deutsch-ukrainische Gemengelage 
Herrn Gernot Erler, MdB
Stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion
Deutscher Bundestag
Platz der Republik
D-11011 Berlin

per E-Mail: gernot.erler@bundestag.de
 

Offener Brief zur deutsch-ukrainischen Gemengelage
 

Freiburg, 24.11.2004
 
 

Sehr geehrter Herr Erler,

als Freiburger MdB (Freiburg betreibt eine Städtepartnerschaft zu Lviv), als Chef Ihrer West-Ost-Gesellschaft, als Historiker und Slawist, Mitglied des deutsch-ukrainischen Forums, DGAP-Mitglied und aus vielen anderen Funktionen mehr muß man annehmen, daß Sie wissen was Sie tun, wenn Sie zum Thema Ukraine reden. Sie sind Kenner des Landes, Sie kennen die historischen Gräben des letzten Jahrhunderts  die die Ukraine durchziehen und in die zuerst Millionen Juden gestoßen wurden, und die dann später eben auch zu Gräbern für die Täter: Wehrmachtsangehörige, darunter viele ukrainische SS-Angehörige wurden. Diese Gräben zwischen Lemberg und Maikop, den Pripjet-Sümpfen und dem Donbas wieder aufzureißen, ist leicht. Gestern berichtete das moldawische Fernsehen: „Während eines Besuchs in Yad Vashem überreichte Vladimir Voronin mehr als 61 Akten mit Angaben über den Massenmord an Juden während des Zweiten Weltkriegs in Moldova und in der Ukraine.“ 
Die Verantwortung für das Aufreißen von Gräben wiegt schwer. „Ich fürchte, dass es bei uns nicht zum georgischen, sondern zum rumänischen Szenario kommen wird“, sagte gestern der Chefredakteur der Kiewer Zeitschrift „Optimist“.

Heute erklärten Sie im Deutschlandfunk „Aber ich persönlich weiß, dass der deutsche Bundeskanzler nicht anders über die Situation in der Ukraine denkt als der Außenminister“ – Sie verdeutlichen, wie abgestimmt Ihr Spiel ist. In Georgien hat Herr Wieck glänzend vorgelegt, in Minsk sind Sie übel gescheitert, aber nun soll es in Kiew klappen ? Ein gewagtes Spiel mit hohem Einsatz. Menschenleben, die Sie als Kollateralschäden abbuchen können, aber auch Rohrleitungen, die in Ost-West- Richtung die Nordsüd-Gräben kreuzen. Reißen Sie die Gräben auf, können die Leitungen knicken. Das wissen Sie – und deshalb engagiert sich Schröder weiter in seiner Männerfreundschaft zu Putin. Der wiederum kennt das Spiel auch und kündigt neue Traglasten für die „Topol“ an. 

Die Ukraine ist ein souveräner Staat. So souverän, daß er auch und schon in Sowjetzeiten einen eigenen UN-Sitz hatte. Sie behandeln die Ukraine wie ein deutsches Protektorat wenn Sie sagen, die Demonstranten in Kiew „verdienen jede Unterstützung“ und konstatieren „...hier ist wirklich so etwas wie eine Auseinandersetzung zwischen einem alten Regime“ (das die auch von Deutschland anerkannte Regierung stellte und stellt !) „...und einer Bürgerbewegung, die eine neue politische Kultur will, die einen Aufbruch gewagt hat in wirklich eine neue Gesellschaft, wo man wirklich Stellung beziehen muss.“ So - muß man das ? Putins Wahlkamof – Hilfe  in der Ukraine ablehnend sagen Sie: „...ich bin ein bisschen stolz darauf, dass die EU das nicht gemacht hat, denn das war ja nun eine so massive Beeinflussung, dass man sagen kann, das sollte man nicht unbedingt nachmachen.“
Wie offenherzig Sie sind ! Eine „so massive“ Beeinflussung ist nichts für Sie – denn Offensichtlichkeit wäre kontraproduktiv. Klar doch: Sie haben seit Jahren alles dazu getan, im Vorfeld aktiv zu werden. Rainer Lindner sagte, man sei mit vielen der ukrainischen Generäle „im Dialog“ gewesen, auch sehen ukrainische Oligarchen ihre Pfründe schwinden, wenn es eine Eiszeit im Verhältnis zur EU gäbe. Tausende „Berater“ haben sich da getummelt, so der Daimler-Repräsentant Prof. M. Kleinert und auch Ihr Statthalter im Büro der Friedrich-Ebert Stiftung in Kiew, Helmut Kurth. Der beurteilt die Lage so: "Beide Teile gehören zusammen, beide Teile sind eine Einheit." Momentan sei ein Zerfall der Ukraine nicht in Sicht. Wie beruhigend, was „momentan“ nicht anstehe ! Und morgen? 

