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Ein Prediger der Gewaltfreiheit mitten auf dem Amselfeld

Antje Vollmer zur Verleihung des Toleranzpreises in Münster an Ibrahim Rugova

Dem kosovarischen Wissenschaftler und Politiker Ibrahim Rugova wurde am 15. August in Münster der "Toleranzpreis" dieser Stadt verliehen. Die Laudatio hielt die Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages Antje Vollmer. In ihrer Rede, die wir im Wortlaut dokumentieren, nähert sie sich diesem nicht unumstrittenen Menschen behutsam, aber mit spürbarer Sympathie.

I.

Aktueller kann eine Preisverleihung nicht sein. Wir ehren heute einen Mann, dessen politische Existenz und dessen Lebenswerk genau mit dem europäischer Krisenzentren des Balkans verbunden ist, das uns seit Jahren in Atem hält und an dem es sich entscheiden wird, welch ein Europa wir im nächsten Jahrhundert bauen werden: ein Europa der Toleranz, des inneren und äußeren Friedens und der Menschenrechte - oder ein Europa der Intoleranz, der Kriege und Bürgerkriege, der religiösen und nationalistischen Ressentiments.

Der Toleranzpreis der Stadt Münster erinnert an den Grundgedanken des Westfälischen Friedens von Münster und Osnabrück. Und was braucht Europa z. Zt. mehr als eine neue Einigung auf der Basis dieser Grundidee? Die Grundidee ist der große historische Kompromiss nach einem Jahrhundert der Spaltung, der religiösen Dogmatismen, der Machtkämpfe. Der Kompromiss beruft sich auf das gemeinsame große europäische Erbe, die Idee des Gleichgewichts, der Machtbalance, der gegenseitigen Akzeptanz, der Religionsfreiheit und des Respekts vor anderen Überzeugungen. In diesem Geist versuchten die damaligen Friedensstifter fair zu regeln, was unter Menschen überhaupt zu regeln ist. Den Rest, den Kampf um die letzten Wahrheiten, überließ man einer höheren Instanz.

II.

Zufällig ist es nicht, dass dieser große historische Kompromiss, der dem europäischen Kontinent damals überhaupt das weltpolitische Überleben sicherte, nach 1989 wieder erneut zu einem europäischen Thema geworden ist. Das Ende des großen Dualismus zwischen Ost und West, zwischen Sowjetimperium und westlichen Marktwirtschaften, der Ruin der großen Ideologien hatte ja noch keineswegs eine neue gemeinsame Grundidee geschaffen, auf die sich das nunmehr ungeteilte Europa der vielen neuen Staaten hätte einigen können. Was war wirklich allen Europäern gemeinsam? Was war der europäische contract sociale? Was war ihr zivilisatorischer Konsens in Bezug auf den Umgang mit den real existierenden Unterschieden in Kultur, Religion, nationaler Identität, sozialen Standards, unterschiedlicher wirtschaftlicher Entwicklungen? Keiner konnte diese Frage beantworten, und so agierten auch die führenden Staatsmänner der Wendezeit als ratlose Artisten unter einer Zirkuskuppel der gemeinsamen europäischen Arena, ohne den Bauplan für das neu zu bauende europäische Haus zu kennen. Kein Wunder, dass in dieser Ratlosigkeit alte Nothelfer als potentielle Ordnungsfaktoren sich anboten: der Nationalismus z. B., die religiöse und kulturelle Zugehörigkeit, ethnische Abgrenzungen, Gewalt als wieder erlaubtes Mittel, sich zum vermeintlichen Recht zu verhelfen, Grenzverschiebungen.

All dies konzentrierte sich - wie in einem Brennglas - am meisten in der Region, die immer am deutlichsten den Grad der europäischen Krankheit und der europäischen Tragödien widergespiegelt hatte: auf dem Balkan. Und in diesem Spannungsfeld lebte, kämpfte, redete und handelte Ibrahim Rugova, unser heutiger Preisträger.

III.

