junge welt vom 19.11.2002 - Fanatismus leicht gemacht Feuilleton Günter Platzdasch ... Gemeint war damit nicht nur die Anrufung Gottes in der Präambel des Grundgesetzes (»Verantwortung vor Gott«), die in Schulrechtsstreitigkeiten praktisch wird: vom Kruzifix an der Wand bis zum Tuch auf dem Kopf einer Lehrerin. Hildebrandt meinte vor allem den »zivilreligiösen Verfassungspatriotismus« und die Heiligsprechung des Grundgesetzes durch die sogenannte »Ewigkeitsklausel« des Artikels 79, mit der grundlegende Änderungen als »unzulässig« erklärt werden. Gleichwohl wird das Grundgesetz fast jedes Jahr geändert. Der erste Satz im ersten Artikel des Grundgesetzes »Die Würde
des Menschen ist unantastbar«, so Jürgen Gebhardt (Uni Erlangen),
sei nicht nur ein Aberglaube, sondern »blanker Unsinn, denn sie wird
laufend angetastet«. Weitere Merkwürdigkeiten bundesdeutscher
theologischer Politik kamen zur Sprache: ...
Nicht nur die Rede von der »Omnipotenz« des Gesetzgebers
führt zur Annahme, alle prägnanten Begriffe der modernen Staatslehre
seien säkularisierte theologische Begriffe. Zwar wird seit der Reformation
die Verzahnung von Kirche mit weltlicher Macht aufgelöst und die Rationalität
von Politik gepriesen, aber das Religiöse verschwindet nicht, sondern
vagabundiert anderswo. Manche
Ein Diskutant, gerade aus den USA zurückgekehrt, brachte die auf
der Konferenz deutlich gewordene Gefahr einer Theologisierung des Politischen
auf den Punkt, als er den Versuch des Theologen Wolfgang Vögele (Loccum),
eine »Minimaldefinition der Menschenwürde« zu basteln,
als wohlmeinende, aber harmlose Abseitigkeit, die nur für endloses
Geschwafel in evangelischer Akademien tauge, kritisierte: Als er auf der
Titelseite einer großen US-Tageszeitung das Foto des nackt, gefesselt
am Boden liegenden »amerikanischen Taliban« sah, der als »Bestie«
präsentiert wurde, sei ihm klargeworden, daß dort Selbstgewißheiten
wie die, God’s own country zu sein, darin endeten, daß der politische
Gegner zum totalen Feind werde, dem jede Menschenwürde abzuerkennen
sei.
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Wie drei westlinke Philosophen ihre Autos in Jena verschenkten
Mathias Hildebrandt, Jürgen Gebhardt (beide Uni Erlangen) und Günter Platzdasch trafen sich in Jena beim 6. Thüringentag für Philosophie, wie wir der JW vom 19.11.2002 entnehmen konnten. Was dort nicht zu lesen war, war das Ungemach, das sie erlitten: H.s BMW wurde vom Hotelparkplatz geklaut, G. zerbeulte seine Stoßstange und zerschredderte Kotflügel und Scheinwerfer seines fast fabriikneuen Golfs in einem ansonsten glimpflichen Crash mit einem Stadtbus. P. berichtete darüber. Nun gibt das das Vorurteil, Philosophen seien nicht von dieser Welt. Nicht so unsere Realphilosophen aus Bayern. Sie wissen, dass gegenüber Polizei und Versicherungen nicht wichtig ist, ob man einen Autoschlüssel vorweisen kann oder einen Fahrzeugschein. Der (jahrelang ruhende) Fahrzeugbrief ist jetzt wichtig, denn dort steht mit Brief und Siegel, verbürgt und abgesegnet, wem das Auto gehört. Besitz und Eigentum sind zwei unterschiedliche Kategorien. Verleihe ich mein Auto, oder wird es mir geklaut, ist der neue Besitzer noch längst nicht der Eigentümer. Das wissen unsere Philosophen. Sie wissen, wie die Vertragslage bei einem geleasten Auto wäre. Beide waren aber Eigentümer. Und dennoch, in einem Anfall von Spenderlaune zerriss H. seinen KFZ-Brief, ging nicht zur bürgerlich-repressiven Polizei, schaltete seine bourgeoise Versicherung nicht ein. Er kritisierte vor allem den »zivilreligiösen KFZ-Briefpatriotismus« und die Heiligsprechung der BGB-Besitztumsparagraphen durch die sogenannten »Ewigkeitsklauseln« im KFZ-Brief, mit denen grundlegende Änderungen als »unzulässig« erklärt werden. Gleichwohl wird sein Auto mal von seiner Frau, seinem Sohn und nun vom Dieb gefahren, der Besitz also fast jeden Tag geändert. Auch G. zerriss seinen KFZ-Brief, und die Versicherungspolice gleich
dazu.