Sie nun wieder, Herr Erler, wissen Bescheid: „Es ist ja nun so eindeutig, was da vorgegangen ist und wie massiv hier möglicherweise im Bereich von Millionen von Stimmen gefälscht wurde.“ Haben Sie solche Worte im Jahre 2000 bzgl. Florida oder in diesem Jahr bzgl. Ohio gesagt ? Also scheint Ihre Ablehnung von Wahlfälschungen geographisch begrenzt zu sein. Nicht? Dann können wir also darauf schließen, daß Sie über ein phänomenales Wissen über ukrainisches Wählerverhalten verfügen, besser als das der dortigen Wahlkommission. Wie machen Sie das ? Dauernd wissen Sie über andere Länder besser Bescheid als die Institutionen und Regierungen dort. 

Nun kommt Wladimir Putin morgen nach Den Haag zum EU-Russland-Rat. Auch in der tschetschenischen Wahl wußten Sie besser Bescheid als die dortige Regierung. Putin wies gestern darauf hin: „Wir wissen, welche Schwierigkeiten es bei den Wahlen in Afghanistan gab, wissen, wie in Kosovo gewählt wurde...“ – waren da nicht auch Deutsche bei den Vorbereitungen beteiligt und im Rahmen  z.B. der OSZE im Beobachterstatus ? Wie machen Sie das nur, nicht nur zu wissen, sondern das auch noch besser – und mag man Sie deswegen ? Oder ist es denkbar, daß nur diejenigen Sie und Ihre Weisheit mögen, die sich Vorteile von Ihrer Besserwisserei versprechen ? Z.B. wissen Sie aus dem Brief von MdB Wimmer an Schröder über die Konferenz in Bratislawa: „Es gelte, bei der jetzt anstehenden NATO-Erweiterung die räumliche Situation zwischen der Ostsee und Anatolien so wiederherzustellen, wie es in der Hochzeit der römischen Ausdehnung gewesen sei.“ Doch das war im Frühjahr des Jahres 2000, diese Ziele sind längst erreicht, und der Vortragende damals wird nun als der kommende 2. Mann im US- State Department gehandelt: John Bolton. Schon damals bezeichnete US-Staatssekretär Warren Christopher die Ukraine als eine Lünse, als Dreh- und Angelpunkt der NATO- Strategie.
Welche Rolle spielen Sie dabei, Herr Erler ? Wenn Sie am 6.12.04 in Berlin konferieren lassen ,,Die ukrainischen Präsidentschaftswahlen - ein Wegweiser für die Transformation?" und man getrost davon ausgehen kann, daß Sie doch bei Einberufung der Konferenz nicht wissen konnten, wie die Wahlen ausgehen würden, und somit auch nicht ob und was sich in und an der Ukraine „transformieren“ würde – da fragt man sich schon, wieviel Negativpotential Ihre Politik noch entwickeln kann.
Im Bewußtsein, daß Sie die „Kollateralschäden“ im Krieg gegen Jugoslawien nicht allzu sehr beunruhigt haben, verbleibe ich sehr beunruhigt.
 

Hochachtungsvoll

A.Hauß
Bachstr. 16, 79232 March