21. Februar 2007:
Politischer Aschermittwoch in Duisburg-West

Hüseyin Aydin (DIE LINKE) über Steuerschwindel, Männerfreundschaften und Kampfeinsätze
 
 


Aschermittwoch ist ein Tag, an dem Menschen Bilanz ziehen.
Ich sage: Es ist Zeit, Bilanz zu ziehen über das, was uns so vorgerechnet wird. Und
das, was sie uns nicht sagen. Denn sie hoffen: Der Schein bestimmt das Bewusstsein.
Nehmen wir das Lieblingsthema aller Unternehmer, die Steuern.
Auf dem Papier fordert Deutschland von den Unternehmen mehr Steuern als in vielen
EU-Ländern. Was sie uns nicht sagen: In keinem Land gibt es so viele Möglichkeiten für
Konzerne, Steuern zu sparen wie in Deutschland.
Die reale Steuerquote für Unternehmen in der EU beträgt zwischen 28 und 32%. In
Deutschland liegt sie bei 21% – im Durchschnitt.
Das sieht dann praktisch so aus: 2002 machte die Deutsche Bank 3,6 Milliarden Euro
Gewinn. Es war das Jahr nach der großen Steuerreform unter rot-grün. Die Steuerlast
der Deutschen Bank betrug gerade noch 400 Millionen Euro. Macht eine Steuerquote
von 11 Prozent.
Im abgelaufenen Jahr 2006 erklärte die Deutsche Bank nun, den größten Gewinn ihrer
Geschichte gemacht zu haben. Und gleichzeitig verkündete sie: Der Abbau einiger
Tausend Stellen sei unvermeidbar.
Angeblich ist das ja alles, um mehr Arbeitsplätze zu schaffen. Was haben die Unternehmer
und ihre Tintenkulis nicht herumgejault: Der Reformstau ist schuld! Wenn erst
einmal die Steuern heruntergefahren werden, dann gibt es auch mehr Anreiz, Leute
einzustellen. Doch nach der großen Steuerreform von 2001, die ihnen Milliarden in die
Kassen gespült haben, sind immer noch mehr Leute arbeitslos geworden.
Ich sage Euch: Wenn ein Arbeiter so wenig für sein Geld leistet, dann war er die längste
Zeit Arbeiter. In Deutschland musst du Unternehmer sein, um dafür belohnt zu werden,
dass du deine Versprechen nicht hältst.
So geht das nun schon seit über zwei Jahrzehnten. Die Unternehmen machen Riesenprofite.
Und ihre Ideologen erklären, nichts funktioniert besser als der freie Markt. Nur
nicht, wenn gerade Tarifverhandlungen anstehen.
Im Moment erleben wir das. Kurt Beck sagt – „die Reformen beginnen zu wirken“. Irgendein
Tölpel findet sich dann, der als erstes vom „Jobwunder“ spricht.
Was sie nicht sagen: Über 90 Prozent der 2006 entstandenen sozialversicherungspflichtigen
Arbeitsplätze sind Teilzeitjobs. 300.000 Arbeitslose werden in 1-Euro-Jobs
versteckt. Von diesen Ein-Euro-Jobbern wechseln nicht einmal 15% in ein ordentliches
Arbeitsverhältnis.
Beck will uns einreden: Gesetze wie Hartz-IV, die 10-Euro-Praxis-Gebühr, die Mehrwertsteuererhöhung
– das alles ist gut für Euch! Doch wehe, die IG Metall fordert ihren
Teil vom Kuchen. Dann heißt es: „Das zarte Pflänzchen Aufschwung darf nicht gefährdet
werden“ usw.
Schlimmer noch: Mindestlöhne! Die sind nur dafür da, dass sich die SPD auf dem Papier
als sozialer als die CDU darstellen kann. Doch real einführen, nein – das grenzt ja
an Sozialismus. 1,92 Euro für ein Zimmermädchen im Hamburger Luxushotel „Dorint
Sofitel“ reicht doch, um den Gästen die Betten zu beziehen. Oder nicht? Kurt Beck hatte
dort dem Vernehmen nach noch keine Probleme beim Einschlafen.
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So kommt es, dass in Deutschland 3,8 Millionen Menschen trotz Vollzeitarbeit nach offizieller
Definition in Armut leben. Und es wird nicht besser, wenn die Mehrwertsteuer
erhöht wird. Oder eine Praxisgebühr eingeführt wird. Oder die Arbeitslosenhilfe auf Sozialhilfeniveau
gesenkt wird.
Oder noch besser: die Rente mit 67 eingeführt wird. Es ist schon verrückt: Da wächst
der Reichtum, den die Arbeiter und Angestellten produzieren, Jahr um Jahr. Zur Belohnung
aber sollen wir … noch länger arbeiten! Jeder weiß, dass man auf dem Bau oder
im Schichtdienst im Krankenhaus körperlich voll fit sein muss. Wie soll man mit 66 noch
diese Leistungen bringen?
