01.08.2006 / Interview /
»Ich will ein Urteil, das den Irak-Krieg ächtet«
Disziplinarmaßnahme für Oberstleutnant der Bundeswehr. Zur
Not geht er bis vor das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Ein Gespräch
mit Jürgen Rose
Der Münchner Oberstleutnant Jürgen Rose ist vehementer Kritiker
völkerrechtswidriger Bundeswehreinsätze. In diesem Interview
vertritt er ausschließlich seine persönlichen Ansichten
Ihr Befehlshaber bei der Bundeswehr will, daß Sie 750 Euro Disziplinarbuße
zahlen. Sie sollen Vorgesetzte »in ehrverletzender Weise« herabgewürdigt
haben. Was haben Sie getan?
Ich habe Ende Mai in der Zeitschrift Ossietzky kritisiert, daß
die Bundeswehrführung niemals gegen die deutsche Unterstützung
für den Irak-Krieg protestiert hat. In dem Artikel hieß es:
»Hätte die deutsche Generalität auch nur einen Funken Ehrgefühl
sowie Rechts- und Moralbewußtsein im Leibe, so hätte der Generalinspekteur
im Verein mit seinen Teilstreitkraftinspekteuren sich geweigert, den völkerrechts-
und verfassungswidrigen Ordres der rot-grünen Bundesregierung Folge
zu leisten.«
Sie haben auch geschrieben, an »intellektueller Insuffizienz«,
also an Dummheit, könne das Schweigen der Generäle nicht gelegen
haben. Es bleibe nur noch die zweite Alternative zur Erklärung, die
da laute: »Opportunismus, Feigheit, Skrupellosigkeit«. Starker
Tobak – wieso sollten Generäle überhaupt gegen Befehle protestieren?
Das Grundgesetz verbietet das Führen von Angriffskriegen. Das Bundesverwaltungsgericht
hat im vergangenen Jahr festgestellt, daß auch die Unterstützung
eines Völkerrechtsdeliktes selbst ein völkerrechtliches Delikt
darstellt. Ich muß davon ausgehen können, daß die Generalität
schon im Jahr 2003 wußte, der Irak-Krieg verstößt gegen
das Völkerrecht. Gemäß unserem Soldatengesetz dürfen
rechtswidrige Befehle nicht befolgt werden.
Hat denn jemand verweigert?
Ich habe keinen einzigen von unseren mehr als 200 Generälen gehört,
der gesagt hat, da mache ich nicht mit. Anstatt sich wie Bürger in
Uniform zu verhalten, haben sie alle die rechtswidrige Unterstützung
für die USA hingenommen, unter anderem die Bewachung von US-Kasernen
und die deutschen AWACS-Besatzungen. Nur Florian Pfaff, ein einfacher Major,
hat diesen Rechtsbruch nicht mitgemacht und seine Mitarbeit an einem Computerprogramm
verweigert, weil das auch der Kriegführung der USA zugute gekommen
wäre. Dafür ist er degradiert worden, bekam aber vor einem Jahr
vom Bundesverwaltungsgericht Recht.
Das Urteil im Fall Florian Pfaff war eine Ohrfeige für die Bundesregierung.
Wie geht die Bundeswehrführung damit um?
Das Urteil wird totgeschwiegen. Daß Soldaten unter bestimmten
Umständen Befehle verweigern dürfen, paßt der Führung
nicht. In einem internen Rechtsgutachten wird festgehalten, daß nur
Militärs, die herausgehobene Funktionen als Regierungsberater haben,
dazu berechtigt seien, rechtswidrige Befehle zu mißachten. Denn nur
sie hätten die erforderliche Übersicht und den nötigen Einfluß.
Diese Haltung lehne ich ab, weil einfache Soldaten nicht dümmer sind
und genauso viel Anspruch auf ein Gewissen haben. Andererseits ist dieses
Gutachten insofern eine Steilvorlage: Ich kann jetzt ganz klar sagen, daß
zumindest die Spitzenmilitärs auch wirklich verantwortlich sind. Der
Generalinspekteur und die Inspekteure der Teilstreitkräfte – wenigstens
diese hätten auf die Einhaltung des Grundgesetzes pochen müssen.
Und primär diese habe ich ja in meinem Artikel angesprochen.
... und damit deren Ehre verletzt?
Die Ehre messe ich am Diensteid. Ich habe auf das »Recht und die
Freiheit des deutschen Volkes« geschworen, und ich bin dazu verpflichtet,
Grundgesetz und Völkerrecht zu achten. Es würdigt sich derjenige
herab, der das Recht bricht, nicht derjenige, der das Recht verteidigt.
Wie gehen Sie mit Ihrer Maßregelung um?
Ich habe Beschwerde beim Streitkräfteunterstützungskommando
eingelegt, von dem ich aber nicht viel erwarte. Spannend wird es vor dem
Truppendienstgericht. Zur Not gehe ich auch vors Bundesverfassungsgericht.
Ich will eine Grundsatzentscheidung bewirken. Es geht nicht nur um meine
persönliche Meinungsfreiheit: Es kann doch nicht sein, daß die
Bundesregierung in Tatgemeinschaft mit der Bundeswehrführung einen
Angriffskrieg unterstützt und daraufhin nichts passiert. Ich will
einen Gerichtsbeschluß, der den Irak-Krieg ächtet und ein für
allemal unterstreicht, daß der Krieg und die Beihilfe dazu völkerrechts-
und verfassungswidrig waren.
Interview: Frank Brendle
Soldat und Meinungsfreiheit
Die Bedeutung von Meinungs- und Pressefreiheit im Rahmen der Inneren
Führung
von Jürgen Rose
„Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden.
