Karlsruher
Privatbedürfnisse
Offiziell geht es nächste Woche beim Bundesverfassungsgericht um den europäischen Haftbefehl. Die Richter aber planen eine Generalabrechnung mit der EU-Integration Nächste Woche wird in Karlsruhe die europäische Integration in Frage gestellt. Einfach so, weil den Verfassungsrichtern des Zweiten Senats danach ist. unbewiesene Unterstellung, zugleich in einem Ton gehalten, als ob an Heiligem gerührt würde Und damit niemand überrascht ist, wurde schon mal eine Verhandlungsgliederung veröffentlicht. Darin ist die Rede von "Integrationsgrenzen", von der "Identität des deutschen Verfassungsstaates" und von "schrittweiser Entstaatlichung durch Übertragung von Kernkompetenzen" auf die EU. Zwei Tage soll das Tribunal dauern. Eine so extensive Beratung gab es im Bundesverfassungsgericht schon seit mehreren Jahren nicht mehr. Den Tag, an dem mir die taz erklären kann, warum sich das Verfassungsgericht der Bundesrepublik NICHT mit der "Identität des deutschen Verfassungsstaates", befassen soll, und wer es denn sonst wohl tun solle, der Tag muß noch kommen. Was sollen denn diese ironisierenden Zitatbrocken in Verbindung mit dem Wort "Tribunal" ? Hier macht das Gericht exakt das, was es macht, wenn es das machen soll, was seine Aufgabe ist. Den Anlass für den Prozess gab der Deutsch-Syrer Mamoun Darkazanli, ein Islamist (beleidigungsklagefähig !)l , der seit rund 20 Jahren in Hamburg lebt. Trotz zahlreicher Al-Qaida-Kontakte konnte ihm in Deutschland nichts Strafbares nachgewiesen werden. Also schlicht ein unschuldiger deutscher Staatsbürger Doch der Madrider Untersuchungsrichter Baltasar Garzón will ihm in Spanien den Prozess machen - wegen Al-Qaida-Mitgliedschaft. Im November stoppte das Bundesverfassungsgericht die geplante Auslieferung erst kurz bevor das Flugzeug in Richtung Süden abhob. Nächste Woche wird über Darkazanlis Klage gegen die Auslieferung verhandelt. Leider ist Herr Darkazanli nicht der Sympathieträger, der medial ebenso positiv wirkt, als wenn Herr Jauch ausgeliefert werden würde. Herr D. tauchte sowohl in unserem Buch als auch in mehreren Artikeln auf MAI immer mal wieder auf im Zusammenhang mit der "Operation Zartheit" des BfV. Auf dem Prüfstand steht dann der 2004 eingeführte Europäische
Haftbefehl, der Auslieferungen in andere EU-Staaten vereinfacht. Zum einen
können dadurch erstmals auch deutsche Staatsbürger ins Ausland
überstellt werden, zum anderen entfällt bei 32 Deliktsgruppen
- von Mord bis Betrug - die Prüfung, ob die konkrete Tat in beiden
Ländern strafbar ist. Hier wäre es bei
einer objektiven Berichterstattung angebracht, mal eben auf Art 16
des Grundgesetzes zu verweisen - ein Artikel aus unserem Grundrechtskatalog:
Darkazanlis Anwälte rügen, ihr Mandant solle nach Spanien ausgeliefert werden, obwohl sein Verhalten in Deutschland gar nicht strafbar war. Im Ansatz haben sie Recht. Die Mitgliedschaft in einer ausländischen Terrorgruppe ist in Deutschland - anders als in Spanien - erst seit August 2002 verboten, und die Vorwürfe gegen Darkazanli beziehen sich auf die Zeit davor. Falsch: "Mitgliedschaft in einer ausländischen Terrorgruppe" wurde zwar nach 9/11 ausdrücklich zum Straftatbestand erklärt, aber das StGB wimmelt natürlich von Paragraphen, mit denen man denen, die es verdient haben (oder auch nicht) schon vor Einführung der 9/11-Hysterie ans Leder konnte. Nur WOLLTE man es manchmal nicht und will es heute auch nicht. Terror gegen die DDR war immer gut. PKK-Mitgliedschaft war erst okay, dann nicht mehr. Die UCKler waren erst Terroristen, dann liebe Leute. Tschetschenenterrorismus ist halbgut. Alles je nach politischer Konjunktur. Abgesehen davon: die Frage von Strafbarkeit ist eine Unterabteilung der Grundrechts - Frage nach Art. 16. Das GG kannte da jahrzehntelang keine Ausnahme. Dennoch gibt der Fall des Deutsch-Syrers für die große Abrechnung mit dem Europäischen Haftbefehl eigentlich nicht viel her. Denn Darkazanli hat wohl eng mit dem Führer der spanischen Al-Qaida-Zelle, Abu Dahdah, zusammengearbeitet und ihn auch mehrmals in Madrid und Granada besucht. Die scharfe spanische Rechtslage konnte er deshalb nicht einfach ignorieren, die Polizei hätte ihn ja schließlich auch in Madrid festnehmen können. Hat sie aber nicht. Also geht es nicht darum. Hier wird eine falsche Fährte gelegt : als gehe es bei Grundrechten darum, wo jemand und wann jemand festgenommen wird (abgesehen davon, dass eine Festnahme wo auch immer noch nie eine Schuldklärung bedeutet). Außerdem hätte Darkazanli auch ohne Europäischen Haftbefehl an Spanien ausgeliefert werden können, weil bei Terrortaten bereits unter der alten Rechtslage schon seit Jahren nicht mehr die beidseitige Strafbarkeit geprüft wurde. Aus dem Rechtsbruch seit Jahren definiert Rath nun "neues Recht" heraus. "Terrortaten" - das Wort soll genügen, und schon gelte das GG nicht mehr? Geschützt hätte ihn früher nur die deutsche Staatsbürgerschaft.