Natürlich weiß das auch Beck, Münte und Struck. Die rechnen anders: Du kannst ja
weiterhin mit 65 in Rente gehen. Allerdings mit einem Abschlag von über 7 Prozent!
Tolle Variante: Entweder noch weniger Rente – nachdem wir bereits in den letzten drei
Jahren Nullrunden gefahren haben ! – oder aber sich bis ins Grab hineinarbeiten. Und
den Jungen vorher noch die Arbeitsplätze wegnehmen.
Für die hat die Regierung ja auch vorgesorgt: Denn alle Unter-26-Jährigen sind ja dank
Hartz-IV nicht mehr ALG-2 berechtigt, sondern dürfen nun bei ihren arbeitenden Rentnereltern
zu Hause bleiben.
Nun arbeiten nicht mehr die Jungen für die Rente der Alten. Sondern die Alten schaffen
die Kohle für Essen und Miete der jungen Erwachsenen ran.
Tolle Leistung für eine Regierung, die von „Alt-68ern“ wie Schröder und Fischer geführt
wurde! Die wissen wirklich, wie in einer Gesellschaft Generationskonflikte entstehen.
Aber sie haben vergessen, dass 1968 diese Konflikte das ganze alte verstaubte politische
System umgewälzt haben. Nächstes Mal sind es nicht die Erben Adenauers und
Erhards, die fallen. Nächstes Mal ist ihres Gleichen dran.
Denn die Leute merken es natürlich, dass die Reformen der rot-grünen und der
schwarz-roten Regierungen komischerweise immer nur den Unternehmern zugute
kommen. Eine der Hauptfunktionen der Regierungspolitik besteht deshalb darin, sie
nach Möglichkeit von den Schlussfolgerungen abzulenken.
Und dann holen sie gerne „die Ausländer“ hervor. Erst waren es die „Gastarbeiter“,
dann die „Asylanten“. Nun sind es die „Islamisten“. Gemeint sind eigentlich alle Moslems,
aber „Islamisten“ klingt gefährlicher.
Die haben zwar alle nichts mit der Arbeitslosigkeit zu tun. Aber sie lenken prima davon
ab. Ich gebe euch ein Beispiel.
Erinnert ihr Euch an den Dezember 2004? Nein? Hunderttausende hatten kurz zuvor
auf den Montagsdemonstranten gegen Hartz IV demonstriert. Die Arbeitslosigkeit war
dabei, die 5 Millionen-Grenze zu überspringen.
Da machten die Zeitungen in Berlin, Hauptstadt der BRD, auf Seite 1 in riesigen Lettern
auf: „ISLAM-KILLER“ schrieb der Berliner Kurier. Die BILD-Zeitung titelte: „TERRORALARM
in Berlin!“
Es war so etwas wie der 11. September, konnte man meinen. In der ganzen Stadt suchten
Polizei und Geheimdienste fieberhaft nach einem LKW, randvoll mit Sprengstoff
beladen. Anschlagsziel: der so genannte irakische Regierungschef Allawi, zu dieser Zeit
gerade in Berlin auf Staatsbesuch.
Und doch kann sich – anders als an den 11. September 2001 – kaum noch jemand
dran erinnern. Kein Wunder. Denn die Springer-Zeitungen hatten den Anschlag einer
„islamistischen Terrorzelle“ auf den irakischen Regierungschef einfach frei erfunden.
Auch den LKW gab es nicht. Das hinderte den damaligen Innenminister Schily nicht
daran, einen „großen Erfolg“ im Kampf gegen den Terror zu verkünden. Denn die Polizei
hatte einen Libanesen und drei Irakis verhaftet.
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Die Kampagnen kommen und gehen, aber der Inhalt bleibt derselbe. Mal sind es islamistische
Terroristen, dann Integrationsunwillige, mit denen sie uns Angst machen. Ohne
die Medien würde es die in der Lebensrealität von Millionen gar nicht geben.
Irgendein Dahergelaufener erfindet ein Schlagwort, zum Beispiel „Russenmafia“. Oder
die verloren gegangene „Leitkultur“. Und dann plappern es die Medienmacher hinterher.
Denn die mögen Pappnasen, die Steuererklärungen auf Pappdeckeln unterbringen wollen.
Wer erinnert sich an die Parallelgesellschaften? Noch so’n Schlagwort. Parallelgesellschaften:
Das erinnert an Geheimgesellschaften. An Menschen, die sich hinter verschlossenen
Türen in halbverfallenen Häusern zusammenraufen, nicht unsere Sprache
sprechen, und kriminelle Machenschaften aushecken. Macht echt Angst. Bevor sie wieder
spurlos aus dem Medienwald verschwanden, schienen sie Deutschland fest im Griff
zu haben.