Nicht wegen des Fanatismus der ‘Gerechtigkeit’, sondern weil all das Belehrende,
Heilsame und Reinigende der politischen Freiheit an diesem Wesen hängt
und seine Wirkung versagt, wenn die ‘Freiheit’ zum Privilegium wird.“
Rosa Luxemburg
„Ich hab‘ hier bloß ein Amt und keine Meinung.“
Oberst Gustav Wrangel, in: «Wallensteins Tod»
von Friedrich Schiller
Wie allen Staatsbürgern steht das durch die Verfassung garantierte
Grundrecht der freien Meinungsäußerung – allerdings gesetzlich
eingeschränkt – auch den Soldaten zu. Dennoch war und ist die Wahrnehmung
dieses Grundrechtes für den »Staatsbürger in Uniform«
zuweilen mit durchaus nicht unerheblichen Risiken verbunden, insbesondere
dann, wenn er mit seiner geäußerten Meinung dezidiert von derjenigen
abweicht, die von der politischen Leitung oder der militärischen Führung
als verbindlich erachtet wird. Die in einer Demokratie eigentlich zu erwartende
Toleranz findet dann gewöhnlich sehr schnell ein Ende und weicht habitueller
Sanktionierung. Die Beispiele hierfür sind Legion: Als auf dem Höhepunkt
der NATO-Doppelbeschluß-Debatte Anfang der achtziger Jahre der Chef
einer Panzergrenadierkompanie in Immendingen gemeinsam mit dem dortigen
Bürgermeister in der Öffentlichkeit eine Petition abgab, die
Stadt zu einer »Nuklearwaffenfreien Zone« zu erklären,
wurde er disziplinar gemaßregelt und mußte daraufhin bis vor
das Bundesverwaltungsgericht ziehen, um rehabilitiert zu werden. Als Mitglieder
des Arbeitskreises „Darmstädter Signal“ sich in einer gemeinsamen
Erklärung zum sogenannten „Soldatenurteil“ des Landgerichtes Frankfurt
vom 20. Oktober 1989 äußerten, leitete der damalige Verteidigungsminister
Stoltenberg eine massive Kampagne gegen die Unterzeichner ein, die in der
Verhängung maßloser Disziplinarmaßnahmen bis hin zur Degradierung
endete. Erst vor dem Bundesverfassungsgericht konnten die Betroffenen zu
ihrem Recht gelangen. Ein altgedienter Oberst an der Führungsakademie
der Bundeswehr in Hamburg wurde mit Erzieherischen Maßnahmen gemaßregelt,
weil er in diversen Leserbriefen und Privatkorrespondenzen (!), die später
durch die Indiskretion des Empfängers an die Öffentlichkeit gelangten,
seinen Dienstgrad genannt hatte. Auch er konnte sein Recht erst vor dem
Bundesverwaltungsgericht erstreiten.
Ungeachtet der grund- und soldatengesetzlichen Regelungen befinden
sich die Profession des Soldaten und das Recht auf freie Meinungsäußerung
realiter oftmals in einem prekären Verhältnis – Anlaß genug,
die Problematik näher zu beleuchten. Dies soll in vier Schritten geschehen:
Zunächst folgen einige grundsätzliche Überlegungen zur Bedeutung
der Meinungs- und Pressefreiheit in der Demokratie; daran schließen
sich Ausführungen zur verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Verankerung
der Meinungsfreiheit von Soldaten in der Bundesrepublik Deutschland an.
In einem dritten Schritt soll die Rolle der Meinungsfreiheit des Soldaten
im Rahmen der Konzeption der Inneren Führung näher beleuchtet
werden. Schließlich werden vier Thesen für die Entwicklung einer
freien und demokratischen Diskussionskultur im Militär formuliert.
1. Die Bedeutung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Demokratie
Jeder Mensch hat, allein aufgrund des Faktums seines Menschseins, ein
Recht auf allgemeingesetzlich bestimmte und gesicherte äußere
Freiheit . Einziger Rechtsgrund für die Existenz des Staates und seine
Herrschaftsausübung ist die Sicherung der gesetzlichen Freiheit seiner
Bürger. Das Recht zur Ausübung staatlicher Herrschaft beschränkt
sich auf die Schaffung der notwendigen Bedingungen, unter denen jeder äußerlich
frei ist. Im Rahmen dieser rechtsphilosophischen Axiomatik leiten sich
das Recht der Meinungsfreiheit und das Recht auf Pressefreiheit als spezielle
Grundrechte aus dem vorgenannten allgemeinen Freiheitsrecht ab. Ideengeschichtlich
sind sie in der Epoche der Aufklärung zu verorten und mit der Forderung
nach Gedanken- oder Geistesfreiheit verknüpft, die als Grundvoraussetzung
einer menschenwürdig verfaßten Gesellschaft gilt. Eine Staatsordnung,
die dem Achtungsanspruch der Persönlichkeit gerecht wird, kann nur
verwirklicht werden, wenn der einzelne Staatsbürger die Möglichkeit
besitzt, sich im Streit der Meinungen und Weltanschauungen frei von Gesinnungsterror
oder auch nur indirektem staatlichen Druck stets aufs neue für eine
selbständige und im wahren Sinn des Wortes eigene Position zu entscheiden
. Das Bundesverfassungsgericht hat dies so formuliert: „Das Grundrecht
der freien Meinungsäußerung ist als unmittelbarster Ausdruck
der menschlichen Persönlichkeit in der Gesellschaft eines der vornehmsten
Menschenrechte überhaupt; schon das verleiht ihm besonderes Gewicht.
Darüber hinaus ist es für eine freiheitlich-demokratische Staatsordnung
schlechthin konstituierend, denn es ermöglicht erst die ständige
geistige Auseinandersetzung, den Kampf der Meinungen, der ihr Lebenselement
ist. Es ist in gewissem Sinne die Grundlage jeder Freiheit überhaupt.“
Was ist nun überhaupt eine Meinung und was bedeutet Meinungsfreiheit?
Wiederum in Anlehnung an das Bundesverfassungsgericht ist unter Meinungsfreiheit
die Freiheit zu verstehen, Meinungen zu haben und zu äußern.
