits damals gravierende rechtliche Bedenken
im Hinblick auf das Gewaltverbot
der UN-Charta und das sonstige geltende Völkerrecht.
Grundsätzlich ist nach Art. 2 Ziff. 4
UN-Charta „jede" Androhung und Anwendung
militärischer Gewalt gegen einen anderen
Staat völkerrechtswidrig. Dieses strikte
Gewaltverbot ist nach der Rechtsprechung des Internationalen Gerichtshofs
(vgl. u.a.
„Military and Paramilitary Activities in
and against Nicaragua" <ICJ Reports 1996,
S. 14, 97 ff., Ziff. 183 ff.>) zugleich Bestandteil
des völkerrechtlichen Gewohnheits-
rechts und wird zum „ius cogens" gerechnet (vgl. dazu u.a. Heintschel
von Heinegg
in Knut Ipsen <Hrsg.>, Völkerrecht,
a.a.O., § 15 RNr. 53 ff. [59]; Kadelbach,
Zwin-
gendes Völkerrecht, 1992, S. 228 f. m.w.N.). Es verpflichtet alle
Staaten unmittelbar,
und zwar unabhängig davon, ob sie Mitglied der Vereinten Nationen
sind oder nicht.
Damit gehört das Gewaltverbot auch nach Art. 25 GG zu den „allgemeinen
Regeln
des Völkerrechts", die nach dieser Verfassungsnorm „Bestandteil
des Bundesrechts"
sind, den innerstaatlichen Gesetzen „vorgehen" sowie „Rechte und Pflichten
unmit-
telbar für die Bewohner des Bundesgebietes erzeugen".
Militärische Gewalt darf gegen den Willen des davon betroffenen
Staates unter der
Geltung der UN-Charta - ausnahmsweise - angewandt werden, nämlich
nur wenn ein
völkerrechtlicher Rechtfertigungsgrund dies im Einzelfall erlaubt.
Die UN-Charta sieht lediglich zwei solcher
Rechtfertigungsgründe vor. Zum einen
kann der UN-Sicherheitsrat nach gemäß Art. 39 UN-Charta
erfolgter förmlicher Fest-
stellung einer „Aggression", eines „Friedensbruches"
oder zumindest einer „Frie-
densgefährdung" die Anwendung militärischer Maßnahmen
beschließen und entwe-
der diese in eigener Verantwortung durchführen (Art. 42, 43 UN-Charta)
oder aber
hierzu andere Staaten (Art. 48 UN-Charta) oder ein „regionales System"
(Art. 53 UN-
Charta) ermächtigen. Die Anwendung militärischer Gewalt ist
ferner auch dann er-
laubt, wenn ein Staat allein oder im Zusammenwirken mit seinen Verbündeten
das
Selbstverteidigungsrecht nach Maßgabe des Art. 51 UN-Charta wahrzunehmen
be-
rechtigt ist.
Ein Staat, der sich - aus welchen Gründen auch immer - ohne einen
solchen Recht-
fertigungsgrund über das völkerrechtliche Gewaltverbot der
UN-Charta hinwegsetzt
und zur militärischen Gewalt greift, handelt völkerrechtswidrig.
Er begeht eine militä-
rische Aggression.
Für die im Frühjahr 2003 begonnenen militärischen Kampfhandlungen
gegen den Irak konnten sich die Regierungen
der USA und ihrer Verbündeten auch
nicht auf Art. 51 UN-Charta berufen.
Art. 51 UN-Charta gewährt nach seinem Wortlaut lediglich „im Falle
eines bewaffne-
ten Angriffs" (in der englischen Fassung: „if an armed attack occurs",
die insoweit von
den nach Art. 111 UN-Charta gleichermaßen maßgeblichen
anderen vier Vertrags-
sprachen keine Abweichungen aufweist) das naturgegebene Recht („inherent
right")
zur individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung,
bis der UN-Sicherheitsrat die
zur Wahrung des Weltfriedens und der
internationalen Sicherheit erforderlichen
Maßnahmen getroffen hat. Auch wenn hinsichtlich der Reichweite
und der Grenzen
dieses Selbstverteidigungsrechts eine Vielzahl von Zweifelsfragen besteht,
greift es
jedenfalls allein „im Falle" eines „bewaffneten Angriffs" ein. Die
Anwendung von Waf-
fengewalt muss durch den Angreifer bereits erfolgt sein oder erfolgen,
ehe militäri-
sche Verteidigungsschläge zulässig sind.
Allerdings besteht bislang keine hinreichende
Klarheit darüber, von welchem Zeit-
punkt an ein „bewaffneter Angriff" („armed attack") im Sinne des Art.
51 UN-Charta
vorliegt (vgl. dazu die Einzelnachweise zum Meinungsstand im in- und
ausländischen
Fachschrifttum bei Nolte in Ambos/Arnold <Hrsg.>, a.a.O., S. 303
[306 f.]; Bothe in:
Graf Vitzthum <Hrsg.>, Völkerrecht,
2. Aufl. 2001, 8. Abschn., RNr. 9; Breitwieser,
NZWehrr 2005, 45 [56 ff.]).
Von den Regierungen einzelner Staaten ist wiederholt unter Berufung
auf Art. 51 UN-
Charta oder Völkergewohnheitsrecht auch eine so genannte
„präventive Selbstver-
teidigung" in Anspruch genommen worden.
Dabei wurde argumentiert, angesichts
des erreichten Entwicklungsstandes und der Zerstörungskraft moderner
Waffen so-
wie der kurzen Vorwarnzeiten sei es nicht angezeigt zu erwarten, dass
Staaten zu-
nächst ihre drohende Verwüstung bereits durch den ersten
Waffeneinsatz des Gegners „abwarten" müssten, bevor
sie selbst militärisch tätig würden.
Dies ist jedoch umstritten geblieben (vgl.
dazu einerseits Randelzhofer in Simma <Hrsg.>,
Charta der Vereinten Nationen, 1. Aufl. 1991, Art. 51 RNr. 9 bis 14 sowie
34; ders. in Simma Hrsg.>, The Charter of the
United Nations, 2. Aufl. 2002, Art. 51 RNr.
39 m.w.N.; Horst Fischer in Knut Ipsen, Völkerrecht, a.a.O.,
§ 59 RNr. 30, sowie andererseits die Nachweise u.a. bei Murswiek,
a.a.O., [1016, Fußnote 12] und Nolte, a.a.O. [S. 307]). Ungeachtet
dessen haben einzelne Regierungen freilich in der Folgezeit immer wieder
ein solches Recht für sich und andere beansprucht. Eine gewohnheitsrechtlich
relevante allgemeine Anerkennung hat dies jedoch nicht gefunden. Solche
Militäreinsätze sind bis heute regelmäßig
auf Widerspruch gestoßen (vgl. dazu
die Einzelnachweise bei Bothe in Graf Vitzthum <Hrsg.>, a.a.O.,
Fußnote 22; Ausarbeitung für die Wissenschaftlichen
Dienste des Deutschen Bundestages vom 2.
Januar 2003, a.a.O. [S. 227 f.]).
Auch von denjenigen, die eine erweiternde Interpretation des Art. 51
UN-Charta be-
fürworten, wird die Anwendung militärischer Gewalt nach der
so genannten Webster-
Formel vom 24. April 1841 (zurückgehend auf den damaligen US-Außenminister
Da-
niel Webster) allenfalls in einer Gefahrenlage für zulässig
gehalten (vgl. dazu die Ein-
zelnachweise bei Nolte, a.a.O. [S. 307]), die „gegenwärtig und
überwältigend" ist und
„keine Wahl der Mittel und keinen Augenblick zur Überlegung lässt"
(„instant, overw-
helmig, leaving no choice of means and no moment for deliberation",
vgl. State Sec-
retary Webster, zitiert nach Horst Fischer
in Knut Ipsen, Völkerrecht, a.a.O.,
§ 53
RNr. 30). Die Herausbildung einer übereinstimmenden völkerrechtlichen
Staatenpra-
xis und einer gemeinsamen Rechtsüberzeugung („opinio iuris") über
das Bestehen
eines noch darüber hinausgehenden „präventiven
Selbstverteidigungsrechts" und
damit von entsprechendem Völkergewohnheitsrecht lässt sich
dagegen nicht feststel-
len. Eine solche Gefahrenlage („instant, overwhelming, leaving no choice
of means
and no moment for deliberation") lag selbst nach dem Vorbringen der
Regierungen
der USA und des UK im Frühjahr 2003 nicht vor. In ihren - oben
bereits angespro-
chenen - diplomatischen Noten an den
UN-Sicherheitsrat vom 21. März 2003 wird
Gegenteiliges nicht substantiiert behauptet.
