Paralipomena aus der Beschäftigung mit Erlers Papier zum Lutz/Mutz- Schreiben :
O-Ton Erler                                                            Kommentar
             ... der o.g. Kampagne, die behauptet, zu Kriegsbeginn im März 1999 habe  es noch keine massive Vertreibung der Albaner aus dem Kosovo gegeben  und folglich auch noch keine humanitäre Katastrophe, auf die man reagieren musste   Kennen Sie diese Kampagne? Können sie mir ein Flugblatt oder einen Link zeigen? Ich kenne keinen, der nicht der Ansicht ist, daß es für UNO und OSZE geboten war, auf die Situation im Kosovo zu reagieren. Nur wie? Bomben reinhauen? Und vermischt hier der Herr Erler nicht wieder die objektiv unbestreitbaren Flüchtlinge mit angeblichen "massiven Vertreibungen"? Kann Herr Erler den gemixten Satzzusammenhang ("folglich") auch in den UNO-Papieren finden? FOLGT dort die humKat ebenfalls aus massiver Vertreibung? Wird diese Folgerung und einseitige Schuldzuweisung getroffen? Wird danach dort die Folgerung der Notwendigkeit einer Reaktion der NATO mit BOMBEN getroffen?
Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen drückte in seiner Resolution 1199 bereits am 23. September 1998 seine tiefe Sorge "über die sich  abzeichnende humanitäre Katastrophe" aus und stellte fest, dass die Verschlechterung der Situation im Kosovo "eine Bedrohung des Friedens  und der Sicherheit in der Region darstellt."  Der gesamte Text lautet allerdings: 
Deeply concerned by the rapid deterioration in the humanitarian situation  throughout Kosovo, alarmed at the impending humanitarian catastrophe as described in the report of the Secretary-General, and emphasizing  the need to prevent this from happening [Hervorhebung AH]
www.un.org/Docs/scres/1998/sres1199.htm
Der Sicherheitsrat spricht also davon, dass es nötig sei, eine "humanitäre Katastrophe" zu verhindern. Das setzt voraus, daß eine solche Katastrophe noch nicht vorlag.  Noch besser: der Bundestagsbeschluß vom 16.10.1998 sagt dasselbe  - Erler zitiert ihn sogar: 
 ...den konstitutiven Beschluss des Deutschen Bundestages vom 16. Oktober 1998, sich - für den Fall, dass alle politischen Bemühungen zur  Abwendung der Krise scheiterten - an den "zur Abwendung einer humanitären Katastrophe im Kosovo-Konflikt geplanten" Luftoperationen der NATO zu beteiligen. 
  Ergo: es ist von "Verhinderung" und "Abwendung" die Rede, und nirgendwo wird behauptet, eine h. K. sei bereits eingetreten. Im
Gegenteil: gerade das sog. Holbrooke- Milosevic-Abkommen trug zu einer Entspannung der Lage bei, und die OSZE-Mission diente demselben Zweck. 

          Es überrascht ferner nicht, dass Erler - trotz der Länge seines Textes verschweigt, dass die Eskalation der Gewalt im Winter 1998/99 in erster Linie auf das Konto der UCK ging bzw. daß sie einen Teil ihrer Provokationsstrategie darstellte. Anders gesagt: die UCK hatte ein nachhaltiges Interesse daran, viele Zivilisten in den  Konflikt mithineinzuziehen. 
          All das unterschlägt Erler, weil es seiner Rechtfertigung des NATO-Angriffs diametral entgegensteht. Man darf gespannt sein, ob Karl Lammers von der CDU den Mut haben wird, sich zu diesen  Dingen zu äussern. 
          Schliesslich: BK Schröder höchstselbst hat zu Kriegsbeginn explizit von der "Verhinderung" einer h. K. gesprochen. 
          Wollen uns Erler also ernstlich weismachen, daß die NATO etwas verhindern wollte, was schon längst eingetreten war? 

Der Begriff "humanitäre Katastrophe" als Beschreibung der Lage im Kosovo, sogar verbunden mit einer unmittelbaren Bedrohung des Friedens in der ganzen Region, stammt also  nachweislich nicht aus der Öffentlichkeitsarbeit der NATO, sondern aus einem  UN-Beschluss. Bis es dann tatsächlich im März 1999 zu den Luftangriffen der NATO kam, hatte sich die Lage im Kosovo noch dramatisch zugespitzt.  Der erste Satz ist falsch. Der Begriff h.K. diente nicht zu einer Beschreibung der  Lage im Kosovo. (s.o.) 
Schröder sprach sogar zu Beginn des Luftkriegs - obwohl sich zu diesem Zeitpunkt    die Lage "noch dramatisch zugespitzt" (Erler) hatte - immer noch von der  "Verhinderung" einer h.K. 
Erler schreit ferner, dass der Luftkrieg als definitiv letztes Mittel erschien, um eine noch grössere h.K. zu verhindern. 
Leider sagt er uns nicht, ob diese "noch grössere h.K." verhindert wurde oder nicht.

    Das ist nicht überraschend, denn die Fakten sprechen eine klare Sprache: insbesondere die Zahl der Flüchtlinge in Albanien und Mazedonien stieg nach Beginn der Luftangriffe "dramatisch" (um Erler-Jargon zu bleiben) an. Ausserdem wurde uns während des Krieges mitgeteilt, dass die schlimmen "Serben" hunderte von Massakern begingen. 