In diesem Zusammenhang sind Meinungen Urteile jeder Art, insbesondere Werturteile,
also wertende Betrachtungen von Tatsachen, Verhaltensweisen oder Verhältnissen.
Der umfassende Charakter des Rechts auf Meinungsfreiheit, das sich auf
jede denkbare Meinung erstreckt, impliziert, daß es irrelevant ist,
ob ein Urteil richtig oder falsch, ob es emotional oder rational begründet
ist, schließlich, ob die Meinung „wertvoll“ ist oder nicht. Das von
dem Philosophen Paul Feyerabend formulierte Diktum „anything goes“ findet
seine vollkommenste Bestätigung sicherlich hier auf dem freien Markt
der Meinungen.
Worin aber liegt der tiefere, der philosophische Sinn der Forderung
nach Meinungsfreiheit? Inwiefern ist die Meinungsfreiheit konstitutiv für
menschliche Würde und Freiheit schlechthin? Zur Beantwortung dieser
Frage läßt sich exemplarisch einer der klassischen Denker des
Liberalismus heranziehen, der Mitte des 19. Jahrhunderts diese Fragen mit
unübertroffener Schärfe und Prägnanz abgehandelt hat, nämlich
John Stuart Mill. Im zweiten Kapitel seines 1859 verfaßten Werkes
„On Liberty“ (deutscher Titel: „Über die Freiheit“) schreibt
er „Über die Freiheit des Gedankens“. Ohne an dieser Stelle seinen
Argumentationsgang in der eigentlich gebotenen Komplexität präsentieren
zu können, muß eine Beschränkung auf seine Zusammenfassung
am Ende des genannten Kapitels erfolgen, wo er vier Gründe anführt,
welche die Notwendigkeit der „Freiheit der Meinung“ und der „Freiheit,
diese auch auszudrücken“ belegen sollen:
„Erstens: Wenn man eine Meinung zum Schweigen zwingt, so kann sie doch,
soweit wir wissen können, richtig sein. Das zu leugnen, hieße
unsere eigene Unfehlbarkeit beanspruchen.
Zweitens: Mag auch die zum Schweigen gebrachte Meinung irrig sein,
so kann sie doch – was häufig genug vorkommt – ein Körnchen Wahrheit
enthalten. Und da die allgemeine oder die vorwiegende Meinung über
eine Sache selten oder niemals die ganze Wahrheit enthält, hat der
übrigbleibende Teil nur durch Zusammenprallen entgegengesetzter Meinungen
Gelegenheit, unterstützt zu werden.
Drittens: Selbst wenn die überlieferte Meinung nicht nur die Wahrheit,
sondern sogar die ganze Wahrheit enthielte, so würden die meisten
derer, die sie teilen, sie nur als eine Art Vorurteil annehmen, mit wenig
Verständnis oder Sinn für ihre verstandesmäßige Begründung,
wenn man nicht zuläßt, ja sogar darauf besteht, sie in vollem
Ernst zu bekämpfen. Und nicht nur dies, sondern
Viertens: Auch der Sinn der Lehre selbst wird in Gefahr sein, verlorenzugehen
oder geschwächt und seines lebendigen Einflusses auf den Charakter
und die Handlungsweise beraubt zu werden. Das Dogma wird ein rein formales
Bekenntnis, wirkungslos für das Gute, doch wird es den Grund überdecken
und dadurch das Wachstum einer wirklichen, von Herzen gefühlten Überzeugung
aus Vernunft oder Erfahrung verhindern.“
Soweit John Stuart Mill mit seiner zeitlos gültigen Begründung
für die Meinungsfreiheit.
Nun bedarf es, um das Recht zur freien Meinungsäußerung
in der Wirklichkeit auch wahrnehmen zu können, eines Instrumentariums
rsp. eines Mediums. Hier kommt die Pressefreiheit ins Spiel. Zur Begründung
der Pressefreiheit führt das Bundesverfassungsgericht aus: „Eine freie,
nicht von der öffentlichen Gewalt gelenkte, keiner Zensur unterworfene
Presse ist ein Wesenselement des freiheitlichen Staates; insbesondere ist
eine freie, regelmäßig erscheinende politische Presse für
die moderne Demokratie unentbehrlich. Soll der Bürger politische Entscheidungen
treffen, muß er umfassend informiert sein, aber auch die Meinungen
kennen und gegeneinander abwägen können, die andere sich gebildet
haben. Die Presse hält diese ständige Diskussion in Gang; sie
beschafft die Informationen, nimmt selbst dazu Stellung und wirkt damit
als orientierende Kraft in der öffentlichen Auseinandersetzung. In
ihr artikuliert sich die öffentliche Meinung; die Argumente klären
sich in Rede und Gegenrede, gewinnen deutliche Konturen und erleichtern
so dem Bürger Urteil und Entscheidung. In der repräsentativen
Demokratie steht die Presse zugleich als ständiges Verbindungs- und
Kontrollorgan zwischen dem Volk und der Regierung. Sie faßt
die in der Gesellschaft und ihren Gruppen unaufhörlich sich neubildenden
Meinungen und Forderungen kritisch zusammen, stellt sie zur Erörterung
und trägt sie an die politisch handelnden Staatsorgane heran, die
auf diese Weise ihre Entscheidungen auch in Einzelfragen der Tagespolitik
ständig am Maßstab der im Volk tatsächlich vertretenen
Auffassungen messen können.“ Das Recht auf Pressefreiheit besitzt
deshalb ein eigenes Gewicht, es stellt nicht bloß einen Unterfall
der Meinungsfreiheit dar und ist nicht bloß in dieser enthalten,
sondern begründet und gewährleistet die institutionelle Eigenständigkeit
der Presse von der Beschaffung der Information bis zur Verbreitung von
Nachrichten und Meinungen.
Meinungs- und Pressefreiheit bedingen einander demnach; beide entsprechen
zwei Seiten ein und derselben Medaille.