Die ursprünglich öffentlich geltend ge-
machte Behauptung einer Bedrohung durch ABC-Waffen des Irak als Rechtfertigung
für den militärischen Gewalteinsatz blieb im Bereich der
politischen Erklärungen, war
jedoch insbesondere nicht Bestandteil der rechtlichen Rechtfertigung
gegenüber dem
UN-Sicherheitsrat. Sie wurde zudem von
maßgeblichen Mitgliedern der US-Re-
gierung relativiert oder gar zurückgenommen
(vgl. dazu u.a. Tomuschat, FW 78
<2003>, 141 [149], u.a. unter Hinweis auf ein vom US-Verteidigungsministerium
pu-
bliziertes Interview des stellvertretenden
US-Verteidigungsministers Paul Wolfowitz
in der Zeitschrift „Vanity Fair" vom 9. Mai 2003; Wolfowitz erklärte
darin, die offizielle
Kriegsbegründung der Regierung sei für
die Öffentlichkeit bestimmt gewesen und
dazu entwickelt worden, um in der
Administration „bürokratische" Widerstände
zu
überwinden und weil es „der eine Grund war, dem jeder zustimmen
konnte"; wichti-
ger sei es gewesen,
dass mit einem Erfolg im
Irak-Krieg die Präsenz von
US-Truppen im benachbarten Königreich
Saudi-Arabien tendenziell überflüssig
werde [www.defenselink.mil/transcripts/2003/tr20030509-depsecdef0223.html]).
Of-
fenkundig waren – wie auch der Inhalt ihrer diplomatischen Note an
den UN-Sicher-
heitsrat vom 21. März 2003 zeigt –
die Entscheidungsträger in der US-Regierung
selbst der Ansicht, dass der Irak kein geeigneter Fall war, um eine
Berufung auf ein
Selbstverteidigungsrecht nach Art. 51 UN-Charta zu rechtfertigen (so
zu Recht u.a.
Bothe, AVR 2003, 253 [261 f.]; vgl. ferner u.a. Horst Fischer, HuV-I
16 <2003>, 4 ff.,
6; Tomuschat, a.a.O. [144 ff.]; Kurth, ZRP 2003, 195 ff., jeweils m.w.N.).
Dementsprechend hat auch der Generalsekretär der Vereinten Nationen,
Kofi Annan,
die von den USA und ihren Verbündeten im Frühjahr 2003 ausgeführte
militärische
Invasion des Irak als „illegalen Akt" bezeichnet (vgl. u.a. dpa-Meldung
vom 16. Sep-
tember 2004).
Zu den Unterstützungshandlungen der Bundesrepublik Deutschland (Seiten 80 bis 85 des Urteils)
Nach den vom Senat getroffenen Feststellungen steht fest, dass die Bun-
desregierung der Bundesrepublik Deutschland
im Zusammenhang mit diesem am
20. März 2003 begonnenen Krieg insbesondere
die Zusagen machte und erfüllte,
den USA und dem UK für den Luftraum über dem deutschen Hoheitsgebiet
„Über-
flugrechte" zu gewähren, die Nutzung ihrer „Einrichtungen" in
Deutschland zu ermög-
lichen sowie für den „Schutz dieser Einrichtungen" in einem näher
festgelegten Um-
fang zu sorgen; außerdem hatte sie im Zusammenhang mit dem Irak-Krieg
dem wei-
teren Einsatz deutscher Soldaten in AWACS-Flugzeugen „zur Überwachung
des tür-
kischen Luftraums zugestimmt". Dies ist
in dem von dem Zeugen S. in der
Beru-
fungshauptverhandlung dem Senat überreichten
„Punktations-Papier" ausdrücklich
festgehalten, das der Zeuge in seiner
seinerzeitigen Eigenschaft als Leitender
Rechtsberater des S. auf seine Anforderung hin von der zuständigen
Stelle des Bun-
desministeriums der Verteidigung im Rahmen seiner Dienstaufgaben erhalten
hatte.
Der Senat hat keine Veranlassung, die Richtigkeit der in diesem Papier
dargestellten
Tatsachen in Zweifel zu ziehen, zumal weder der Bundeswehrdisziplinaranwalt
noch
der Soldat in der Berufungshauptverhandlung dagegen Einwände erhoben
haben.
Gegen die völkerrechtliche Zulässigkeit
dieser Unterstützungsleistungen bestehen
gravierende rechtliche Bedenken, die der
Sache nach für den Soldaten Veranlas-
sung waren, die Ausführung der ihm erteilten beiden Befehle zu
verweigern, weil er
sonst eine eigene Verstrickung in den Krieg befürchtete.
Ein Verstoß gegen das völkerrechtliche Gewaltverbot kann
nicht ohne Weiteres des-
halb verneint werden, weil die Regierung der Bundesrepublik Deutschland
öffentlich
wiederholt zum Ausdruck gebracht hatte
(vgl. u.a. Erklärung von Bundeskanzler
Schröder am 19 März 2003, 15. WP,
34. Sitzung, Verh. des Deutschen Bundesta-
ges, Bd. 216 S. 2727 C), „dass sich deutsche Soldaten an Kampfhandlungen
nicht
beteiligen werden". Die Unterstützung
einer völkerrechtswidrigen Militäraktion kann
nicht nur durch die militärische
Teilnahme an Kampfhandlungen erfolgen, sondern
auch auf andere Weise. Ein völkerrechtliches Delikt kann durch
ein Tun oder - wenn
eine völkerrechtliche Pflicht zu einem
Tun besteht – durch Unterlassen begangen
werden. (vgl. dazu u.a. von Münch,
Das völkerrechtliche Delikt, 1963, S. 134
m.w.N.). Eine Beihilfe zu einem völkerrechtlichen
Delikt ist selbst ein völkerrechtli-
ches Delikt (speziell zum Irak-Krieg vgl. insoweit u.a. Puttler, HuV-I
16 (2003), 7 f.;
Bothe, AVR 2003, 255 [266] m.w.N.).
Anhaltspunkte und Maßstäbe für die Beantwortung der
Frage, wann eine Hilfeleis-
tung durch eine Nicht-Konfliktpartei zugunsten eines kriegführenden
Staates völker-
rechtswidrig ist, ergeben sich für den Bereich der Unterstützung
eines völkerrechts-
widrigen militärischen Angriffs durch einen Drittstaat u.a. aus
der von der General-
versammlung der Vereinten Nationen am
14. Dezember 1974 ohne formelle Ab-
stimmung im Wege des allgemeinen Konsenses als Bestandteil der Resolution
3314
(XXIX) beschlossenen „Aggressionsdefinition" (abgedr. u.a. in der Sammlung
„Wehr-
recht" <Beck-Verlag, Stand 1. November 2004> unter Nr. 15), aus
den Arbeiten der
„Völkerrechtskommission" der Vereinten Nationen
(„International Law Commission"
– ILC –) sowie aus dem völkerrechtlichen
Neutralitätsrecht. Letzteres hat seine
Grundlage im Völkergewohnheitsrecht und im V. Haager Abkommen
(V. HA) betref-
fend die Rechte und Pflichten neutraler
Staaten im Falle eines Landkriegs vom
18. Oktober 1907 (RGBl. 1910 S. 151) in Deutschland in Kraft seit dem
25. Oktober
1910 (vgl. Bundesministerium der Justiz
<Hrsg.>, Fundstellennachweis B, Stand:
31. Dezember 2004, S. 238).
In Art. 3 Buchst. f) der o.g. „Aggressionsdefinition" heißt es,
dass als „Angriffshand-
lung" im Sinne des Art. 39 UN-Charta unter anderem folgende Handlung
anzusehen
ist:
„Die Handlung eines Staates, die in seiner Duldung besteht, dass sein
Ho-
heitsgebiet, das er einem anderen Staat
zur Verfügung gestellt hat, von
diesem anderen Staat dazu benutzt wird, eine Angriffshandlung gegen
ei-
nen dritten Staat zu begehen."
Selbst wenn bis heute zweifelhaft ist, ob die in Art. 3 aufgeführten
Schädigungshand-
lungen nicht nur einen „act of aggression" im Sinne von Art. 39 UN-Charta,
sondern
auch einen Fall des „armed attack"
im Sinne von Art. 51 UN-Charta darstellen,
kommt in Art. 3 jedenfalls eine gewichtige
in der Staatengemeinschaft vorhandene
Überzeugung zum Ausdruck: Dulden die
Organe eines Territorialstaates die Vor-
nahme von Angriffshandlungen eines „Fremdstaates"
oder unterlassen sie es, von
diesem Territorium aus unternommene militärische
Angriffshandlungen zu verhin-
dern, so sind die Angriffshandlungen
damit im Falle des Art. 3 Buchst. f)
der „Ag-
gressionsdefinition" auch dem betreffenden
Territorialstaat zuzurechnen (vgl. dazu
u.a. Kersting, NZWehrr 1981, 130 [139]).