P. unterstützte die unglaubliche Spendabilität unserer philosophischen Realhelden, indem er offenbar mit einem Diskutanten sympathisierte. Dieser charakterisierte jegliches Beharren auf Eigentum und verbrieften Rechten "als wohlmeinende, aber harmlose Abseitigkeit, die nur für endloses Geschwafel in evangelischer Akademien tauge," Nicht ganz klar wurde in den Beiträgen, wann das Recht auf Eigentum in den Köpfen dieser Philosophen endete - oder ob es womöglich gar nicht existierte, nie existiert hatte. -------------
Erlogen ist die Geschichte mit den KFZs. Aber beim Grundgesetz argumentieren unsere Realphilosophen exakt so wie bei den Fahrzeugpapieren. Durch das Foto des nackt, gefesselt am Boden liegenden »amerikanischen Taliban« sah, der als »Bestie« präsentiert wurde, sei ihm klargeworden, daß dort Selbstgewißheiten wie die, God’s own country zu sein, darin endeten, daß der politische Gegner zum totalen Feind werde, dem jede Menschenwürde abzuerkennen sei. Selbstgewißheiten enden irgendwo, je nachdem wer wem was aberkennt. Unklar bei dem Schwachsinn ist wirklich, ob die Würde des Menschen durch den Polizisten, der einen Demonstarnten oder Obdachlosen tritt, aufgehoben wird, oder ob sie sukzessive durch die Instanzen beim Prozess gegen den Polizisten erlischt..Oder ob der Kanzler die Würde aberkennen darf, oder Rau - oder das Bundesverfassungsgericht? Wo endet so eine Würde? Oder gibt es sie gar nicht? Nur eine nicht objektiv vorhandene, nur subjektiv angeklebte Selbstgewißheit? Wer diese Selbstgewißheit nicht hat, z.B. so ein nackter Taiban, ein verängstigter Obdachloser, eine alkoholisierte Frau, ein unzurechnungsfähiger Verwirrter, ein Kind, ein Alzheimerpatient - hat sie eben nicht, die Würde? Die Idioten, die "Recht wie Glut im Kraterherde" einforderten und sangen
"die Internationale erkämpft das Menschenrecht" - haben sie vielleicht
Selbstgewißheiten gemeint und nicht etwa verbriefte
Rechte? Letztere sind ja eh egal, weil sie einem von jedem Hausmeister
oder Dieb genommen werden können. Wie es bei bürgerlichem Gedöns
halt so ist. Weshalb sich der Kampf um den Erhalt guter oder die Erlangung
besserer Gesetze bekanntlich nicht lohnt und nicht nur ein Aberglaube,
sondern »blanker Unsinn ist, und nur der Integration
der rrrevolutionären Krafte in den bürgerlichen Staat dient.
Wo doch, wie jeder weiss, die wahre Freiheit innen liegt, als Selbstgewißheit
fest verankert und an die Kraft des Subjekts gebunden, das sich
halt im darwinistischen Auslesekampf behaupten muss. Wo gehobelt wird,
fallen eben Späne, und das Lamento über die brutalen Naturgesetze
klingt wie wohlmeinende, aber harmlose Abseitigkeit, die nur für
endloses Geschwafel in evangelischer Akademien tauge.
Es gibt Rechtsnihilisten, die sich als Linke ausgeben, sich womöglich sogar subjektiv so fühlen. Wenn es nicht endlich klar wird, wes Geistes Kind sie sind und dass sie denen zuarbeiten, die liebend gerne das Grundgesetz "mal so richtig überarbeiten" möchten, so entschlacken von z.B. Art 26, läßt sich über die deutsche Linke wirklich ein Ei klopfen. Vom Kanzler final verfrühstückt. |