2. Die verfassungsrechtliche und gesetzliche Verankerung der Meinungsfreiheit
des Soldaten in der Bundesrepublik Deutschland
In der Bundesrepublik Deutschland finden die rechtsphilosophischen
Überlegungen zum Menschenrecht auf Freiheit sowie zur Meinungs- und
Pressefreiheit ihre Materialisierung im Grundgesetz, wo in den ersten beiden
Artikeln die Unantastbarkeit der Menschenwürde und das Recht auf freie
Entfaltung der Persönlichkeit, sowie im Artikel 5 die Meinungs-, Informations-
und Pressefreiheit, ferner die Freiheit der Kunst und Wissenschaft
fixiert sind. Artikel 5, Abs.1 GG lautet: „Jeder hat das Recht, seine Meinung
in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und
sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten.
Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk
und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.“ Im
Absatz 2 werden als Grenzen der Meinungsfreiheit die Vorschriften der allgemeinen
Gesetze, die gesetzlichen Bestimmungen zum Schutz der Jugend und das Recht
der persönlichen Ehre genannt. Innerhalb dieser Grenzen sind auch
falsche, verwerfliche oder abwertende Meinungsäußerungen geschützt.
Dies gilt namentlich auch für den Fall öffentlich geäußerter
Kritik in der geistigen Auseinandersetzung, an deren Zulässigkeit
auch mit Blick auf das Persönlichkeitsrecht keine überhöhten
Anforderungen gestellt werden dürfen, wie das Bundesverfassungsgericht
konstatiert hat . Die Grenzen der Meinungsfreiheit sind demnach sehr weit
gezogen; grundsätzlich gilt nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichtes
die Vermutung zugunsten der Freiheit der Rede in allen die Öffentlichkeit
wesentlich berührenden Fragen. Nicht gedeckt durch das Recht auf Meinungsfreiheit
sind unrichtige Zitate rsp. die Deklarierung eigener Interpretationen
als Zitat Dritter, ebenso Werturteile, welche die Menschenwürde antasten
oder die als Schmähkritik zu verstehen sind, weil die Diffamierung
einer Person im Vordergrund steht . Auch die bewußte oder erwiesenermaßen
unwahre Tatsachenbehauptung wird nicht von Artikel 5 GG geschützt;
unrichtige Information ist also kein schützenswertes Gut. Andererseits
sind hinsichtlich ihres Wahrheitsgehaltes umstrittene Tatsachenbehauptungen,
die als Grundlage für die Meinungsbildung dienen, durchaus durch das
Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt.
Wie steht es nun um das Recht des Soldaten, des »Staatsbürgers
in Uniform«, auf freie Meinungsäußerung? Prinzipiell besitzt
er die gleichen staatsbürgerlichen Rechte wie jeder andere Staatsbürger.
Auf der Grundlage des Artikels 17a GG kann indes während der Zeit
des Wehrdienstes das Grundrecht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild
frei zu äußern und zu verbreiten (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 erster
Halbsatz), eingeschränkt werden. Dies geschieht durch die einschlägigen
Bestimmungen des Soldatengesetzes, zum Beispiel § 8 (Eintreten für
die demokratische Grundordnung), § 10, Abs. 6 (Zurückhaltungspflicht
des Vorgesetzten), § 12 (Kameradschaftspflicht), § 14 (Verschwiegenheitspflicht),
§ 15 (Politische Betätigung) und § 17 (Verhalten in und
außer Dienst) aber auch die Weisungen und Erlasse, beispielsweise
den Erlaß „Private Veröffentlichungen und Vorträge“ vom
1. Oktober 1982 (VMBl 1982, S. 211f). So darf der Soldat im Dienst sich
nicht zugunsten oder zuungunsten einer bestimmten politischen Richtung
betätigen, muß er sich so verhalten, daß die Gemeinsamkeit
des Dienstes nicht ernstlich gestört wird, darf er insbesondere nicht
als Werber für eine politische Gruppe wirken. Aufgrund seiner dienstlichen
Stellung ist er bei Meinungsäußerungen zu Mäßigung,
Zurückhaltung, Takt und Loyalität gegenüber dem Dienstherren
verpflichtet. Über dienstliche Angelegenheiten und Dienstgeheimnisse
muß er schweigen. Bei privaten Meinungsäußerungen darf
nicht der Eindruck amtlichen Charakters entstehen.
Allerdings enthält der Artikel 17a eine grundsätzliche Bestandsgarantie
der staatsbürgerlichen Grundrechte insofern, als diese nicht völlig,
sondern nur so weit eingeschränkt werden dürfen, wie dies zur
Durchführung der militärischen Aufgaben notwendig ist. Das maßgebliche
Kriterium im Hinblick auf die Zulässigkeit einer Meinungsäußerung
durch Soldaten besteht also darin, ob durch sie die Funktionsfähigkeit
und Wirksamkeit der Bundeswehr konkret gefährdet werden oder nicht.
Darüber hinaus hat das Bundesverwaltungsgericht in seiner ständigen
Rechtsprechung festgestellt: „Soldaten haben nach § 6 Satz 1 SG daher
die gleichen staatsbürgerlichen Rechte wie jeder andere Staatsbürger.