Allerdings darf nicht übersehen werden,
dass die Generalversammlung der Vereinten
Nationen und die in ihr vertretenen
Staaten aller großen Rechtskreise mit dieser im Konsens beschlossenen
Resolution
seinerzeit nicht den Anspruch erhoben,
damit Völkerrecht „in verbindlicher Weise
festzuschreiben". Die „Aggressionsdefinition" stellt jedoch zumindest
ein nicht unwe-
sentliches Element eines universalen völkerrechtlichen Konsens-
und damit Rechts-
bildungsprozesses dar (vgl. dazu Bruha,
Die Definition der Aggression, 1980,
S. 274 f., Fischer in Knut Ipsen <Hrsg.> Völkerrecht, a.a.O.
§ 59 RNr. 10).
Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang ferner auch Art. 16 des von
der ILC,
die von der Generalversammlung der Vereinten Nationen mit einem entsprechenden
Kodifikationsauftrag betraut wurde (vgl. dazu u.a. von Münch,
a.a.O., S. 52 ff.; Knut
Ipsen in: ders. <Hrsg.>, Völkerrecht, a.a.O., § 39 RNr.
1 ff.>), erstellten Entwurfs zur
Staatenhaftung vom 26. Juli 2001 (abgedr. in Tomuschat <Hrsg.>,
Völkerrecht, 2001,
S. 97 ff.), der die diesbezügliche in den verschiedenen völkerrechtlichen
Rechtskrei-
sen vorhandene Grundauffassung wiedergibt und wie folgt lautet:
„A State which aids or assists another State in the commission of an
inter-
nationally wrongful act by the latter is internationally responsible
for doing
so if:
(a) that State does so with knowledge of the circumstances of
the interna-
tionally wrongful act; and
(b) the act would be internationally wrongful if committed by
that State."
Von Bedeutung für die Bestimmung
der völkerrechtlichen Grenzen von Unterstüt-
zungsleistungen, die ein an einem militärischen Konflikt nicht
unmittelbar beteiligter
Staat gegenüber einer Konfliktpartei erbringt, ist zudem vor allem
das V. HA, dessen
Regelungen auch in die vom Bundesministerium der Verteidigung erlassene
Zentrale
Dienstvorschrift (ZDv) 15/2 vom August 1992 aufgenommen worden sind.
Nach allgemeinem Völkerrecht ist ein Staat zwar grundsätzlich
frei zu entscheiden,
ob er sich an einem militärischen Konflikt beteiligt. Er darf
dies freilich ohnehin nur
auf der Seite des Opfers eines
bewaffneten Angriffs, nicht auf der des
Angreifers
(vgl. Nr. 1104 ZDv 15/2; Bothe in Fleck <Hrsg.>, Handbuch des humanitären
Völker-
rechts in bewaffneten Konflikten, 1994, S. 389). Ein Staat, der an
einem bewaffneten
Konflikt zwischen anderen Staaten nicht beteiligt ist, hat den Status
eines „neutralen
Staates" (vgl. Nr. 1101 ZDv 15/2; Bothe, ebd., S. 386 m.w.N.). Abgesehen
von den
Regeln, die im Falle einer rechtlich
begründeten „dauernden Neutralität" (z.B.
Schweiz und Österreich) bereits in
Friedenszeiten Anwendung finden, beginnt die
Pflicht eines nicht an einem bewaffneten Konflikt zwischen anderen
Staaten beteilig-
ten Staates („neutraler Staat") zur Neutralität im Sinne des V.
HA mit dem Ausbruch
des bewaffneten Konflikts (vgl. Nr. 1106 ZDv 15/2). Folge des neutralen
Status sind
gegenseitige Rechte und Pflichten zwischen dem neutralen Staat auf
der einen und
den Konfliktparteien auf der anderen Seite. Nach Art. 1 V. HA ist das
Gebiet eines
„neutralen", also nicht am bewaffneten
Konflikt beteiligten Staates, „unverletzlich";
jede Kriegshandlung ist darauf untersagt (vgl. dazu auch Nr. 1108 ZDv
15/2), insbe-
sondere „Truppen oder Munitions- oder
Verpflegungskolonnen durch das Gebiet
einer neutralen Macht hindurchzuführen" (Art. 2 V. HA). Ein „neutraler
Staat" – damit
also im Hinblick auf den allein
von den USA und ihren Verbündeten
seit dem
20. März 2003 geführten Krieg gegen
den Irak auch die Bundesrepublik Deutsch-
land – darf auf seinem Territorium „keine
der Konfliktparteien unterstützen" (vgl.
Nr. 1110 ZDv 15/2), insbesondere „keine der
in den Artikeln 2 bis 4 bezeichneten
Handlungen dulden" (Art. 5 V. HA). Dies
gilt sowohl für die Hindurchführung
von
Truppen, Munitions- oder Verpflegungskolonnen
(Art. 5 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 V. HA;
Nr. 1115 ZDv 15/2: Truppen- oder Versorgungstransporte
dürfen auf neutralem
Staatsgebiet „nicht stattfinden"; Heintschel
von Heinegg in Horst Fischer/Ulrike
Froissart/Wolff Heintschel von Heinegg/Christian Raap <Hrsg.>, Krisensicherung
und
Humanitärer Schutz – Crisis Management
and Humanitarian Protection, Festschrift
für Dieter Fleck, 2004, S. 221 [226]) als auch für die Einrichtung
oder Nutzung einer
„funkentelegraphischen <‚radiotélégraphique'> Station
oder sonst irgend eine(r) An-
lage, die bestimmt ist, einen Verkehr mit den kriegführenden Land-
oder Seestreit-
kräften zu vermitteln" (Art. 5 Abs. 1 i.V.m. Art. 3 Buchst. a)
und b) V. HA). Den Kon-
fliktparteien ist es weiterhin „untersagt, mit Militärluftfahrzeugen,
Raketen oder ande-
ren Flugkörpern in neutralen Luftraum einzudringen" (Nr. 1150
ZDV 15/2 unter Be-
zugnahme auf Art. 40 der Haager Regeln
des Luftkrieges vom 19. Februar 1923
(HLKR - Teil 14 der ZDv 15/3); Bothe, AVR 2003, 255 [267]). Im Verhältnis
zu einer
Konfliktpartei, die den Verboten der Art. 1 bis 4 V. HA zuwiderhandelt,
im Sinne des
V. HA Territorium eines neutralen Staates mithin als Basis für
militärische Operatio-
nen im weitesten Sinne nutzt, ist der „neutrale Staat" zum aktiven
Tätigwerden und
damit zum Einschreiten verpflichtet, um die Neutralitätsverletzung
zu beenden (vgl.
dazu u.a. Nr. 1109 ZDv 15/2 unter Bezugnahme
auf Art. 5 V. HA sowie Art. 2, 9
und 24 XIII. HA; Bothe, ebd.; Heintschel von Heinegg in Festschrift
für Dieter Fleck,
a.a.O., S. 224). Der „neutrale Staat"
ist völkerrechtlich gehalten, „jede Verletzung
seiner Neutralität, wenn nötig mit
Gewalt, zurückzuweisen", wobei diese Verpflich-
tung allerdings durch das völkerrechtliche Gewaltverbot eingeschränkt
ist. Streitkräfte
einer Konfliktpartei, die sich auf dem Gebiet des „neutralen Staates"
befinden, sind
daran zu hindern, an den Kampfhandlungen teilzunehmen; Truppen von
Konfliktpar-
teien, die auf das neutrale Staatsgebiet „übertreten", also nach
Beginn des bewaffne-
ten Konflikts in das neutrale Staatsgebiet
gelangen, sind „zu internieren" (Art. 11
Abs. 1 V. HA; Nr. 1117 Satz 1 ZDv 15/2; Bothe, ebd.; Heintschel von
Heinegg, ebd.,
S. 225). Nur Offiziere, die sich auf Ehrenwort verpflichten, das neutrale
Gebiet nicht
ohne Erlaubnis zu verlassen, dürfen
freigelassen werden (Art. 11 Abs. 3 V. HA;
Heintschel von Heinegg, ebd., S. 225).
Die Pflicht zur Internierung ergibt sich
aus
dem Sinn und Zweck des Neutralitätsrechts, da nur so verhindert
werden kann, dass
von neutralem Territorium aus Kampfhandlungen
unterstützt werden und dass es
dadurch zu einer Eskalation der bewaffneten Auseinandersetzungen unter
Einbezie-
hung des neutralen Staates kommt (vgl. Heintschel von Heinegg, ebd.,
S. 225).
Zu den Bündnisverpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland (Seiten 85 bis 95 des Urteils):
Von diesen völkerrechtlichen Verpflichtungen
wurde die Bundesrepublik
Deutschland im Falle des am 20. März 2003 begonnenen Krieges,
gegen den gravie-
rende völkerrechtliche Bedenken bestehen, nicht dadurch freigestellt,
dass sie Mit-
glied der NATO war und ist, der auch die Krieg führenden USA und
das UK (sowie
weitere Mitglieder der Kriegskoalition) angehören.