Ibrahim Rugova ist ein Mann, an dem sich die Geister scheiden. Das war schon lange so - nicht erst seit den Tagen von Rambouillet. - Für die einen war er der Gandhi des Balkans, für die anderen war er ein politischer Traumtänzer. Und tatsächlich hat es etwas Kühnes, merkwürdig gegen den Geist der Zeit Gerichtetes, dass Ibrahim Rugova mitten im Zentrum des jahrtausendealten Konfliktfeldes des Kosovo, des Amselfeldes, eine gewaltfreie Bewegung aufbaute, die sich den Ideen Gandhis und Nelson Mandelas und Martin Luther Kings verpflichtet fühlte.

Er wollte die Jugend des Balkans der Geschichte der Gewalt entziehen. Er nahm bitter ernst, dass an dieser uralten Bruchstelle zwischen Ostrom und Westrom, zwischen Islam und Christentum, zwischen osmanischem Reich und Mitteleuropa immer schon die Gefahr eines europäischen Steppenbrandes gelauert hatte. Es war also ein Stück europäischer Verantwortung, alles zu versuchen, die Menschen dieses Raumes dieser Gewalttradition zu entziehen.

Es war auch Teil der Klugheit, zu der gewaltfreie Bewegungen nie eine Alternative zu haben. Gewalt kann dumm sein, wenn sie nur genügend Waffen hat. Gewaltfreiheit muss immer klüger sein als der gewaltbereite Gegner. Mit der Methode der Gewaltfreiheit wollte Ibrahim Rugova auch die Gewaltbereitschaft des Milosevic-Regimes unterlaufen, ihm keinen Anlass zur offenen Eskalation bieten. Das ist ihm übrigens erstaunlich lange gelungen. Und dass es am Ende gescheitert ist, hatte die wenigsten Ursachen in der Strategie der Gewaltfreiheit. Doch dazu später mehr . . .

Nicht zuletzt zielte die Strategie der Gewaltfreiheit langfristig und weitsichtig auf den frühen Aufbau einer Zivilgesellschaft in einer posttotalitären Gesellschaft. Ohne diese Zivilgesellschaft - das spüren wir in der ganzen Balkanregion - kann keine Demokratie existieren. Hier liegt eines der größten Verdienste der Bewegung um Rugova. Sie begann mit Organisationen der Selbstverwaltung und der Selbstorganisation, als andernorts überwiegend über Grenzfragen und Nationalitätenfragen diskutiert wurde. Zehn Jahre lang, seit 1989, hatte die Bewegung um Ibrahim Rugova erstaunliche Erfolge: Auf die zunehmende Repression und Entrechtung reagierte sie mit positiven Erfahrungen des Aufbaus, eigener Institutionen und Ordnungen. Eigene Universitäten und Schulen wurden erhalten, ein System eigener Sozialfürsorge, Parteien wurden aufgebaut und in einem koordinierenden Rat zusammengefasst, Wahlen und Referenden wurden abgehalten. Eine erstaunliche politische und organisatorische Leistung, die im Westen kaum zur Kenntnis genommen wurde.

IV.

Wer ist eigentlich dieser Ibrahim Rugova? Geboren wurde er 1944 in dem Dorf Cerrce im Osten des Kosovo. Sein Vater, ein relativ wohlhabender Grundbesitzer, wurde noch zur frühen Tito-Zeit als albanischer Nationalist und sogenannter "Partisanengegner" ermordert.

Rugova studierte in Pristina Literaturwissenschaften, arbeitete an Studentenzeitschriften mit und am albanologischen Institut. Er erhielt ein Stipendium in Paris, wo er 1986 promovierte.

Als anerkannter Literat und Schriftsteller gelangte er Ende der 80er Jahre an die Spitze des Schriftstellerverbandes des Kosovo. Legendär war sein Auftritt auf dem Schriftstellerkongress 1988, wo er in einer ungewöhnlich offenen und mutigen Rede den zunehmenden Druck Belgrads gegen die Kosovo-Albaner und deren mühsam errungenes Autonomie-Statut anprangerte. "Wir Kosovaren waren es nicht gewohnt, dass überhaupt jemand für uns spricht. Rugova war mutig, als viele andere Angst hatten", erzählte eine jungen Kosovo-Albanerin.