Ich erzähle euch was über die wahre Parallelgesellschaft: Sie wohnen in bewachten
Villenghettos und schotten sich von uns ab. Sie wollen nicht fotografiert werden und
geheim halten, wie viel Geld sie haben.
Ich spreche von den Reichen. Sie gehen in Restaurants und Klubs, die sich andere
nicht leisten können. Mit anderen Menschen sprechen sie kaum. Ist auch besser so,
weil man sie ohnehin schlecht versteht. Sie reden von „EuroStoxx“, „Shareholdervalue“
oder „Operativen Gewinn“.
Mit dieser Sprache vertuschen die Reichen nur eins: Dass sie faul sind und andere für
sich arbeiten lassen. Nehmen wir Theo Albrecht, den Besitzer von „Aldi“. An der Kasse
hat er noch nie gesessen. Dennoch beträgt sein „Stundenlohn“ 409.000 Euro. Seine
Kassiererinnen verdienen das in dreißig Jahren. Brutto.
Die Reichen sind auch die schlimmsten Verbrecher. Ich zitiere den Kriminalitätsexperten,
Prof. Dr. Hans See. Er sagt: „Viele Millionen kleiner Straftäter können in einem Jahr
nicht den Schaden anrichten, den wenige der Großen an einem Tag verursachen.“
Deshalb fordert See: „Der größte Teil der Polizei und sonstigen staatlichen Ordnungskräfte
müsste sich auf die Kriminalität der Mächtigen, der Reichen und einflussreichen
konzentrieren.“
Das passiert leider nicht. Warum? Deutschland zählt 775.000 integrationsunwillige Millionäre.
Das sind zum Glück nicht so viele. Aber sie haben mächtige Freunde. Insbesondere
haben sie Freunde auf der Seite, auf der sie eigentlich keine hätten haben dürfen.
Ich spreche von den Sozialdemokraten. Die lassen sich erst wählen, um dann das Gegenteil
zu machen, was ihre Wähler sich so vorgestellt haben.
Nehmen wir die Mehrwertsteuer. Also: Merkel kündigte im Wahlkampf an – wir erhöhen
die Mehrwertsteuer um 2%. Das fanden viele nicht gut, deshalb entschieden sich am
Ende nicht wenige doch noch für die SPD.
Nach dem Motto: Lieber schlimm als noch schlimmer. Denn die SPD hat gesagt: Mit
uns gibt es keine „Merkel“-Steuer.
Nun haben sie sich zusammengetan und nennen das „Große Koalition“. Der Durchschnittsmensch,
der sich nicht in dem Paralleluniversum zwischen Deutscher Bank und
Kanzleramt bewegt, kalkuliert: Die CDU will 2% Erhöhung, die SPD will 0 Prozent Erhöhung.
Na, dann werden sie sich wohl in der Mitte treffen. Zwischen 2 und 0 liegt bekanntlich
1. Doch auf einmal heißt es: 3 Prozent Mehrwertsteuererhöhung!!
Seltsame Logik. Aber nicht unspannend. Wenn zum Beispiel die IG Metall in den laufenden
Tarifverhandlungen 6,5 Prozent fordert, und der Verband der Metall- und Elektroindustrie
sagen wir 2 Prozent anbietet, dann träfen sich beide dann bei 7,5%.
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Ich kann mich noch gut erinnern, wie sich Schröder als erstes in Armani-Anzug ablichten
und dann von VW-Chef Piëch den Besuch beim Wiener Opernball bezahlen ließ.
Riecht nach … na, was bloß, sagen wir: Männerfreundschaft.
Die bringt einem dann auch Anschlussjobs ein, zum Beispiel in der russischen Energiewirtschaft.
Erst schaffe ich als Politiker ein Konsortium, hinterher werde ich dann
dessen Chef. Das ist doch der beste Beweis: Der, der wirklich will, bekommt auch einen
Arbeitsplatz!°
Männerfreundschaft ist auch bei VW groß in Mode geblieben. Zum Beispiel bei Peter
Hartz. Erst sagt er der arbeitslosen Bevölkerung: Ihr seid selbst dran schuld. Dann verschreibt
er ihr zur Förderung ihres Bewusstseins eine allgemeine Abmagerungskur. Das
finden die zwar nicht nett. Aber mit den Armen in der Republik ist er ja auch nicht wirklich
befreundet.
Mit den Männern, mit denen Hartz befreundet ist, pflegt er anderen Umgang. Manchen
Leuten beim VW-Betriebsrat zum Beispiel. Die bekommen auf Firmenkosten eine Reise
nach Brasilien geschenkt.