In dem „Punktations-Papier" des Bundesministeriums der Verteidigung,
das dem Se-
nat in der Berufungshauptverhandlung vorgelegt worden ist und nach
den glaubhaf-
ten Bekundungen des Zeugen S. mit der Leitung des Ministeriums abgestimmt
war,
wird zwar angeführt, die Bundesregierung habe mit ihren Zusagen
ihren „politischen
Verpflichtungen Rechnung getragen, die sich aus dem NATO-Vertrag sowie
den ent-
sprechenden Abkommen ergeben" (ähnlich
Bundeskanzler Schröder in der bereits
zitierten Rede am 19. März 2003,
a.a.O., S. 2728). Weder der NATO-Vertrag
vom
4. April 1949 (BGBl. 1955 II S. 289) – dazu
nachfolgend a) – noch das NATO-
Truppenstatut vom 19. Juni 1951 (BGBl. 1961 II S. 1190) oder das Zusatzabkommen
zum NATO-Truppenstatut vom 3. August 1959 (BGBl. 1961 II S. 1183, 1218)
in der
hier maßgeblichen Fassung des Abkommens
vom 18. März 1993 (BGBl. 1994 II
S.2594, 2598) – dazu nachfolgend b)– sehen jedoch eine Verpflichtung
der Bundes-
republik Deutschland vor, entgegen der UN-Charta und dem geltenden
Völkerrecht
- völkerrechtswidrige - Handlungen von NATO-Partnern zu unterstützen.
Gleiches gilt
hinsichtlich der Regelungen im „Vertrag über den Aufenthalt ausländischer
Streitkräf-
te in der Bundesrepublik
Deutschland" vom 23. Oktober 1954
(BGBl. 1955 II
S. 253) - dazu nachfolgend c). Darüber
hinausgehenden „politischen" Erwartungen
oder Absichten darf durch die im
demokratischen Rechtsstaat des Grundgesetzes
strikt an „Recht und Gesetz" nach
Art. 20 Abs. 3 GG gebundene Bundesregierung
nur insoweit Rechnung getragen werden, wie dies mit geltendem Völker-
und Verfas-
sungsrecht vereinbar ist.
a) Ein NATO-Staat, der einen völkerrechtswidrigen Krieg plant
und ausführt, verstößt
nicht nur gegen die UN-Charta, sondern zugleich auch gegen Art. 1 NATO-Vertrag.
Darin haben sich alle NATO-Staaten verpflichtet,
„in Übereinstimmung mit der Satzung der Vereinten Nationen
jeden inter-
nationalen Streitfall, an dem sie beteiligt sind, auf friedlichem Wege
so zu
regeln, dass der internationale Friede, die Sicherheit und die Gerechtigkeit
nicht gefährdet werden und sich in ihren internationalen Beziehungen
jeder
Gewaltandrohung oder Gewaltanwendung zu enthalten, die mit den Zielen
der Vereinten Nationen nicht vereinbar sind."
Art. 1 NATO-Vertrag war bei seinem Abschluss Ausdruck des Willens aller
Vertrags-
staaten, zwar einerseits die Möglichkeiten
der UN-Charta zur Schaffung einer wir-
kungsvollen Verteidigungsorganisation auf der
Grundlage von Art. 51 UN-Charta
auszuschöpfen, andererseits jedoch strikt
die Grenzen einzuhalten, die durch die
UN-Charta gezogen sind. Das heißt zugleich, dass ein durch Art.
51 UN-Charta nicht
gerechtfertigter Krieg auch keinen „NATO-Bündnisfall"
nach Art. 5 NATO-Vertrag
darstellen oder rechtfertigen kann: Was gegen die UN-Charta verstößt,
kann und darf
die NATO nicht beschließen und durchführen, auch nicht auf
Wunsch oder auf Druck
der Regierungen besonders wichtiger Mitgliedsstaaten. Art. 7 NATO-Vertrag
hebt die
Bindung aller NATO-Staaten an die UN-Charta nochmals besonders hervor.
In der
Vorschrift heißt es unmissverständlich,
dass der NATO-Vertrag „weder die Rechte
und Pflichten, welche sich für die (NATO-Vertrags-)Parteien, die
Mitglieder der Ver-
einten Nationen sind, aus deren Satzung
(= UN-Charta) ergeben", berührt; er
darf
auch nicht „in solcher Weise ausgelegt
werden". Ein gegen die UN-Charta versto-
ßender Angriffskrieg eines NATO-Staates
kann mithin selbst durch die Ausrufung
des „NATO-Bündnisfalles" nicht zum Verteidigungskrieg werden.
Im Falle des am 20. März 2003 von den Regierungen der USA und
des UK (zusam-
men mit weiteren Verbündeten) begonnenen Krieges gegen den Irak
lag noch aus
einem weiteren Grund kein „Bündnisfall" der NATO vor. Art. 5 NATO-Vertrag
normiert
eine völkerrechtliche Beistandspflicht für jede Vertragspartei
„nur" im Falle eines be-
waffneten Angriffs „gegen eine oder mehrere von ihnen in Europa oder
Nordameri-
ka". Der Umfang dieser Beistandspflicht ist dabei ausdrücklich
offen gelassen wor-
den. Im zweiten Halbsatz des Artikels ist geregelt, dass jede Vertragspartei
„Beistand leistet, indem jede von ihnen
unverzüglich für sich und im Zu-
sammenwirken mit den anderen Parteien die Maßnahmen, einschließlich
der Anwendung von Waffengewalt, trifft,
die sie für erforderlich erachtet,
um die Sicherheit des nordatlantischen Gebiets wiederherzustellen
und zu
erhalten."
Für den Eintritt des Bündnisfalles ist die räumliche
Belegenheit des Angriffsobjektes
maßgebend: Nach Art. 6 NATO-Vertrag gilt
als bewaffneter Angriff im Sinne des
Art. 5 auf eine oder mehrere Parteien jeder Angriff mit Waffengewalt
„1. auf das Gebiet eines dieser Staaten in Europa oder Nordamerika,
(in-
zwischen aufgehoben: auf die algerischen Departments Frankreichs,)
auf
das Gebiet der Türkei oder auf die der Gebietshoheit einer der
Parteien un-
terliegenden Inseln im nordatlantischen Gebiet nördlich des Wendekreises
des Krebses;
2. auf die Streitkräfte, Schiffe oder Flugzeuge einer der Parteien,
wenn sie
sich in oder über diesen Gebieten oder irgendeinem anderen europäischen
Gebiet, in dem eine der Parteien
bei Inkrafttreten dieses Vertrages eine
Besatzung unterhält, oder wenn sie
sich im Mittelmeer oder nordatlanti-
schen Gebiet nördlich des Wendekreises des Krebses befinden."
Daraus ergibt sich, dass ein bewaffneter Angriff im Sinne des Art. 5
NATO-Vertrag
nicht vorliegt, wenn etwa Schiffe oder Flugzeuge außerhalb des
in Art. 6 näher be-
stimmten Vertragsgebietes angegriffen werden oder wenn gar „lediglich"
in politische,
ökonomische oder militärische Interessen
einer oder mehrerer NATO-Vertragspar-
teien eingegriffen wird, ohne dass ein militärischer Angriff in
dem durch Art. 6 NATO-
Vertrag definierten „NATO-Gebiet" erfolgt und abzuwehren ist. Auch
ein durch völker-
rechtswidrige Gewaltanwendung durch einen NATO-Mitgliedsstaat
provozierter An-
griff unterfällt nicht dem strikt
an Art. 51 UN-Charta orientierten Angriffsbegriff
im
Sinne der Art. 5 und 6 NATO-Vertrag.
Wer die Entscheidung darüber trifft, ob ein „bewaffneter Angriff"
im Sinne des Art. 6
NATO-Vertrag vorliegt, ist im Wortlaut des Vertrages nicht ausdrücklich
geregelt wor-
den. Im Fachschrifttum ist früher teilweise
die Auffassung vertreten worden, der
NATO-Bündnisfall trete bei Vorliegen der in Art. 6 NATO-Vertrag
normierten Voraus-
setzungen automatisch ein. Dafür könnte
der Wortlaut der Bestimmung insofern
sprechen, als es darin heißt, dass
als „bewaffneter Angriff" im Sinne des
Art. 5
NATO-Vertrag jeder bewaffnete Angriff auf eines der in den Nrn. 1 und
2 genannten
Zielobjekte „gilt". Art. 5 Abs. 1 NATO-Vertrag umschreibt jedoch die
Beistandspflicht
ausdrücklich dahingehend, dass jede Partei im Bündnisfall
„für sich und im Zusam-
menwirken mit den anderen Parteien" diejenigen Maßnahmen trifft,
die „sie" zur Wie-
derherstellung und Erhaltung der Sicherheit des nordatlantischen Gebiets
„für erfor-
derlich erachtet". Die Vertragsstaaten sind „lediglich" gehalten, die
von ihren (nach
dem innerstaatlichen Verfassungsrecht) dazu berufenen Organen für
erforderlich ge-
haltenen Maßnahmen auf Bündnisebene aufeinander abzustimmen.