Damit ist eine besondere Faszination angesprochen, die von diesem Mann ausgeht. Er spricht leise, fast schüchtern. Oft erscheint er wie abwesend oder von einer anderen Welt. Und dann wiederum ist er von großem Mut und einer fast stur zu nennenden Gradlinigkeit, die sich einfach nicht beirren lässt. Er beschäftigt nicht nur die Fantasie seiner Landsleute, sondern hat auch manchen westlichen Gesprächspartner irritiert. Er wollte von Anfang an für das Kosovo einen vergleichbaren Status im jugoslawischen Staatenverband wie ihn Kroatien und Slowenien besaßen, mindestens aber den Erhalt des von Tito abgetrotzten Autonomie-Status.

Rugova hatte eine besondere Bedeutung für zwei Gruppen seiner Landsleute. für die Jungen, auf die er immer ermutigend wirkte und in die er all seine Hoffnung setzte. Und auf einen sehr engen und treuen Kreis von Intellektuellen und Beratern, mit denen gemeinsam er den Aufbau der LDK und der Parallel-Verwaltung vornahm. Die wichtigsten Persönlichkeiten darunter waren der Chef der Exilregierung Bukoshi und sein engster Freund Prof. Agani, der ihn noch in Rambouillet begleitet hat und der dann von serbischen Paramilitärs in den Tagen des Krieges ermordet wurde. Diesem tapferen Mitstreiter und seinem Martyrium gebührt dieser Preis zu großen Teilen mit. Vergessen werden darf auch nicht, dass Agani und Rugova in Pristina blieben, als viele der selbst oder vom Ausland ernannten sogenannter Albanerführer längst durch westliche Talkshows tingelten. Auch darin, dass sie in der Zeit der Verfolgung bei ihrem Volk blieben, gingen sie den gewaltfreien Weg Gandhis.

V.

Es ist Zeit, nun auch ein paar deutliche Worte zu sagen zum Verhältnis der westlichen Staaten und Regierungen zur gewaltfreien Bewegung im Kosovo. Sie haben sie nicht gefördert, als das noch möglich war, sie haben nie diese Chance eines anderen Weges begriffen, ja, sie haben sich nicht einmal dafür interessiert. Als Ibrahim Rugova 1989 eine Reise durch die westlichen Hauptstädte unternahm, war das Echo beschämend gering. Dabei wurden im Kosovo damals beeindruckende Hungerstreiks organisiert und 100 000 protestierten gewaltfrei in den Straßen und Universitäten.

Auch bei den Verhandlungen in Dayton wurden - trotz anderer Versprechen der Amerikaner - die offenen Fragen des Kosovo ausgeklammert. Damals nämlich hielt man Milosevic noch für einen Garanten des Abkommens, der durch ein Schutzzonenkonzept für das Kosovo nicht verärgert werden sollte.

Es war diese Erfolg- und Echolosigkeit, die mit zur Delegitimierung des gewaltfreien Kampfes beigetragen hat. Denn sie ermutigte Milosevic - und zwar besonders in der Zeit nach Dayton - seine Repressionen im Kosovo deutlich zu verstärken. Und das wiederum trieb immer mehr Albaner, gerade die jungen, zu der Frage: was nützt eigentlich der gewaltfreie Weg?

Und damit sind wir bei der Frage der Mitverantwortung des Westens in der Vorphase des Krieges. Eine gewaltfreie Bewegung kann nur gelingen, wenn die Weltöffentlichkeit auch reagiert. Damals war es möglich, den Krieg und die Eskalation der Gewalt - auch auf der Seite der Serben - noch zu verhindern.