Diese Bestimmung bildet die Grundlage der Wehrverfassung und verdeutlicht
das Leitbild vom »Staatsbürger in Uniform«. Dem Soldaten
steht demnach auch das Grundrecht der freien Meinungsäußerung
gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG zu. Er hat mithin das Recht, seine
Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern. Als Staatsbürger
und Soldat kann er sich dabei auch kritisch mit politischen Fragen, insbesondere
solchen der Verteidigungs- und Sicherheitspolitik, auseinandersetzen und
dabei selbst in Widerspruch zu Meinungen von Vorgesetzten und Kameraden
geraten; er darf in diesem Zusammenhang sogar grundsätzlich auf seine
Zugehörigkeit zur Bundeswehr durch Angabe seines Dienstgrades hinweisen.“
Unter Bezugnahme auf diese Rechtsauffassung des Bundesverwaltungsgerichtes
konstatiert der Führungsstab der Streitkräfte I 4 in seinen G1-Hinweisen
zur „Politischen Betätigung von Soldaten im außerdienstlichen
Bereich“ demgemäß: „Jeder Soldat kann daher außerdienstlich
grundsätzlich seine Meinung frei äußern, auch wenn es sich
dabei um politische Themen handelt und seine Auffassung von der politischen
Linie der Regierung abweicht“, und: „Meinungsäußerungen unter
Angabe des Dienstgrades in Form einer Leserzuschrift oder eines offenen
Briefes sind rechtlich unbedenklich.“ Diese prima facie sehr liberal
und knapp gefaßten Bestimmungen werden indes in zehn von insgesamt
elf Absätzen durch eine Vielzahl formaler Einschränkungen relativiert
und quasi zurückzuholen versucht. Insbesondere wird in diesem Zusammenhang
auf die schon erwähnte Pflicht zur Zurückhaltung und Mäßigung
rekurriert. Dieser Versuch, die Freiheit zur Meinungsäußerung,
wenn man sie schon inhaltlich nicht zurückweisen kann, so doch über
formale Fesselung ihrer Wirksamkeit zu berauben, ist weder neu noch originell:
Der zuvor schon erwähnte John Stuart Mill beschloß seine Ausführungen
zur Meinungsfreiheit, indem er sich denen widmete, „die da meinen, der
freie Ausdruck aller Gedanken sollte gestattet sein unter der Bedingung,
daß es in maßvoller Weise geschähe und man die Grenzen
fairer Diskussion nicht überschritte.“ Im Hinblick auf diese
Forderung merkt er an, daß sich „viel … darüber sagen [ließe],
wie unmöglich es ist zu fixieren, wo man diese Grenzen zu ziehen hätte.
Denn wenn der Prüfstein dafür der Ärger derjenigen ist,
die man angreift, so lehrt die Erfahrung, wie ich glaube, daß das
Ärgernis immer eintritt, sobald man die Attacke eindrucksvoll und
machtvoll führt, und daß jeder Gegner, der sie kräftig
anpackt und dem sie schwer entgegnen können, ihnen – wenn er bei der
Gelegenheit etwas erregt ist – als unbeherrschter Widersacher erscheint.“
Als fundamentaleren Einwand gegen die Definition formaler Kriterien zur
Einschränkung der Meinungsfreiheit führt er jedoch an, daß
sich Verstöße gegen jene kaum jemals konzis nachweisen ließen.
Als solche nennt er: „… sophistische Beweisführung, Unterdrückung
von Fakten oder Beweisgründen, Verdrehung der Grundtatsachen des Falls
und falsche Darstellung der gegnerischen Meinung. Alles dies aber wird
– selbst im schlimmsten Grade – fortwährend in vollkommen gutem Glauben
getan, von Personen, die man nicht für dumm oder unfähig hält
und die in vieler anderer Beziehung diesen Vorwurf auch nicht verdienen,
so daß es selten möglich ist, aus zureichenden Gründen
die falsche Darstellung nach bestem Wissen und Gewissen als moralische
Schuld hinzustellen, noch weniger kann das Gesetz sich anmaßen, in
diese Art polemischen Mißverhaltens einzugreifen. Hinsichtlich dessen,
was man gewöhnlich unter ungezügelter Diskussion versteht, nämlich:
Grobheiten, Sarkasmen, persönliche Angriffe und dergleichen, würde
das Aufzeigen solcher Waffen mehr Sympathien verdienen, wenn vorgeschlagen
würde, sie auf beiden Seiten zu verbieten. Aber man wünscht nur,
ihren Gebrauch gegen die vorherrschende Meinung zu untersagen; gegen die
entgegengesetzte mag man sie nicht nur ohne allgemeine Mißbilligung
gebrauchen, sondern wahrscheinlich wird man den, der sie anwendet, wegen
seines ehrenhaften Eifers und seiner gerechten Entrüstung noch preisen.“
Der entscheidende Einwand gegen die Versuche, die Freiheit der Meinungsäußerung
aufgrund formaler Kriterien von Staats wegen qua Gesetz einzuschränken,
lautet also, daß derartige Kriterien nicht präzise und trennscharf
zu definieren, mithin nahezu beliebig interpretierbar sind und somit die
Gefahr besteht, daß durch entsprechende Eingriffe des Staates das
Grundrecht auf freie Meinungsäußerung selbst ausgehöhlt
oder ausgehebelt werden könnte.
Diese theoretischen rechtsphilosophischen Überlegungen Mills finden
sich in der Praxis der höchstrichterlichen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes
bestätigt. Hervorzuheben ist in diesem Kontext die zentrale Aussage
des Bundesverfassungsgerichtes, daß in der öffentlichen Auseinandersetzung
auch Kritik hingenommen werden muß, die in überspitzter Form
geäußert wird, „weil anderenfalls die Gefahr einer Lähmung
oder Verengung des Meinungsbildungsprozesses droht“ . Ihrer Intention und
Gewährleistungsfunktion nach gelten diese zu Artikel 5 I GG entwickelten
Grundsätze gleichermaßen für zivile Bürger und Soldaten
. Darüber hinaus hat das Bundesverfassungsgericht konstatiert, daß
der Sinn jeder zur Meinungsbildung beitragenden Äußerung darin
besteht, Aufmerksamkeit zu erregen und daß angesichts der heutigen
Reizüberflutung aller Art einprägsame, auch starke Formulierungen
gewählt werden müssen ; da das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung
die Funktion der öffentlichen Meinungsbildung sichern soll, müssen
Äußerungsformen geschützt werden, die im harten Mediengefecht
als Instrument der Auseinandersetzung taugen .