Bestimmte Ge-
genmaßnahmen werden durch Art. 5 NATO-Vertrag nicht vorgeschrieben.
Der US-Senatsausschuss für „Auswärtige
Angelegenheiten" hat diese sich bereits
aus dem Regelungszusammenhang der Art. 5 und 6 NATO-Vertrag ergebende
Kon-
sequenz (im Rahmen des Ratifizierungsverfahrens)
in seinem Bericht vom 6. Juni
1949 ausdrücklich zum Ausdruck gebracht und erklärt, dass
im Konfliktfall „jeder Par-
tei die Verantwortung obliege, selbst die Tatsachenfrage zu entscheiden",
ob ein An-
griff im Sinne des Art. 6 NATO-Vertrag vorliegt. Die anderen Vertragsparteien
sind
dieser amerikanischen Position weder in den Verhandlungen noch später
entgegen-
getreten, sondern haben sie konkludent akzeptiert (vgl. dazu u.a. Heindel
u.a. in A-
merican Journal of International Law
(AJIL) 1949, 634 [647]; Knut Ipsen,
Rechts-
grundlagen und Institutionalisierung der Atlantisch-Westeuropäischen
Verteidigung,
1967, S. 47 ff.; ders., JöR 21 <1972>, 23 ff.; ders.,
AöR 94 <1969>, 554). Das Bun-
desverfassungsgericht hat dementsprechend entschieden, „dass der NATO-Vertrag
es jedem Vertragsstaat überlässt
zu beurteilen, ob ein Bündnisfall im
Sinne des
Art. 5 Abs. 1 vorliegt" (Urteil vom 18. Dezember 1984 – 2 BvE 13/83
– <BVerfGE 68, 1
[93]>). Für diese Auslegung
spricht neben der vom zuständigen
US-Senats-
ausschuss wiedergegebenen erfolgreichen amerikanischen
Verhandlungsposition
auch die völkerrechtliche Auslegungsmaxime des „in dubio mitius":
Wenn weder der
Vertragstext noch andere Anhaltspunkte für
den wirklichen Parteiwillen hinreichen-
den Aufschluss über das Vereinbarte
geben, sind völkervertragsrechtliche Bestim-
mungen, die Beschränkungen der staatlichen
Entscheidungs- und Gestaltungsfrei-
heit enthalten, im Zweifel einschränkend auszulegen.
Eine explizite authentische Interpretation durch die Vertragsparteien
(Art. 31 Abs. 2
und Abs. 3 WVK) ist, soweit ersichtlich, bislang nicht erfolgt. Im
bisher einzigen Fall
einer tatsächlichen (positiven) Feststellung
des NATO-Bündnisfalles (vgl. Art. 31
Abs. 3 Buchst. b) WVK) sind die NATO-Staaten nach den terroristischen
Anschlägen
vom 11. September 2001 in New York und Washington nach der Maxime verfahren,
dass der NATO-Vertrag es jedem Vertragsstaat überlässt zu
beurteilen, ob ein Bünd-
nisfall im Sinne des Art. 5 Abs. 1 vorliegt. Ihre Vertreter haben Anfang
Oktober 2001
nach zuvor erfolgten Entscheidungen ihrer jeweiligen Regierung im NATO-Rat
(ein-
stimmig) einen solchen Fall nach Art.
5 und 6 NATO-Vertrag förmlich festgestellt.
Erst nach Ergehen dieses Beschlusses
lag nach gemeinsamer Überzeugung der
NATO-Staaten ein „Bündnisfall" im Sinne des NATO-Vertrages vor.
Im Falle des am 20. März 2003 begonnenen Krieges gegen den Irak
ist vom NATO-
Rat ein solcher „Bündnisfall" nicht beschlossen worden. Unabhängig
davon, dass ein
durch Art. 51 UN-Charta nicht gerechtfertigter „Präventivkrieg"
völkerrechtlich keinen
„NATO-Bündnisfall" nach Art. 5 NATO-Vertrag
darstellen oder rechtfertigen kann,
war mithin schon deshalb kein NATO-Staat
nach dem NATO-Vertrag verpflichtet,
NATO-Partner mit militärischen Mitteln
im Irak-Krieg zu unterstützen. Ein durch
Art. 51 UN-Charta nicht gerechtfertigter Krieg
begründet bereits nach den Art. 1, 5
und 6 NATO-Vertrag keine Beistandsverpflichtungen, sondern steht diesen
– wie ins-
besondere die Regelung in Art. 1 NATO-Vertrag deutlich macht – gerade
entgegen.
Der NATO-Vertrag enthält darüber
hinaus einen ausdrücklichen rechtlichen Vorbe-
halt, wonach keine Vertragspartei durch den NATO-Vertrag oder durch
spätere Ent-
scheidungen bei der Durchführung des
Vertrages (z.B. Beschlüsse in den NATO-
Gremien) gezwungen werden kann, gegen die eigene Verfassung zu verstoßen
(sog.
„protective clause"). Auf nachdrückliches
Betreiben der damaligen US-Regie-
rungsadministration des Präsidenten Truman ist 1949 in die „Urfassung"
des NATO-
Vertrages die Klausel aufgenommen worden, die sowohl seine Ratifizierung
als auch
seine Durchführung in Art. 11 Satz 1
einem ausdrücklichen Verfassungsvorbehalt
unterstellt. In dieser Regelung wird explizit bestimmt, dass
der NATO-Vertrag „von
den Parteien in Übereinstimmung mit ihren verfassungsmäßigen
Verfahren zu ratifi-
zieren und in seinen Bestimmungen durchzuführen ist". Damit sind
mögliche Konflik-
te zwischen dem NATO-Vertrag, seiner Durchführung und daraus (für
die Mitglieds-
staaten) resultierenden Verpflichtungen einerseits und der jeweiligen
Verfassung des
einzelnen Mitgliedsstaates andererseits von vornherein entschieden
worden. Die ver-
fassungsrechtliche Regelung des jeweiligen Bündnis- und Vertragspartners
geht im
Konfliktfalle der NATO-Vertragsregelung (und den zur Durchführung
des Vertrages
getroffenen Entscheidungen) vor. Es gibt
nach dem NATO-Vertrag mithin keine
rechtlichen Bündnisverpflichtungen jenseits
des Verfassungsrechts des jeweiligen
Mitgliedsstaates und damit auch nicht jenseits der durch Art. 20 Abs.
3 GG begrün-
deten Bindung der (deutschen) „vollziehenden Gewalt" an „Recht und
Gesetz" sowie
an die „allgemeinen Regeln des Völkerrechts" (Art. 25 GG).
Gegenteiliges ergibt sich auch nicht
aus den Regelungen des NATO-Trup-
penstatuts und des Zusatzabkommens zum NATO-Truppenstatut.
Nach allgemeinem Völkerrecht, das auch in internationalen Übereinkommen
seinen
Niederschlag gefunden hat (vgl. u.a. Art. 1 des Abkommens über
die internationale
Zivilluftfahrt vom 7. Dezember 1944 – so genanntes
Chicagoer Abkommen <BGBl.
1956 II, S. 411>) – besitzt jeder Staat im Luftraum über seinem
Hoheitsgebiet „volle
und ausschließliche Lufthoheit". Sind allerdings – wie in Deutschland
– ausländische
Truppen stationiert, so werden Umfang und Grenzen ihrer Bewegungsfreiheit
regel-
mäßig in speziellen völkerrechtlichen Abkommen geregelt.
Nach der am 6. Mai 1955
erfolgten Aufhebung des Besatzungsregimes geschah dies in Deutschland
in Gestalt
des am 1. Juli 1963 in Kraft getretenen (vgl. BGBl. 1993 II S. 745)
so genannten Zu-
satzabkommens (ZA-NTS 1959), das das NATO-Truppenstatut ergänzte.