    Letzteres war zwar erstunken und erlogen, aber es belegt zumindest eins: auch wenn man die eigenen Informationen der Menschenrechtskrieger zugrunde legt, kann das Fazit, nur lauten, dass die Luftangriffe eine h.K., oder eine "noch grössere h.K." (Erler) eben nicht verhindert haben. 
    Dasselbe Fazit ergibt sich, wenn man die Informationen des OSZE-Berichts "Kosovo- As Seen/As Told" zugrunde legt. Dort heisst es, dass "in the end", d.h.   zum Zeitpunkt Ende Mai 1999, ca. 90% aller Kosovo-Albaner Opfer der schlimmen  Milosevic-Serben wurden. Zu Beginn der Luftkriegs war hingegen laut Erler 'nur'  mehr als jeder fünfte Kosovo-Albaner Opfer der serbischen Vertreibungspolitik. 
    M.a.W.: Zu Beginn des Luftkriegs waren 20-25% aller Kosovo-Albaner Opfer von Milosevic. Am Ende des Luftkriegs waren es ca. 90%. 
So hat die NATO eine "humanitäre Katastrophe" verhindert... 

"Wer nun erwartet, dass Sie einen argumentativen Nachweis führen würden für eine solche massive Beschuldigung, die letztlich die große Mehrheit aller Bundestagsabgeordneten kriminalisiert, sofern diese der Regierungsvorlage vom 16. Oktober 1998 zugestimmt haben, ... Vier Fragen - vier Unterstellungen. Sie platzieren Ihre unerhörten Rechtsbruchvorwürfe einfach als bekannt und anerkannt vorausgesetzt in Fragen nach der Zulässigkeit solcher   Normverstöße und suggerieren damit, dass die Tatsache dieser Normverstöße gar nicht mehr zur Debatte steht, höchstens noch ihre Zulässigkeit. Ein feiner, wenn auch durchschaubarer Trick, mir bisher bei Wissenschaftlern nicht geläufig. vgl. damit die Feststellung des Bundesjustizministers, es habe eine schlichte rechtliche Notwendigkeit  eines UN-Mandats gegeben.
Tatsächlich hat es auf allen Ebenen Versuche gegeben, die Unrechtmäßigkeit des      Kosovo-Krieges und einer Beteiligung an ihm gerichtlich feststellen zu lassen. Bisher hat dies in keinem Fall zu einem Erfolg geführt. vgl. dazu folgende Verurteilungen:
# deutsche Gericht
# jugoslawisches Gericht
# Internationales Tribunal - siehe >Urteil
# Forderungen von Amnesty International
Daß der IGH in den Haag noch nicht entschieden hat, liegt in der Natur der Sache, das ICTY befaßt sich natürlich nicht,
das BVerfG befaßte sich in der Sache ebenfalls nicht, und daß in Deutschland der Generalbundesanwalt keine Ermittlungen aufnimmt, liegt an ??? 
Wir können auf selbsternannte Staatsanwälte und Chefankläger verzichten - aber wir brauchen die Zusammenarbeit mit der Friedensforschung. Deshalb ist die rot-grüne Bundesregierung mit Unterstützung der Regierungsfraktionen zu einer verlässlichen Finanzierung der deutschen      Friedensforschung zurückgekehrt und hat im Oktober 2000 die "Deutsche Stiftung      Friedensforschung" mit einem Stiftungskapital von 50 Millionen DM ins Leben gerufen.  Mehrere weitere Einzelprojekte - das wissen Sie sehr gut - sind ebenfalls zusätzlich auf den Weg gebracht worden.  "Wir ... können verzichten". Sicher doch. Leichte Nervosität ist spürbar. Und zu den 50 Millionen für die Friedensforschung kann sich Herr Erler selbst am besten kommentieren. Aus seiner Rede vor dem Bundestag am 9.Feb.2001, an die CDU gerichtet:
"In Investitionen in die militärische Beschaffung sind fast 2 Milliarden DM mehr als in Ihrer Regierungszeit
 geflossen. Wir haben doch noch die vielen Klagen der Industrie im Ohr..."
Das Verhältnis beträgt 1:40 - und es bezieht sich NUR auf die ZUSÄTZLICHEN 2 Milliarden.
Diese UNHCR-Karte weist aus, daß von 2 Millionen Einwohnern sehr grob geschätzt ein Zehntel Flüchtlinge waren - und zeigt auf, daß es einen Zusammenhang mit "clashes" mit der UCK gab. Schon allein deshalb: wieviele der Flüchtlinge sind VERTRIEBENE? Erler vermischt die Begriffe.
Der  ISSA-Report vom 18.-21.4.1999 kann natürlich auch ignoriert werden:
1. The Flow of Refugees: The international media, because it is largely on the external borders of Yugoslavia, has seen only the flow of refugees out of the country, to Albania and Macedonia. However, some one-third of the Albanian Yugoslav and other ethnic group refugees appear, in fact, to be fleeing further into Serbia, to avoid the Kosovo Liberation Army. Yugoslavia has already been burdened since 1992 with almost one-million refugees from Bosnian Serb areas and Croatian Serb areas, as well as Croatians and Muslims fleeing into Serbia-proper from what is now Bosnia-Herzegovina and Croatia. 

2. There is no doubt but that the NATO bombings in Kosovo and in the rest of Serbia have contributed heavily — perhaps overwhelmingly — toward the outflow of refugees, not only the Kosovar Albanians but many other ethnic groups who have been forced on the road with the destruction of their homes or their livelihoods. 

3. There are some 26 different ethnic groups in Yugoslavia, and some 20 different ethnic groups living in the Kosovo region. Within Yugoslavia, some one-third of the population is not of Serbian origin, and this makes it the most multi-cultural, multi-religious state in the Balkan region. Siehe auch:
 Johnstones Würdigung des OSZE-Berichts  

Auch interessant: Erlers homepage
(c) Andreas Hauß, April 2001, http://www.medienanalyse-international.de/paralipomena.html