Doch Undank ist der Welt Lohn. Nun ist er – ja er: Hartz der IV!! – in dieser Angelegenheit
und in zahlreichen anderen Fällen wegen Korruption verurteilt worden.
Was ich mich immer frage: Wie amateurhaft muss Hartz vorgegangen sein, dass das
herauskommen konnte? Ich meine: Üblicherweise kauft man keine Leute, man „sponsert“
sie!
Noch so ein Wort aus der Parallelgesellschaft. Sponsern läuft anders ab. Man korrumpiert
nicht vor aller Augen, sondern hinter verschlossenen Türen, auf legale Weise. Und
hinter verschlossenen Türen bleibt es dann auch. Weil sich die Medien nämlich nicht
dafür interessieren.
Nehmen wir EADS: Seit 2003 hat EADS und seine Töchterfirmen insgesamt 20 Empfänge,
Bälle und Essen für das Verteidigungsministerium, die Bundeswehr und ihre
Gäste gesponsert.
Auch andere Bundesbehörden ließen sich „sponsern“. Die Gesamtsumme der von der
Bundesregierung „eingeworbenen“ Leistungen betrug in den Monaten vom Sommer
2003 bis Ende 2004 mehr als 55 Millionen Euro.
Gesponsert haben: Siemens, BMW, DaimlerChrysler, natürlich VW, E.on, Deutsche
Telekom.
Und da soll noch einmal jemand behaupten, Kapitalismus funktioniert nicht. Er funktioniert
doch wie geschmiert!!
Auch völkerverbindend ist er. Denn nicht nur deutsche, auch ausländische Firmen haben
die Bundesregierung gesponsert. Zum Beispiel: Vattenfall, Shell, GlaxoSmithKline
und General Electric.
Überhaupt kann man eines nicht bestreiten: die große Koalition hat von den 68ern der
rot-grünen Regierung den Internationalismus geerbt. Allerdings etwas anders, als man
sich das in der APO vor vierzig Jahren vorgestellt hätte. Damals protestierten die Studenten
Fischer und Schröder noch gegen Regime wie die Diktatur des Schah. Heute
werden in Diktaturen wie Usbekistan Bundeswehreinheiten stationiert. Oder in Jugoslawien
die Zivilbevölkerung bombardiert – sofern nicht zufällig die chinesische Botschaft
im Wege steht.
Dank Schröder und Fischer sterben junge Deutsche nun in Afghanistan, patrouillieren
deutsche Matrosen nun am Horn vor Afrika und vor der israelischen Küste. Wie jede
große Politik hat auch diese Politik ihre eigene „Doktrin“. In diesem Fall entworfen von
dem großen Visionär….Peter Struck. Ja, ausgerechnet Struck, der Rudolf Scharping an
der Schwelle zum 21. Jahrhundert echte Konkurrenz machte beim Wettbewerb als aus5
druckslosester und den ausdruckslosen Sozialdemokraten Deutschlands. Sein Credo:
„Die deutschen Interessen werden auch am Hindukusch verteidigt.“
„Verteidigt“! Genauso, wie die Interessen der Rentner durch die Erhöhung des Renteneintrittsalters
verteidigt werden. Oder die Rechte der Patienten durch die Einführung
einer Praxisgebühr. Oder die Krankenkassen verteidigt werden, wenn sie nun dank der
Gesundheitsreform endlich wie jedes normale Unternehmen pleite machen dürfen.
Militäreinsätze dienen dem Frieden und dem Aufbau. Genauso wie Sozialabbau dem
Erhalt des Sozialstaates dienen.
Bei so viel Orwellscher Wortakrobatik kann die Linke nicht mithalten. Vielleicht ist das
der Grund, warum sie uns nicht mögen. Im Bundestag jedenfalls haben sie uns auf ihre
Weise empfangen. Ein Fraktionsraum, in den alle auch wirklich hineinpassen, gaben sie
uns nach ein paar Monaten. Einen stellvertretenden Parlamentspräsidenten, der uns in
der Geschäftsordnung zusteht, haben sie gleich viermal durchrasseln lassen. Als wir
uns die Streikwesten von ver.di anzogen, da nannten sie uns „Proletenpack“.
Das ficht uns aber nicht an. Denn eine gewisse Distanz zu den vornehmen Damen und
Herren der Parallelgesellschaft hilft, Kurs zu halten. Überhaupt meine ich: Die Heimat
der Linken ist dort, wo die eigenen Leute wohnen und arbeiten. Denn hier wird unsere
Politik gemacht und geformt. Das gilt am Aschermittwoch, aber das gilt auch an jedem
anderen Tag im Jahr.
Deswegen danke ich euch, dass ich heute bei Euch sein kann.