In der bis 1994 geltenden Fassung dieses Zusatzabkommens, das in diesem
Bereich
die Regelungen aus der Besatzungszeit als Vertragsrecht weitgehend
fortführte, war
den in Deutschland im Rahmen der NATO stationierten US-Truppen eine
sehr weit-
gehende Bewegungsfreiheit im deutschen Luftraum eingeräumt: Eine
„Truppe" war
berechtigt, mit Luftfahrzeugen „die Grenzen der Bundesrepublik zu überqueren
sowie
sich in und über dem Bundesgebiet zu bewegen" (Art. 57 Abs. 1
ZA-NTS 1959). Im
Zuge der Neufassung des Zusatzabkommens ist diese Regelung im Jahre
1994 ge-
ändert worden (BGBl. 1994 II
S. 2594, 2598). Danach bedarf nunmehr
die in
Deutschland stationierte „Truppe" grundsätzlich jeweils einer
Genehmigung durch die
deutsche Bundesregierung, wenn sie mit Land-, Wasser- oder Luftfahrzeugen
in die
Bundesrepublik „einreisen oder sich in
und über dem Bundesgebiet bewegen" will
(Art. 57 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 ZA-NTS
1994). Der Genehmigungsvorbehalt ist
schon nach dem Wortlaut der Vorschrift eindeutig. Allerdings wird diese
grundsätzli-
che Genehmigungspflicht im folgenden zweiten Halbsatz des Art.
57 Abs. 1 Satz 1
ZA-NTS 1994 teilweise wieder eingeschränkt. Die Vorschrift lautet:
„Transporte und andere Bewegungen im Rahmen
deutscher Rechtsvor-
schriften, einschließlich dieses Abkommens
und anderer internationaler
Übereinkünfte, denen die Bundesrepublik und einer oder mehrere
der Ent-
sendestaaten als Vertragspartei angehören,
sowie damit im Zusammen-
hang stehender technischer Vereinbarungen und Verfahren gelten als
ge-
nehmigt."
Mit anderen Worten: Soweit dieser zweite
Halbsatz eingreift, bedarf es keiner Ge-
nehmigung für die „Einreise" und alle Bewegungen mit Luftfahrzeugen
„in und über
dem Bundesgebiet". Wie weit der Anwendungsbereich
dieser Regelung reicht, ist
nach den allgemeinen völkerrechtlichen Auslegungsregeln zu ermitteln.
Nach ihrem Wortlaut ist gemäß Art. 57 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz
2 ZA-NTS für die fikti-
ve „Vorabgenehmigung" durch diese Vorschrift („gelten als genehmigt")
maßgeblich,
ob die „Transporte und anderen Bewegungen" der stationierten Truppe
im Rahmen
der deutschen Rechtsvorschriften und der genannten Abkommen erfolgen.
Verstößt
eine Aktivität der stationierten Truppe in Deutschland oder im
Luftraum darüber ge-
gen eine solche Rechtsvorschrift, so entfällt die „Vorabgenehmigung"
durch das Zu-
satzabkommen.
Für die Interpretation der Regelung ist ferner ihr Kontext, also
der Zusammenhang, in
dem sie steht (vgl. Art. 31 Abs. 1
WVK), von Bedeutung. Insoweit ist das
Regel-
Ausnahme-Verhältnis zu beachten: Sie ist als Ausnahme von
dem im allgemeinen
Völkerrecht geltenden Grundsatz der vollen Hoheitsgewalt jedes
Staates über sein
Territorium und seiner „vollen und ausschließlichen Lufthoheit"
über seinem Hoheits-
gebiet ausgestaltet. Als Ausnahmevorschrift ist sie mithin nach allgemeinen
Ausle-
gungsgrundsätzen („singularia non sunt extendenda") eng auszulegen.
Die Regelung des Art. 57 Abs. 1 Satz 1
ZA-NTS – und zwar sowohl in ihrer Ur-
sprungsfassung als auch in der Neufassung von 1994 – betrifft zudem
wie sich schon
aus ihrem Wortlaut ergibt, nur die Bewegungen von Luftfahrzeugen einer
„Truppe"
(sowie eines „zivilen Gefolges", ihrer „Mitglieder und Angehörigen"),
mithin also nicht
jede „Einreise" von Militärluftfahrzeugen
aus einem Vertragsstaat in die Bundesre-
publik Deutschland. Was im Sinne dieser Vorschrift als „Truppe" zu
verstehen ist, ist
in Art. I Abs. 1 Buchst. a) des NATO-Truppenstatuts
definiert: „Truppe" ist danach
das zu den Land-, See- oder Luftstreitkräften gehörende Personal
einer Partei (des
NATO-Truppenstatuts), „wenn es sich im
Zusammenhang mit seinen Dienstoblie-
genheiten in dem Hoheitsgebiet" einer Vertragspartei, hier also Deutschlands,
„befin-
det". Es geht also bei der durch Art. 57 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 ZA-NTS
unter be-
stimmten Voraussetzungen für Militärluftfahrzeuge von Vertragsstaaten
generell ge-
nehmigten „Einreise in die Bundesrepublik" und Bewegungsfreiheit „in
und über dem
Bundesgebiet" allein um die im NATO-Rahmen stationierten Truppenteile.
Denn die
Stationierungsbefugnisse auf deutschem Boden sind den USA und dem UK
„um ihrer
Stellung als Mitglieder der nordatlantischen Verteidigungsgemeinschaft
willen und im
Hinblick auf die daraus
entspringenden Verpflichtungen eingeräumt
worden"
(BVerfG, Urteil vom 18. Dezember 1984 – 2 BvE 13/83 – <a.a.O. [98]>).
Sollen dage-
gen außerhalb des NATO-Rahmens in den USA oder im UK stationierte
Truppenteile
mit Militärluftfahrzeugen etwa auf ihrem Weg in das Kriegsgebiet
lediglich den deut-
schen Luftraum benutzen oder auf ihnen in Deutschland überlassenen
Flugplätzen
zwischenlanden, um aufzutanken, Material oder Waffen aufzunehmen und
anschlie-
ßend – ohne „NATO-Auftrag" – in das
außerhalb des „NATO-Gebiets" gelegene
Kriegsgebiet weiterzufliegen, bleibt es bei der grundsätzlichen
Genehmigungsbedürf-
tigkeit. Der Krieg der USA und des UK gegen den Irak war kein „NATO-Krieg".
Er
erfolgte außerhalb der Entscheidungsstrukturen der NATO.
Entsprechendes gilt für die in Deutschland gelegenen Militär-Stützpunkte.
In diesen
Liegenschaften, die den stationierten Streitkräften „zur
ausschließlichen Benutzung
überlassen" worden sind, dürfen diese nach Art. 53 Abs. 1
ZA-NTS „die zur befriedi-
genden Erfüllung ihrer Verteidigungspflichten
erforderlichen Maßnahmen treffen".
Nach Abs. 2 der Vorschrift gilt dies „entsprechend für Maßnahmen
im Luftraum über
den Liegenschaften". Ungeachtet aller sonstigen
Auslegungsschwierigkeiten ergibt
sich daraus für die zuständigen deutschen Stellen, d.h. vor
allem für die Bundesre-
gierung, im Konfliktfall – jedenfalls rechtlich – die Befugnis zu kontrollieren,
ob die Sta-
tionierungsstreitkräfte auf den überlassenen Liegenschaften
(sowie im Luftraum da-
rüber) im Einzelfall ausschließlich
„Verteidigungspflichten" im Sinne des Zusatzab-
kommens und des NATO-Vertrages wahrnehmen
oder aber andere Maßnahmen
vorbereiten oder gar durchführen. Art. 53 Abs. 3 ZA-NTS soll dabei
– nach dem Ver-
tragstext – ausdrücklich sicherstellen, dass die deutschen Behörden
„die zur Wahr-
nehmung deutscher Belange erforderlichen Maßnahmen" innerhalb
der Liegenschaf-
ten durchführen können. Was dabei zur „Wahrnehmung deutscher
Belange" erforder-
lich ist, ist, soweit ersichtlich, weder in dieser Bestimmung noch
in anderen Abkom-
men im Einzelnen definiert. Die Konkretisierung
der „deutschen Belange" und die
Festlegung der Mittel zu ihrer Durchsetzung
ist damit zuvörderst Aufgabe der zu-
ständigen deutschen Behörden und
damit insbesondere der Bundesregierung, die
dabei freilich nach Art. 20 Abs. 3 GG an „Recht und Gesetz" und nach
Art. 25 GG an
die „allgemeinen Regeln des Völkerrechts" gebunden ist. Zur „Wahrnehmung
deut-
scher Belange" im Sinne der genannten
Regelungen gehört jedenfalls u.a. auch,
dass alle erforderlichen Maßnahmen eingeleitet und vorgenommen
werden, die ver-
hindern, dass etwa vom Territorium der
Bundesrepublik Deutschland aus völker-
rechtswidrige Kriegs-Handlungen erfolgen oder unterstützt werden.