3. Die Meinungsfreiheit im Rahmen der Konzeption der Inneren Führung
Warum aber sollte der Soldat eigentlich in den Genuß des Rechtes
der Meinungsfreiheit kommen, scheint sein Daseinszweck doch gemäß
dem von ihm zu leistenden Diensteid zuvörderst im „treuen Dienen“
und „tapferen Verteidigen“ zu bestehen? In bewußter Abkehr vom traditionellen
Verständnis vom Militär als einer Institution „sui generis“ hatte
Generalleutnant Wolf Graf von Baudissin in der Gründungsphase der
neuen deutschen Bundeswehr die Konzeption der »Inneren Führung«
entworfen, die bis heute quasi ihre „Verfassung“ konstituiert, zugleich
oftmals auch als die „Philosophie“ rsp. die „Führungsphilosophie“
der Streitkräfte apostrophiert wird. Während die Konzeption der
deutschen Armeen in der Vergangenheit darauf beruhte, daß der Soldat
mit dem Bürger nichts gemein hatte, sollte der Soldat der Bundeswehr
den »Staatsbürger in Uniform« verkörpern. Während
der Soldat in der Vergangenheit sich mit seinem Eintritt in die Truppe
anderen Normen und Wertmaßstäben, nämlich in allererster
Linie Gehorsam, Mut, Pflichterfüllung und Treue als Tugenden, denen
er zu dienen hatte, unterstellte und er als Individuum wenig bis gar nichts
galt, sollten dem zivilen Bürger im militärischen Dienst
der Bundeswehr seine ihm qua Verfassung verbrieften grundlegenden Menschen-
und Bürgerrechte, die er im Ernstfall unter Einsatz seiner Gesundheit
und seines Lebens ja verteidigen soll, weiterhin garantiert bleiben. In
Anbetracht der Funktionsimperative, die in einer tendenziell „totalen Institution“
vorherrschen, wie der Sozialwissenschaftler Goffman sie beschreibt und
wie das Militär sie darstellt, war dies allerdings eine gewagte, ja
revolutionäre Idee. Innere Führung will die in einem auf der
strikten Geltung von Befehl und Gehorsam basierenden, an streng hierarchischen
Ordnungsmustern organisierten System herrschende Unterdrückung menschlicher
Individualität überwinden. Zugleich soll durch die Etablierung
des Leitbildes vom kritischen, zu eigenem Urteil befähigten und zivilcouragierten
Staatsbürger in Uniform der elende Untertanengeist im Militär
ein für allemal verschwinden.
Während das deutsche Militär vergangener Zeiten von einer
elitär-solidarischen Gesinnung, dem sogenannten Korpsgeist, geprägt
war, der zu jenem verhängnisvollen Denken vom „Staat im Staate“ führte,
bestand das tatsächlich Revolutionäre des Ansatzes des Generals
von Baudissin zur Militärreform vor allem darin, daß das Militär
demokratietauglich und kompatibel mit einer pluralistischen Gesellschaft
gemacht werden sollte, indem ihm der Nährboden für das Milieu
atavistischer militärischer Gesinnung entzogen wurde. Solchermaßen
sollte der gesellschaftspolitischen Selbstisolation rsp. Isolation der
Streitkräfte entgegengewirkt und die Integration der Streitkräfte
in den demokratisch-pluralistischen Staatsaufbau und ihre Übereinstimmung
mit einer offenen, pluralistischen Gesellschaftsform gefördert werden.
Ihre verfassungsrechtliche Bestätigung und Grundlage findet die
Konzeption der »Inneren Führung« im schon erwähnten
Artikel 17a des Grundgesetzes, durch dessen enumerative Beschränkungsnorm
sichergestellt wird, daß auch für den Soldaten der Grundrechtekatalog
in seinem Wesensgehalt gilt. Einer der namhaftesten bundesrepublikanischen
Verfassungsrechtler, Günter Dürig, beschrieb die gleichzeitige
Not und Größe einer Armee, wie sie das Grundgesetz festlegt:
„Not insofern, als heute weder die Armee als staatliche Institution noch
der Soldat als einzelner etwas Besonderes im Verhältnis zu anderen
staatlichen Institutionen und anderen Staatsbürgern ist; Not auch
insofern, als in der Sicht der Kommandeure eine verteidigungsbereite Mannschaft
mit ›entbürgerlichten Nur-Soldaten‹ naturgemäß viel leichter
auszubilden ist als mit Menschen, die in die Armee auch wesentliche Bestandteile
ihrer Bürgerstellung noch mit einbringen. Größe insofern,
als hiermit (endlich einmal) der in der deutschen Geschichte so unglückliche
Dualismus zwischen ›Bürger‹ und ›Soldat‹ und damit auch zwischen ›Staat‹
und ›Armee‹ überwunden werden kann; Größe aber auch in
der Sicht der Kommandeure insofern, als sie Bürger voraussetzen können,
die eigenverantwortlich wissen, warum sie dienen und im Verteidigungsfall
kämpfen.“
Was nun die Freiheit der Meinungsäußerung angeht, so ist
dieses Recht mit der Konzeption der Inneren Führung und dem Leitbild
des Staatsbürgers in Uniform untrennbar verbunden. Dieser Nexus wird
auch regierungsamtlich bestätigt . Sowohl von Baudissin als auch die
verfassungsrechtlichen Bestimmungen knüpfen damit an grundlegende
Überlegungen zur Meinungsfreiheit aus der Zeit der Aufklärung
an, wie sie beispielsweise der Philosoph Immanuel Kant 1783 in seinem Traktat
zur „Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?“ formuliert
hat. Er geht vorderhand von der Prämisse aus, daß Aufklärung
„der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit“
sei, wobei die Unmündigkeit in der Unfähigkeit bestehe, „sich
seines Verstandes ohne die Leitung eines anderen zu bedienen“, und das
eigene Verschulden an der Unmündigkeit dann gegeben sei, „wenn die
Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung
und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen.“
Um das Ziel der Aufklärung zu erreichen, hält Kant nur eines
für erforderlich, nämlich Freiheit; „und zwar die unschädlichste
unter allem, was nur Freiheit heißen mag, nämlich die: von seiner
Vernunft in allen Stücken öffentlichen Gebrauch zu machen.“ Messerscharf
erkannte der Philosoph, wo sich gegen dieses Freiheitspostulat Widerstand
formieren würde: „Nun höre ich aber von allen Seiten rufen: räsonniert
nicht! Der Offizier sagt: räsonniert nicht, sondern exerziert! Der
Finanzrat: räsonniert nicht, sondern bezahlt! Der Geistliche: räsonniert
nicht, sondern glaubt!“ Gegen die anti-aufklärerischen und anti-liberalen
Instinkte aus dem Militär, der Bürokratie und dem Klerus setzt
Kant seine Forderung, daß jeder Bürger von seiner Vernunft öffentlich
freien Gebrauch machen dürfe, worunter er versteht „vor dem ganzen
Publikum der Leserwelt“, sozusagen „als Gelehrter“, seine Gedanken und
Meinungen zur Diskussion zu stellen. Davon unterscheidet er den Privatgebrauch,
den jemand in seiner Eigenschaft als Inhaber eines öffentlichen Amtes
oder bürgerlichen Postens von seiner Vernunft macht; dieser dürfe
durchaus eingeschränkt werden: „Hier ist es nun freilich nicht erlaubt
zu räsonnieren; sondern man muß gehorchen.“ Was die Meinungsfreiheit
der Soldaten anbelangt, so äußert sich Kant sehr dezidiert:
„So würde es sehr verderblich sein, wenn ein Offizier, dem von seinen
Oberen etwas anbefohlen wird, im Dienste über die Zweckmäßigkeit
oder Nützlichkeit dieses Befehls laut vernünfteln wollte; er
muß gehorchen. Es kann ihm aber billigermaßen nicht verwehrt
werden, als Gelehrter, über die Fehler im Kriegsdienste Anmerkungen
zu machen, und diese seinem Publikum zur Beurteilung vorzulegen.“
Gerade auch was die Soldaten betrifft, ist demzufolge aus rechtsphilosophischer
Sicht gegen die Freiheit zur Meinungsäußerung nicht das geringste
einzuwenden.
Diese fundamentalen Gedanken fanden nicht nur, wie schon erwähnt,
Eingang in die Konzeption des Generals von Baudissin. Auch in der Folgezeit
wiesen maßgebliche Repräsentanten aus Militär und Politik
immer wieder auf den Stellenwert freier Diskussion innerhalb und außerhalb
der Streitkräfte hin. So merkte beispielsweise General Ulrich de Maizière,
einer der ersten Generalinspekteure der Bundeswehr, hierzu an: „Auch die
Weiterentwicklung der inneren Ordnung der Bundeswehr vollzieht sich in
der Form der Diskussion, Diskussion nicht nur in der Öffentlichkeit,
sondern auch innerhalb der Streitkräfte. … Diskussion und Gehorsam
schließen sich nicht aus. … Ein stärkeres Maß an Diskussion
in den Streitkräften ist die natürliche Folge der Erkenntnis,
daß es eine Homogenität des militärischen Führerkorps
im Sinne früherer Zeiten nicht mehr gibt. Hier spiegeln sich deutlich
die gesellschaftlichen Entwicklungen in der Bundeswehr wider. Ich bedauere
diese Nonkonformität nicht, sofern über Auftrag und Zielsetzung
gemeinsame Grundauffassungen bestehen. Sie entspricht der Vorstellung von
Soldaten als mündigen Staatsbürgern.“
Der frühere Verteidigungsminister Helmut Schmidt betonte vor dem
Deutschen Bundestag, daß „Generale … das Recht auf Meinungsfreiheit
in der Bundeswehr [haben], Leutnante, Unteroffiziere und Wehrpflichtige
auch. Wir leben in einer pluralistischen Gesellschaft. Die Bundeswehr ist
eine pluralistische Armee. Es fällt einigen älteren Angehörigen
des Offizierkorps schwer, diesen Tatbestand zu akzeptieren. … Wir haben
auch ein pluralistisches Offizierkorps. Es wird in dieser Gesellschaft
kein homogenes Offizierkorps mehr geben. Ich bin darüber gar nicht
traurig. Ich finde das ganz richtig; denn es zeigt den Integrationsgrad,
den Grad der Durchdringung in die Gesellschaft hinein, der hier besteht.“
Fritz Erler zeigte die Vorzüge einer freien Debatte in der Öffentlichkeit
auch für die Streitkräfte auf: „Militärische Angelegenheiten
werden in der Presse breit diskutiert, manchmal vielleicht zum Ärger
und zum Schaden der unmittelbar betroffenen Kreise. Doch ist dies eine
gesunde Entwicklung, denn die öffentliche Debatte kann Besserung bewirken
und notwendige Korrekturen erzwingen. In der Bundesrepublik Deutschland
werden die Soldaten nicht mehr, wie früher, vom normalen Leben des
Volkes ausgeschlossen.“
Auch eine konservative Bundesregierung postulierte: „… [M]it der Konzeption
der Inneren Führung und dem Leitbild vom Staatsbürger in Uniform
ist die Freiheit der Meinungsäußerung untrennbar verbunden,
damit eine Uniformität des Denkens in den Streitkräften vermieden
und die geistige Auseinandersetzung mit politischen und gesellschaftlichen
Gegebenheiten angeregt wird. In den Zeitschriften der Truppeninformation
gilt es daher, Meinungsbildung, Meinungsaustausch, Erfahrungsaustausch
und Diskussion anzuregen sowie die geistige Auseinandersetzung zu fördern.
Auch für Soldaten wird eine Meinungskontrolle oder Einschränkung
nicht erfolgen, solange sie nicht gegen gesetzliche Auflagen oder den Primat
der Politik verstoßen.“ Solch Botschaft hört man gern,
allein es fehlt der Glaube: Das Problem nämlich besteht darin, daß
Anspruch und Wirklichkeit zuweilen doch weit auseinanderklaffen.