Doch vor fünf Jahren wurde das Grundgesetz geändert, damit Deutsche
auch in andere EU-Staaten ausgeliefert werden können. Karlsruhe prüft
nun zwar allen Ernstes, ob die Verfassungsänderung selbst verfassungswidrig
war.Endlich kommt er zum Kern des Problems: die Einschränkung
des GG, aber selbst diese ist am 29.11.2000 mit einer Bindung an EU oder
Internationale Gerichte versehen "soweit rechtsstaatliche Grundsätze
gewährleistet" seien. Doch wie abwegig das ist, zeigt ein Blick
in andere europäische Staaten. Dort war die Auslieferung eigener Staatsbürger
schon lange möglich, und dass diese Länder deshalb keine Rechtsstaaten
sind, wird wohl niemand behaupten.
owoWas andere
Staaten mit ihren Bürgern machen, ist deren Sache. Was "allen Ernstes"
von UNSEREM Verfassungsgericht geprüft wird, ist unsere Sache. Abwegig
ist nur eins: Raths Gedankenmix. Die Rechtsstaatlichkeit anderer Staaten
bemißt sich nicht daran, ob sie UNSEREM Grundgesetz folgen, und auch
nicht umgekehrt.
Natürlich bringt es Härten mit sich, wenn sich ein Deutscher
zum Beispiel in Madrid vor Gericht verantworten muss. Er braucht Dolmetscher,
das Prozessrecht ist ungewohnt, die U-Haft vielleicht unangenehmer als
in Deutschland. Doch der Sinn der Auslieferung von Deutschen an ausländische
Gerichte erschließt sich aus der Perspektive der anderen Prozessbeteiligten:
Wenn zum Beispiel ein Deutscher angeklagt wird, er habe eine Frau in Spanien
vergewaltigt, warum sollten dann das spanische Opfer und etwaige Zeugen
ins fremde Deutschland kommen, nur damit der mutmaßliche Vergewaltiger
keine Unannehmlichkeiten in Spanien hat? Und
wieder die dreckige rotzgrüne Pseudomoralisiererei, wahlweise wird
gerne Auschwitz genommen (deswegen bekanntliche Bomben gegen Jugoslawien)
oder Frauenrechte (deshalb konnte Afghanistan bombardiert werden).
Eigentlich müsste die Verfassungsbeschwerde gegen den Europäischen Haftbefehl schon nach kurzer Verhandlung ins Leere laufen, sollte man meinen. Uneigentlich sollte man das nicht meinen. Doch am Gericht hat sich wohl ein ungewöhnliches Bündnis gebildet. Liberalen Richtern passt die aktuelle EU-Kriminalpolitik nicht, und den Konservativen in Karlsruhe geht sogar die ganze EU-Integration zu schnell und zu weit. Für beide Seiten ist der Fall Darkazanli also nur ein Vehikel, um ganz andere Fragen zur Sprache zu bringen. Viel unterstellung. Die Substanz ist: rotzgrüne Justitpolitik ist evtl. grundgesetzwidrig. Eine Klärung von Rechten stellt sich meist erst bei einem "Fall" heraus. Und Rath, der kein Wort zur Frage der Einmischung in anderer Leuts Rechtssysteme (rechtsstaatlich oder nicht) verliert, dieser Rath tut so, als wolle die Karlsruher Richterschaft anderen EU-Staaten Vorschriften machen. Umgekehrt war es der Fall: die GG-Änderung beschneidet Souveränität anderer Staaten bzw., versucht es. So wird von links kritisiert, dass die Auslieferung erleichtert wird, bevor überall in Europa dieselben Taten strafbar sind und auch dieselben Verfahrensrechte gelten. Aber dieses ungleichzeitige Vorgehen ist eben Ausdruck des einst von EU-Skeptikern durchgesetzten Subsidiaritätsprinzips: Die EU soll sich bei der Angleichung des Rechts auf das Nötigste beschränken. Soweit es dabei aber zu Grundrechtsproblemen kommt, ist gar nicht das deutsche Verfassungsgericht zuständig, sondern der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg.Grundrechtsprobleme nennt er das. Es geht um die Gültigkeit des Grundgesetzes, und das sogar im Bereich der Grundrechte. Es geht nicht um Menschenrechtsverletzungen an einer Einzelperson, sondern um das Recht an sich, um seine Gültigkeit. Nicht um seine Verletzung.. Auch die Grundsatzfragen der EU-Integration, die die Konservativen aufwerfen, sind