Dies gilt um so
mehr, als sich Deutschland im Zuge der Wiedervereinigung in Art. 2
des Vertrages
über die abschließende Regelung
in Bezug auf Deutschland (so genannter
Zwei-
Plus-Vier-Vertrag) vom 12. September 1990 (BGBl. II S. 1318), der die
maßgebliche
Grundlage der im Jahre 1990 erfolgten Herstellung der staatlichen Einheit
Deutsch-
lands bildet, völkerrechtlich verpflichtet hat, dafür zu
sorgen, „dass von deutschem
Boden nur Frieden ausgehen wird".
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem „Vertrag über den
Aufenthalt aus-
ländischer Streitkräfte in der Bundesrepublik
Deutschland" vom 23. Oktober 1954,
dem so genannten Aufenthaltsvertrag (AV). In Art. 1 Abs. 4 AV wurde
zwar die Rege-
lung getroffen, dass die Bundesrepublik
Deutschland „auf der gleichen Grundlage,
nach der dies zwischen anderen Parteien des Nordatlantikpaktes" (=
NATO-Vertrag)
„üblich ist oder mit Wirkung für
alle Mitgliedsstaaten im Rat der Nordatlantikpakt-
Organisation vereinbart wird", unter anderem
den amerikanischen und britischen
Streitkräften das Recht gewährt, „das Bundesgebiet auf dem
Wege nach oder von
Österreich (so lange diese dort
weiter stationiert sind) oder irgendeinem
Mitglieds-
staat der Nordatlantikpakt-Organisation zu betreten, es zu durchqueren
und zu ver-
lassen". Unabhängig von der Frage, ob der Aufenthaltsvertrag gemäß
seinem Art. 3
mit dem in Gestalt des Zwei-Plus-Vier-Vertrages vom 12. September 1990
erfolgten
„Abschluss einer friedensvertraglichen Regelung mit Deutschland" außer
Kraft getre-
ten ist oder ob er aufgrund der zwischen den beteiligten Regierungen
gewechselten
diplomatischen Noten einstweilen fort gilt,
beschränkt sich Art. 1 Abs. 4 AV schon
nach seinem Wortlaut eindeutig darauf, das Bundesgebiet auf dem Wege
nach oder
von „irgendeinem Mitgliedstaat der Nordatlantikpakt-Organisation" zu
betreten, es
zu durchqueren und zu verlassen. Die in Art. 1 Abs. 4 AV eingeräumten
Rechte be-
ziehen sich mithin
allein auf Transitvorgänge
vom Gebiet eines
NATO-
Mitgliedstaates in das Bundesgebiet oder von diesem aus in das Territorium
eines
NATO-Mitgliedstaates. Eine Regelung für das Betreten, Durchqueren
oder Verlassen
des Bundesgebietes „auf dem
Wege nach oder von" irgendeinem
Nicht-
Mitgliedsstaat der NATO enthält der Aufenthaltsvertrag gerade
nicht.
Dies gilt auch für den Fall, dass zwischen der Bundesrepublik
Deutschland sowie
den USA und dem UK völkerrechtliche Geheim-Abkommen geschlossen
worden sein
sollten, die für den Fall eines militärischen Konflikts Gegenteiliges
vorsehen, jedoch
– entgegen Art. 102 UN-Charta – nicht beim
Sekretariat der Vereinten Nationen re-
gistriert und veröffentlicht worden sind.
Unabhängig davon, ob solche Geheim-Abkommen überhaupt rechtliche
Wirkungen
auszulösen vermögen, ist jedenfalls die Vorschrift des Art.
103 UN-Charta zwingend
zu beachten, die folgenden Wortlaut hat:
„Widersprechen sich die Verpflichtungen von Mitgliedern der Vereinten
Na-
tionen aus dieser Charta und ihre Verpflichtungen aus anderen internatio-
nalen Übereinkünften, so haben die
Verpflichtungen aus dieser Charta
Vorrang."
Art. 103 UN-Charta stellt ganz allgemein den Vorrang des Rechts der
UN-Charta ge-
genüber Verpflichtungen aus allen anderen völkerrechtlichen
Abkommen fest. Dies
hat im vorliegenden Zusammenhang die
Konsequenz, dass aus solchen – für den
Senat nicht ersichtlichen, jedoch nicht auszuschließenden – Geheim-Abkommen
für
die USA und für das UK gegenüber Deutschland jedenfalls keine
Rechte und Ver-
pflichtungen ableitbar sind, die der UN-Charta widersprechen, also
etwa gegen das
Gewaltverbot des Art. 2 Ziff. 4 UN-Charta verstoßen.
Wie sich aus den vorstehenden Darlegungen
ergibt, bestehen gegen mehrere im „Punktations-Papier" des Bundesministeriums
der Verteidigung aufgeführte und vom Senat in der Berufungshauptverhandlung
festgestellte Unterstützungsleistungen der Bundesrepublik Deutschland
zugunsten der USA und des UK im Zusammenhang mit dem am 20. März 2003
begonnenen Krieg gegen den Irak gravierende völkerrechtliche Bedenken.
Dies gilt jedenfalls für die Gewährung von Überflugrechten
für Militärluftfahrzeuge der
USA und des UK, die im Zusammenhang mit dem Irak-Krieg über das
Bundesgebiet
hinweg in das Kriegsgebiet in der Golfregion flogen oder von dort zurückkamen.
E-
benfalls gilt dies für die Zulassung der Entsendung von Truppen,
des Transports von
Waffen und militärischen Versorgungsgütern
von deutschem Boden aus in das
Kriegsgebiet sowie für alle Unternehmungen,
die dazu führen konnten, dass das
Staatsgebiet Deutschlands als Ausgangspunkt
oder „Drehscheibe" für gegen den
Irak gerichtete militärische Operationen diente. Denn objektiver
Sinn und Zweck die-
ser Maßnahmen war es, das militärische Vorgehen der USA
und des UK zu erleich-
tern oder gar zu fördern. Wegen dieser Zielrichtung bestehen gegen
das diesbezüg-
liche Verhalten der Bundesregierung im Hinblick auf das völkerrechtliche
Gewaltver-
bot und die angeführten Bestimmungen des V. HA gravierende völkerrechtliche
Be-
denken (vgl. Bothe, AVR 2003, 255 [268]).
Ob diese gravierenden völkerrechtlichen Bedenken auch für
die Beteiligung von Sol-
daten der Bundeswehr an Einsätzen von AWACS-Flügen über
der Türkei und ihre
Verwendung zur Bewachung von Kasernen sowie von militärischen
und zivilen Ein-
richtungen der US-Streitkräfte in Deutschland
gelten, ist nicht zweifelsfrei. Bei den
AWACS-Flügen hängt die Beantwortung der Frage maßgeblich
davon ab, ob die bei
diesen Einsätzen gewonnenen Daten für die Kriegshandlungen
im Irak von Bedeu-
tung waren und ob die Streitkräfte der USA und des UK darauf de
facto Zugriff hat-
ten. Die Vereinbarkeit des Schutzes und der Bewachung von in Deutschland
gelege-
nen Einrichtungen der US-Streitkräfte durch die Bundeswehr mit
geltendem Völker-
recht war davon abhängig, ob damit entsprechende Aufgaben der
in das Kriegsge-
biet verlegten US-Verbände gleichsam stellvertretend und kompensatorisch
wahrge-
nommen wurden, um diesen den Abzug entsprechender Truppen in das Kriegsgebiet
zu ermöglichen oder zu erleichtern. Wäre dies der Fall gewesen,
bestünden wegen
dieses Verstoßes gegen das in Art.
5 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 V. HA normierte
Verbot,
„keine der Konfliktparteien zu unterstützen" (vgl. Nr. 1110 Satz
1 ZDv 15/2), gravie-
rende völkerrechtliche Bedenken.
5.
Mit diesen Ausführungen in einem höchstrichterlichen Urteil
wird sich der Generalbundesanwalt sorgfältig auseinanderzusetzen haben.
Er wird sich die Mühe machen müssen, das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts
aufmerksam zu lesen, auch wenn es mit seiner Sicht der Dinge, die wohl
identisch ist mit der Sicht der Bundesregierung, nicht übereinstimmt.
Er muss eine endgültige Antwort auf die Fragen gegen, die das Bundesverwaltungsgericht
aufgeworfen hat. Das Resümee, das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts
sei nicht „einschlägig“, wäre ebenso oberflächlich wie falsch.
Das Urteil ist in jeder Beziehung „einschlägig“. Man muss sich nur
mit ihm beschäftigen. Das Ergebnis der strafrechtlichen Prüfung
des angezeigten Sachverhalts einerseits und die völkerrechtliche Bewertung
des Vorgehens der Vereinigten Staaten von Amerika sowie der hierzu geleisteten
Unterstützungshandlungen andererseits ist durchaus deckungsgleich.
Man muss den Unterstützungshandlungen nur den Stellenwert geben, den
sie tatsächlich hatten. Der deutsche Beitrag war erheblich, sehr erheblich
sogar. Ohne die Unterstützungshandlungen Deutschlands hätten
die USA und ihre Verbündeten den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg
gegen den Irak nicht so führen können, wie er geführt worden
ist.