Völlig unverständlich wurde dagegen von Richard Holbroke und anderen westlichen Diplomaten im Jahre '98 eine Gruppierung in die diplomatischen Gespräche eingeführt, die sich seit 1997 ausgerechnet durch Attentate gegen serbische Repräsentanten hervorgetan hatte: die UCK, eine linke Gruppierung, die ausschließlich mit Gewalttaten agierte. Warum das geschah, warum die UCK in Rambouillet eine so wichtige und Rugova nur noch eine Randbedeutung hatte, das sind offene Fragen, die einmal beantwortet werden müssen. Das Fallenlassen der gewaltfreien Bewegung im Kosovo gehört auf jeden Fall zu den dirty secrets (den bösen und verschwiegenen Geheimnissen) in der Vorphase des Kosovo-Krieges.

Das problematische an der Haltung des Westens ist auch nicht nachträglich durch jene Fernsehbilder zu erklären, die mitten im Krieg Ibrahim Rugova zusammen mit Milosevic in einem ominösen Gespräch in Belgrad zeigten. Im Gegenteil: Wir wissen doch längst, dass Kriege heute nicht nur real, sondern auch medial geführt werden. Und das Vorführen einer Geisel im missbräuchlichen Sinne, um deren Identität zu zerstören, gehört auch zu den neuen Kriegsverbrechen.

Timothy Garton Ash hat seine Kritik an einer Haltung, die uns zu reinen unbeteiligten Voyeuren solcher Szenen macht, in einer kurzen Notiz so geschildert:

"Kein Wunder also, dass einem Dinge aus der Kolonialgeschichte durch den Kopf gehen. Bei einem abendlichen Drink diskutierte ich mit einem kultivierten britischen Funktionär darüber, ob der gute alte Rugova doch noch ein paar Stimmen auf seine Seite bringen werde; ob man vernüftigerweise auf den jungen Thaci setzen könnte; ober ob Kosumi vielleicht doch noch ein Mitspieler sein sollte. So ähnlich wird wohl 1929 mein Großvater, ein hoher Beamter des Empire in Indien, auf einer Veranda in Delhi gesessen und sich gefragt haben, was der alte Gandhi wohl gerade wieder aushecke und ob man den jungen Nehru fördern sollte. Es ist eine recht eigenartige Weise, das 20. Jahrhundert zu beenden."

VI.

Was wäre gewesen, wenn . . .?

Sind solche Fragen sinnvoll? Nutzt es der historischen Wahrheit, den Wegen und Wegkreuzungen nachzuspüren, die nicht gegangen wurden?

Ich meine, wir müssen so fragen. Denn wenn wir nicht so fragen, vergrößern wir die begangenen Fehler. Einmal, indem wir sie realpolitisch begehen und zum zweiten, indem wir sie ideologisieren mit der Behauptung: es gab sowieso nie eine Chance für den gewaltfreien Weg.

Gegen diese doppelte historische Verneinung ist auch dieser Preis gerichtet. Er wird verliehen an einen Mann, der zu Recht den gewaltfreien Weg für sein Volk gesucht hat und den wir ermutigen wollen, trotz der Niederlagen und der Missachtung dieses Weges weiterhin an einer gewaltfreien Zukunft für das Kosovo mitzuarbeiten.

Wenn die Meldungen der letzten Tage und Wochen richtig verstehe, so besteht dafür eine große Chance und Notwendigkeit. Der Krieg hat die Gewalt im Kosovo nicht beendet und auch nicht die Gewalt von Seiten der UCK. Wieder brennen Häuser und werden Menschen vertrieben. Diesmal sind es Serben, Serben auf einer Flucht ohne Wiederkehr aus dem Kosovo, wie aus der Krajina und aus Sarajewo. Hier gibt es neue Aufgaben für die Bewegung der Toleranz und Gewaltfreiheit für die Kosovo-Albaner und für die Serben. Nur so kann eine europäische Lösung für das Kosovo aussehen.

In diesem Sinne gratuliere ich dem diesjährigen Preisträger Ibrahim Rugova. Und verneige mich damit vor einem Menschen, der sein wirkliches Lebenswerk der Toleranz und Gewaltfreiheit noch vor sich hat.

 

[ dokument info ]
Copyright © Frankfurter Rundschau 1999
Dokument erstellt am 22.08.1999 um 20.45 Uhr
Erscheinungsdatum 23.08.1999

 

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