eigentlich fehl am Platz. Schon 1993 hat das Gericht in seinem Maastricht-Urteil geklärt, dass sich Deutschland an der Weiterentwicklung Europas beteiligen darf. Seither hat sich strukturell nicht viel verändert. Ich fiUnverfroren. Die "Weiterentwicklung Europas" bedeutet natprlich nicht, daß jede Weiterentwicklung auch rechtsgültig nach unserem Grundgesetz ist. Hier betreibt Rath juristische Volksverblödung, als sei ein Freibrief für jedwede Maßnahme von EU-Politikern und eine Selbstenteierung der BVerfG vorliegend. Den Richtern scheint es also weniger um die aktuelle Rechtslage, sondern eher um die noch nicht in Kraft getretene EU-Verfassung zu gehen. Das Ziel der Juristen ist zwar noch unklar - wollen sie in Deutschland ein Referendum über die Verfassung durchsetzen oder sogar ein "Bis hierher und nicht weiter" verkünden? Mit dem Europäischen Haftbefehl haben solche Fragen nur noch ganz am Rande zu tun, die EU aber könnten sie in Turbulenzen stürzen. Ach was. Wenn sie doch nach Raths Meinung unzuständig sind. Zwar ist ihr Ziel unklar, aber Rath "scheint" schon alles zu wissen. Es wäre aber leider nicht das erste Mal, dass Karlsruhe ohne Not europäisches Porzellan zerschlägt. 1993 sprach das Gericht zum Beispiel dem EuGH in Kompetenzfragen einfach das Misstrauen aus und unterstellte das Luxemburger Gericht der eigenen - als "Kooperationsverhältnis" verbrämten - Oberaufsicht. Und im vorigen Herbst erklärte Karlsruhe, dass Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg hierzulande nur berücksichtigt werden müssten, aber nicht verbindlich seien. Kann oder will er es nicht kapieren: das da zerschlagen wird, ist wertloser rotzgrüner Plunder. Es gilt unser GG, und das wird keiner EU-Kommission oder anderen Institution untergeordnet. Außer da, wo es explizit gesagt wird, im Art. 25.. Der Rest sind Verabredungen, Verträge, Kooperationen. Sisso, Herr Rath. Nicht die NATO befiehlt, sondern Berlin. Nicht die EU wacht über und für uns, sondern unsere Institutionen. Zumindest sollen sie es, da gibt es Mißverständnise. Hätten sich zum Beispiel die Verfassungsrichter der Türkei oder Rumäniens so selbstherrlich geäußert, würde man sagen, diese Staaten sind noch nicht reif für die EU. Aber in Karlsruhe scheint man wohl der Ansicht zu sein, der Rest Europas könne dankbar sein für die Nachhilfe aus Deutschland. Billige Polemik Neulich wurden die Verfassungsrichter kritisiert, nachdem einige
von ihnen Interviews zu einem möglichen neuen NPD-Parteiverbotsverfahren
gegeben hatten. Richter sollten Urteile schreiben und keine Interviews
geben, hieß es damals. Vermutlich ist das Gegenteil richtig: Lieber
sollten die Richter ihre Ansichten gelegentlich öffentlich äußern
als die Rechtsprechung derart mit ihren wissenschaftlichen und politischen
Privatbedürfnissen zu belasten wie im Verfahren zum Europäischen
Haftbefehl. Da hat er die richtige Formel - und plädiert
für das Gegenteil. Klar doch: er politisiert und privatbedürft
selber statt sich an sein Jurastudium zu erinnern, der
Hier stümpert einer eine Welt zusammen,
die so nicht existiert. Ein Ideal Europa ( in dem nicht etwa die deutsche-französischen
Kerne den Ton angeben) will selbstlos Einigkeit schaffen, und die lästigen
Karlsruher halten an so etwas Verstaubten wie dem GG fest. Wo das EU-Verfassungswerk
doch schon - fast, fast - handgreiflich wird und allen Terroristen das
Handwerk legt.
Rathfelder, Rath - was die taz derzeit unter "freie Meinungsäußerung" verbucht und druckt, verdient keine Anspielung auf Heinrich Manns Personnage. Wer sich ernsthaft informieren möchte, geht auf die Seiten des Bundesverfassungsgerichts taz Nr. 7631 vom 5.4.2005, Seite 12, 241 Zeilen (Kommentar), CHRISTIAN RATH |