Eine Beihilfe zu einem völkerrechtlichen Delikt ist selbst ein völkerrechtliches Delikt. Ein Staat, der einem anderen Staat sein Hoheitsgebiet zur Verfügung stellt, wird, wenn der andere Staat die Überlassung dazu benutzt, eine Angriffshandlung gegen einen dritten Staat zu begehen, und der überlassende Staat dies duldet, so behandelt, als sei er selbst der angreifende Staat.
Es kann keineswegs dahinstehen, ob der Krieg gegen den Irak und die Besatzung des Landes völkerrechtswidrig sind oder nicht. Es macht einen großen Unterschied, ob die Beihilfe zu einem völkerrechtsgemäßen oder zu einem völkerrechtswidrigen Krieg geleistet worden ist. Die Frage muss beantwortet werden, weil sich nur auf diese Weise die Unterstützungshandlungen der deutschen Bundesregierung richtig zuordnen und bewerten lassen.
Ich gehe davon aus, dass dem Generalbundesanwalt das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts in der vollständigen Fassung vorliegt.
6.
Was ein völkerrechtswidriger „Angriffskrieg“ ist, lässt sich ohne Schwierigkeit definieren, wenn man sich auf diese Frage konzentriert und nicht abschweift, beispielsweise Theorien wie die von der angeblichen Rechtmäßigkeit eines „Präemptivschlages“ erörtert, die im Völkerrecht außer von den nach alleiniger Weltmacht strebenden USA bislang von keinem ernsthaft vertreten werden, und die hier schon deshalb nicht zur Diskussion stehen können, weil es an den tatsächlichen Voraussetzungen fehlt. Ein Staat, der über keine Massenvernichtungswaffen verfügt und auch mit Terroristen nicht paktiert, stellt keine, auch keine potenzielle, Gefahr für den Weltfrieden und die Völkergemeinschaft dar. Natürlich kann jeder Staat eines Tages im Besitz von Massenvernichtungswaffen sein, mit denen er andere Staaten bedroht. Hier „prophylaktisch“ einzugreifen, würde bedeuten, dass man rund um die Uhr in allen Regionen der Welt Kriege gegen alle möglichen Staaten führen könnte und dürfte.
7.
Der Generalbundesanwalt schreibt in seinem Bescheid vom 01. April 2003 auf Seite 7:
„ … Strafbarkeit soll nur dann eintreten, wenn eine evidente Verletzung des Gewaltverbots vorliegt, die Tathandlung mithin nach den Regeln des Völkerrechts eindeutig zu missbilligen ist …“
Diese Eindeutigkeit ist hier gegeben.
8.
In den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen nach dem Zweiten Weltkrieg war die Vorbereitung und das Führen von Angriffskriegen der Hauptanklagepunkt. Die Planung, Vorbereitung, Einleitung oder Führung eines Angriffskrieges oder eines Krieges unter Verletzung internationaler Verträge, Vereinbarungen oder Zusicherungen oder Teilnahme an einem gemeinsamen Plan oder einer Verschwörung zur Ausführung einer der vorgenannten Handlungen, wurde als Verbrechen gegen den Frieden angesehen.
Das Internationale Tribunal erklärte damals, dass „Krieg im Wesentlichen etwas Böses ist. Seine Folgen beschränken sich nicht nur auf die Krieg führenden Staaten, sondern sie treffen die ganze Welt. Einen Angriffskrieg einzuleiten ist daher nicht nur ein internationales Verbrechen, es ist das größte internationale Verbrechen und unterscheidet sich von anderen Kriegsverbrechen insofern, als dass es die Summe des gesamten Bösen in sich enthält."
In den Jahren 1945/46 waren die Vereinigten Staaten die nachdrücklichsten Verfechter der These, dass das Einleiten eines Angriffskriegs ein Verbrechen darstellt. Der Oberste Richter Robert Jackson, der als Hauptankläger der Vereinigten Staaten fungierte, erklärte, dass die Rechtsprinzipien der Nürnberger Prozesse von universeller Gültigkeit seien. Er betonte, dass
„wenn bestimmte Verstöße gegen ein Abkommen ein Verbrechen darstellen, ist dies sowohl der Fall, wenn die Vereinigten Staaten sie begehen, als auch wenn Deutschland sie begeht. Wir sind nicht bereit, kriminelle Verhaltensregeln gegen andere festzulegen, deren Anwendung wir nicht auch gegen uns zulassen würden."
Und Sir Hartley Shawcross, der britische Hauptankläger, erklärte in seiner Eröffnungsrede vor dem Nürnberger Kriegsverbrechertribunal:
„Wenn dies [die individuelle strafrechtliche Verantwortlichkeit] eine Neuerung darstellt, so handelt es sich um eine längst überfällige Neuerung, eine wünschenswerte und segensreiche Neuerung, die mit der Gerechtigkeit, mit dem gesunden Menschenverstand und mit den ewigen Zielen des Völkerrechts voll übereinstimmt.“
9.
Dass die deutsche Bundesregierung das wahr gemacht hat, was sie durch Bundeskanzler Schröder angekündigt hatte, ist offenkundig. Von der Umsetzung der von Schröder angekündigten Unterstützungsleistungen geht auch der Generalbundesanwalt aus, wenn er auf Seite 2 seines Bescheides vom 01. April 2003 ausführt:
Bundeskanzler Schröder hat sowohl vor dem Deutschen Bundestag als auch bei zahlreichen anderen Gelegenheiten bekundet, Deutschland werde sich an einem Krieg gegen den Irak unter keinen Umständen beteiligen. Er hat weiterhin erklärt, dass Deutschland im Falle eines militärischen Vorgehens gegen den Irak seine Bündnispflichten erfüllen und den Vereinigten Staaten von Amerika sowie der NATO Überflug-, Bewegungs- und Transportrechte gewähren werde. Zum Schütze des Bündnisgebietes würden AWACS-Flugzeuge mit deutschen Soldaten besetzt sein.
Dieser Punkt bedarf also keiner weiteren Aufklärung.
10.
Dass durch Art. 26 GG i.V. mit § 80 StGB lediglich die Vorbereitung eines Angriffskrieges unter Strafe gestellt werde, nicht jedoch seine Durchführung, ist pure Rabulistik. Der Durchführung eines Krieges geht logischerweise ein Stadium seiner Vorbereitung voraus. Kriege „aus dem Stand“ gibt es nicht.
11.
Richtig ist, dass in § 80 StGB die Strafbarkeit der Vorbereitung oder Durchführung eines Angriffskrieges davon abhängig ist, dass die Gefahr eines Krieges für die Bundesrepublik Deutschland herbeigeführt wird. Was unter einer solchen „Kriegsgefahr“ zu verstehen ist, muss sich an den Kriterien orientieren, die moderne Kriege, insbesondere den so genannten Krieg gegen den Terrorismus, auszeichnen. In einem solchen Krieg stehen sich nicht mehr zwei feindliche Parteien „symmetrisch“, sondern „asymmetrisch“ gegenüber. Die eine Partei setzt ihr modernes Waffenpotenzial ein, die andere Partei, die dem nichts Gleichwertiges entgegenzusetzen hat, agiert eher im Untergrund. In diesem Sinne ist die Bundesrepublik Deutschland durch ihre, wenn auch indirekte, Teilnahme am Irak-Krieg einer erhöhten Terror- und damit Kriegsgefahr ausgesetzt. Der Krieg gegen den Irak hat den Terrorismus nach Europa gebracht. Siehe die Ereignisse in Madrid im März 2004 sowie in London im Juli diesen Jahres. Ein gleiches Schicksal kann jederzeit die Bundesrepublik Deutschland ereilen.
12.
Die Bundesrepublik Deutschland bezeichnet sich als Rechtsstaat. In einem solchen Staat sollte es eigentlich nicht vorkommen, dass man großspurig durch entsprechende Regelungen im Grundgesetz und im Strafgesetzbuch einen „Angriffskrieg“ ächtet und unter Strafe stellt, dann jedoch im Falle eines Falles so tut, als lasse sich nicht feststellen, was überhaupt ein „Angriffskrieg“ ist. Das ist ein beschämender Vorgang, der mit den Worten „Heuchelei“ oder „Doppelzüngigkeit“ noch sehr milde umschrieben ist.
13.
Wir bitten, uns den Eingang dieses Schriftsatzes zu betätigen und
uns mitzuteilen, unter welchem Aktenzeichen der Vorgang nunmehr bearbeitet
wird. Im übrigen verweisen wir auf unser Vorbringen in den früheren
Verfahren (Aktenzeichen: siehe oben).
Mit freundlichen Grüßen
(Armin Fiand) (Dr. Alexander Bahar)