Die mancherorts in der Bundeswehr in Anbetracht der neuen Auftragslage
zur Disposition gestellte Konzeption der Inneren Führung bedarf insgesamt
dringend einer Revitalisierung. In diesem Zusammenhang muß auch der
insbesondere in der militärischen Führungsspitze nicht sonderlich
geschätzten Meinungsfreiheit von Soldaten Aufmerksamkeit gewidmet
werden. Im Hinblick darauf seien die folgenden Thesen zur Diskussion gestellt.
4. Thesen für eine freie und demokratische Diskussionskultur im
Militär
· Der Grad der Integration der Bundeswehr in die demokratische
Staats- und Gesellschaftsordnung spiegelt sich in der öffentlich geführten
Debatte wider. Je mehr der Bürger den Eindruck gewinnen kann, daß
Soldaten über essentielle Themen der Sicherheitspolitik in gleichermaßen
kontroverser Manier diskutieren wie die zivile Öffentlichkeit auch,
desto eher ist die Bundeswehr in die kommunikative Lebenswelt aller Bürger
integriert. Umgekehrt gilt, daß Versuche der politischen Leitung
und militärischen Führung, von oben Homogenität und Einheitlichkeit
der Rede in der Öffentlichkeit zu verordnen, dort eher Mißtrauen
erregen, den Verdacht erwecken, etwas verheimlichen oder das Publikum hinters
Licht führen zu wollen und somit die Institution des Militärs
eher als Fremdkörper in der demokratisch-pluralistischen Gesellschaft
erscheinen lassen. Kurz gesagt: Integration erfordert Diskussion und Dialog,
gerade in und mit der Öffentlichkeit!
· Als Lackmustest für die demokratische Reife und Kultur
der Institution Bundeswehr erweist sich der Umgang mit Kritikern von außerhalb,
aber auch innerhalb der Streitkräfte. Diskussionsverbote der Art,
daß Jugendoffizieren untersagt wird, sich auf dem Podium mit Vertretern
des „Darmstädter Signals“ zu streiten, Stigmatisierung oder gar Exkommunikation
von Kritikern nach dem Motto: „Dann suchen Sie sich doch eine andere Armee!“,
zeugen eher von mangelnder Souveränität, Intoleranz und fehlendem
Vertrauen in die Überzeugungskraft der eigenen Argumente. Meinungsfreiheit
für Soldaten darf nicht mißinterpretiert werden als die Freiheit,
öffentlich die Meinung der politischen Leitung und militärischen
Führung vertreten zu dürfen. Im Gegenteil: Ohne Angst vor Repressalien
dezidiert auch abweichende Positionen vertreten zu können, frei nach
Rosa Luxemburg also die Freiheit Andersdenkens und Andersredens zu nutzen,
ist Indikator für eine liberale Gesinnung und ein demokratisches Selbstverständnis
des Militärs.
· Die Rolle und Funktion der Truppenzeitschriften als Medien
der politischen Bildung und als Foren für die offene, kritische und
kontroverse Diskussion in der Bundeswehr muß wiederbelebt werden.
Jene sind wichtig für die Gestaltung von aktuellen Informationen und
Unterrichten sowie für das persönliche Selbststudium; kurz gesagt:
für die unbedingt erforderliche Bildung politischer Urteilskraft.
Indes läßt sich an Beispielen empirisch belegen, daß Zeitschriften
wie »Information für die Truppe«, »Y.«
oder die mittlerweile eingestellte »Truppenpraxis/Wehrausbildung«
durch das Bundesministerium der Verteidigung kontrolliert und zensiert
werden. Realiter taugen die angesprochen Zeitschriften nur sehr eingeschränkt
als Foren für einen freien und offenen Diskurs über sicherheits-
und gesellschaftspolitische Themen in den Streitkräften. In aller
Regel besitzen sie eine einseitige Sprachrohr-Funktion für das Bundesministerium
der Verteidigung. Die Redaktionen sind gezwungen, den von dort vorgegebenen
Sprachregelungen zu folgen. Durch ein derart anti-aufklärerisches,
feudalistisch geprägtes Handeln auf höchster Ebene muß
der kritisch-loyale, zum eigenständigen politischen Denken und Urteilen
befähigte Staatsbürger in Uniform notwendigerweise auf der Strecke
bleiben.
· Anstatt Verfassungspatriotismus, freies, unabhängiges
Denken und offene, auch öffentliche Diskussion zu fördern und
zu fordern, wird einem falsch verstanden Primat der Politik, einem rein
personalen Loyalitätsverständnis und einem rigiden Korpsgeist
gehuldigt. An die Stelle von aufrechtem Gang, Mut und Zivilcourage sind
vielfach Opportunismus, Stromlinienförmigkeit und Karrierismus getreten.
Primat der Politik bedeutet nicht, stets und überall beflissen die
Auffassungen der politischen Leitung und militärischen Führung
wiederzugeben und zu vertreten. Primat der Politik bedeutet Gehorsam im
Handeln gegenüber den Anweisungen des Souveräns, soweit dies
mit Recht und Gesetz sowie dem eigenen Gewissen in Einklang zu bringen
ist. Eine der Grundpflichten des Soldaten besteht demnach im Gehorsam,
nicht jedoch darin, die erhaltenen Aufträge und Befehle kritiklos
gutzuheißen. So wie der Soldat als Befehlsempfänger es ertragen
muß, unbequeme Befehle auszuführen, so muß der Befehlsgeber
es ertragen, daß diese diskutiert und kritisiert werden, solange
ihnen nur Folge geleistet wird. Ganz im Sinne Immanuel Kants muß
die Maxime lauten: „Räsonniert, soviel ihr wollt, und worüber
ihr wollt; nur gehorcht!“
Dipl. Päd. Jürgen Rose ist Oberstleutnant der Bundeswehr.
Er vertritt in diesem Beitrag nur seine persönlichen Auffassungen.
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