IPPNW Deutschland
Körtestr. 10 10967 Berlin ramstein@ippnw.de Berlin/March, 11.2.2004
Offener Brief zum Demonstrationsaufruf „Internationaler Friedens-Aktionstag 20.März 2004“ Sehr geehrte Damen und Herren,
nicht eine einzige Position Ihres Aufrufs ist für einen friedensbewegten
Menschen nicht unterschreibbar. Alles hört sich gut an. Der Aufruf
in seiner Gesamtheit jedoch geht so fehl, daß er untragbar ist. Vergleichen
wir die Sätze mit einem menschlichen Körper: eigentlich kerngesund
- bis auf den winzigen Umstand, daß ihm das Hirn fehlt. Eine Leiche.
Der Aufruf ist in den Zusammenhang des weltweiten Protests gegen den Irakkrieg gestellt. Daß dieser Zusammenhang jedoch inhaltlich NICHT deutlich wird, ist der zweite Kardinalfehler, der im Verhältnis zu dem erstgenannten jedoch weniger bedeutend ist.. Jeder Hinweis darauf fehlt, daß Ramstein nicht eine beliebige US-Militärbasis ist, sondern DAS Zentrum des US-Nachschubs und der Irakkriegs-Vorbereitung in Europa mit 40.000 Soldaten. Ramstein war und ist Nadelöhr und Nabel der US-Kriege der letzten
Jahre - dieses Faktum ist umfangreich dokumentiert und kann Ihnen nicht
verborgen geblieben sein.
Wir halten Ihnen zugute, daß Ihr Name IPPNW und Ihr Selbstverständnis als „Ärzte gegen den Atomkrieg“ eine Fokussierung auf diese Waffenart bedeutet, die sich somit im Aufruf niederschlägt. Mit Müh und Not lässt sich so Ramstein als Zielort der Demonstration begründen, als A-Waffenhort, aber nicht als Drehkreuz des Kriegs mit ALLEN Waffen. Nur wurde eben nicht mit den von Ihrer Organisation ausschließlich ins Visier genommenen (Ausnahme Uranmunition) A-Waffen im Irak gebombt. Die Drohung besteht zwar, weil USA und NATO künftig auch gegen Nicht- Atomwaffenstaaten atomar vorgehen wollen. Aber darf sich der Protest am Jahrestag des Kriegsbeginns gegen ein drohendes Konzept richten, während die stattgefundene und stattfindende Realität grausamer konventioneller Waffen ausgeklammert wird? Unser Kernvorwurf lautet daher: Es fehlen jegliche Zielorientierung und der Adressat. Sie protestieren „schärfstens“ und „mit allem Nachdruck“ – gegen wen, bei wem? Atomwaffen gibt es seit 1945. Warum also die Schärfe an diesem Ort, zu diesem Anlaß und zu diesem Zeitpunkt? Folgende Aspekte der letzten 14 Jahre haben Sie im bisherigen Aufruf
nicht berücksichtigt - trotz ihrer Augenfälligkeit:
2. Seit dem Ende des „Kalten Kriegs“ ist jedes Argument einer „Abschreckungsnotwendigkeit“ entfallen, ob damals vorgeschoben oder nicht. Hier und jetzt besteht keine Notwendigkeit für eine „allerletzte Option“ mehr – und damit auch nicht für eine Lagerung von A-Waffen auf deutschem Boden. Völkerrechtlich steht seit dem 2+4-Vertrag fest, „dass von deutschem Boden nur Frieden“ ausgehen soll. A-Waffen, zu welchem Zweck auch immer, passen nicht zu dieser Selbst-Verpflichtung. Zusammen mit dem A-Waffen-Sperrvertrag ergibt dies Argumente genug für die deutsche Regierung, eine Entfernung der A-Waffen zu fordern. 3. Aus welchem Grund auch immer: die Bundesregierung täuscht die Öffentlichkeit über die objektiv günstige Sicherheitslage nach Ende des Kalten Krieges. Sie bauscht im Gleichklang mit anderen Staaten die Risiken aus Proliferation von Massenvernichtungswaffen in Verbindung mit dem Internationalen Terrorismus zur Jahrhundertbedrohung auf und betreibt in aller Öffentlichkeit den Umbau der Bundeswehr von einer Verteidigungs- zur Interventionsarmee. Welchen Stellenwert ein „atomares backup“ in diesem Prozeß bilden soll, ist die Bundesregierung zu fragen. 4. Der Irak besitzt keine Massenvernichtungswaffen. Gesetzt den irrealen Fall, er hätte welche besessen sowie dazugehörige Trägerraketen, wären militärische Knotenpunkte des Aggressors bevorzugtes militärisches Ziel gewesen. Die militärische Logik wäre auch völkerrechtlich legal gewesen (Art 51 der Charta der Vereinten Nationen). Es war die Bundesregierung, die uns mit Überflugrechten, Startgenehmigungen für Ramstein-Flieger und diversen anderen Unterstützungsleistungen für den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg zumindest theoretisch gefährdet hat. Attentate waren dagegen eine reale Gefahr. Die Gefährdung unseres Landes durch zu erwartende künftige „humanitäre Interventionen“ liegt auf der Hand. Auch das hat die deutschen Bundesregierung zu verantworten. Angesichts der Politik der Bundesregierung in den zurückliegenden
Jahre sowie absehbarer künftiger Entwicklungen halten wir einen derartig
nebulösen Aufruf für unverantwortlich und für eine weitere
Desorientierung friedenspolitischen Engagements.
Wer auf seinen Wegen kein Ziel hat, darf sich nicht wundern, wenn
er nirgends ankommt. Wer falsch und unvollkommen diagnostiziert, sollte
Patienten fernbleiben.
Mit friedlich-freundlichen Grüßen Andreas Hauß, Institut für Medienanalyse und Friedensforschung
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