Außendruck
"Es muss jetzt von außen Druck gemacht werden" - Interview mit Gernot Erler, stellvertretender Vorsitzender und außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Präsident der Südosteuropa-Gesellschaft, zur Lage in Mazedonien 

Köln, den 26.5.2001 (DW-radio/Albanisch)

(Volltext) “Frage: Herr Erler, in Mazedonien hat sich die politische und militärische Situation in den letzten Tagen erheblich verschärft. Wie bewerten Sie diese Entwicklungen? Sie haben vor einer Woche selbst das Land besucht.

Antwort: Ich glaube, dass im Augenblick zwei Themen schwierig sind in Mazedonien. Das eine ist das Verhalten der beiden albanischen Parteien, die mittlerweile ja Mitglied der Regierungskoalition sind, die entgegen einem breiten Konsens, der bisher zwischen der mazedonischen Führung und den internationalen Organisationen, einschließlich der OSZE bestand, doch Verhandlungen und sogar Vereinbarungen mit den Vertretern der Rebellen beschlossen haben, was naturgemäß zu einer Krise innerhalb der Koalition der Nationalen Einheit führen muss, und was den Bestand dieser wichtigen Koalition, die auch ein westlicher Wunsch war, in Frage stellt. Hier wird es vor allen Dingen Aufgabe von dem Ministerpräsidenten Georgievski und dem Präsidenten Trajkovski sein, mit den beiden Vertretern der albanischen Parteien Gespräche aufzunehmen und diesen Verstoß möglichst durch Dialog zu regeln. Das zweite Problem ist die Art der Kriegführung der mazedonischen Führung. Ich muss schon sagen, dass ich zunehmend irritiert bin durch das, was wir erfahren. An Bildern bekommen wir lediglich zu sehen, wie Granaten wild in der Gegend (he)rumgeschossen werden. Wir haben keine Belege für die tatsächlichen Vorgänge in den Kampfgebieten, und die Methode, in Dörfer hereinzuschießen, führt zwar dazu, dass man keine eigenen Verluste macht, die ist aber weder geeignet, die albanischen Rebellen zu vertreiben von den Orten, noch ist sie geeignet zu verhindern, dass ein neuer Zulauf zu den Kreisen der Rebellen stattfindet. 

Frage: Dort ist die Situation, dass die mazedonische Armee einerseits sehr aktiv ist, andererseits keine echten Erfolge erzielt. Könnten Sie sich vorstellen, dass mit Hilfe der NATO, KFOR, dort versucht wird, mäßigend einzuwirken, da die UÇK im Grunde nicht mit militärischen Mitteln zu vertreiben ist?

Antwort: Wer auch immer einwirken muss, ich weiß nicht, ob die KFOR das machen kann - sie hat dafür kein Mandat -, aber Herr Solana als Hoher Repräsentant der EU ist schon mehrfach vorstellig geworden in Skopje und ich denke, es muss jetzt auch besprochen werden mit der mazedonischen Regierung, wie vorgegangen wird. Ich finde, auf die Dauer ist nicht hinnehmbar, dass zwar Mazedonien umfangreiche Hilfe bekommt, und auch politische Unterstützung, aber dass wir praktisch völlig abgeschnitten werden von echten Vor-Ort-Informationen und dadurch nur Rätsel raten können oder uns Bulletins angucken können, was da eigentlich vor sich geht. Ich begreife zum Beispiel nicht, warum die mazedonischen Einheiten nicht in der Lage sind, wenn es sich hier um eine kleine Zahl von Dörfern handelt, in denen sich die UÇK-Einheiten verschanzt halten, diese zu umzingeln, einzukreisen und abzusperren und auf diese Weise hier die militärische Auseinandersetzung zu führen. Der Fernbeschuss ist, wie wir aus schmerzvollen Erfahrungen aus dem Kosovo-Krieg kennen, immer mit sogenannten Kollateralschäden, das heißt mit Verlusten bei der Zivilbevölkerung, verbunden und trifft in der Regel die, die man meint, eben nicht. Und so ist es im Augenblick die Situation in den Kampfgebieten, dass von irgendwelchen Erfolgen der mazedonischen Truppen überhaupt keine Rede sein kann. Ich finde, das muss deutlicher zu einem Gesprächspunkt zwischen den westlichen Institutionen und der mazedonischen Führung werden. Sofern kann man immer wieder empfehlen, Methoden anzuwenden, die Verluste unter der Zivilbevölkerung möglichst vermeiden und jeden Vorwand vermeiden, dass die Zivilbevölkerung das Vorgehen der mazedonischen Führung als Unrecht ansieht und auf diese Weise eben weitere Unterstützung für die UÇK entsteht. Aber genau diese Besonnenheit, diese Einflussnahme auf die Art der Kriegsführung kann ich im Augenblick bei der mazedonischen Regierung - ehrlich gesagt - nicht erkennen. 

Frage: Die Unterzeichnung des Abkommens durch den UÇK-Vertreter Ahmeti deutet darauf hin, dass die albanischen Parteien und die UÇK immer mehr ihren Kurs aufeinander abstimmen, und dass die Differenzen zwischen albanischen und mazedonischen Parteien immer stärker werden. Gibt es überhaupt aus Ihrer Sicht noch eine Chance, nach einem solchen Abkommen die UÇK weiter zu isolieren, oder ist es nicht längst unabdingbar aufgrund dieser Situation, dort einen Dialog in Gang zu bringen?

Antwort: Dazu muss man zunächst mal aus Erfahrung folgendes feststellen: Es gibt natürlich in der neueren Geschichte viele Fälle, dass sich Rebellen mit militärischen Mitteln an den Verhandlungstisch gebombt und geschossen haben. Und man kann auch nicht ausschließen, dass am Ende auch ein solcher Prozess hier im Mazedonien stattfindet. Wenn die UÇK eine größere Rolle bekommt und wenn sie ihre Operationen ausweitet, wird man über kurz oder lang auch nicht umhin können, sinnvollerweise mit ihnen zu verhandeln. Aber das kann natürlich nur auf dem Hintergrund eines Konsenses passieren, dazu müssen beide Seiten verhandlungsbereit sein, und dann inzwischen die internationale Gemeinschaft, die eine wichtige Rolle und auch eine wichtige Verantwortung in Mazedonien übernommen hat, kann ich mir dann auch nur vorstellen, wenn die Vertreter der EU, wenn die Vertreter der OSZE und der Vereinten Nationen einem solchen Prozess zustimmen. Denn es ist natürlich auch sehr riskant, im Grunde genommen eine Bestätigung für den Erfolg von militärischen Aktionen dadurch zu bescheinigen, dass man diejenigen, die in die Berge gehen und schießen, an den Verhandlungstisch setzt. Das ist das Problem dabei und insofern ist der Weg, den jetzt die Vertreter der Albanerparteien, also Xhaferri und Imeri, gegangen sind, offenbar -  und das ist irritierend - mit der Billigung von Herrn Frowick, der hier die OSZE vertritt, aber das nicht getan hat auf der Basis einer anderen Beteiligten und kann meines Erachtens auch auf diesem Weg nicht fortgeführt werden. Dazu muss dann erst ein Konsens, zunächst einmal innerhalb der Regierung der Nationalen Einheit, aber auch mit den internationalen Institutionen gefunden werden. 

Frage: In Südserbien ist vor wenigen Tagen durch die Demilitarisierung der UÇPMB und durch die relativ unproblematische Rückkehr der jugoslawischen Armee in die Pufferzone eine positive Entwicklung zu verzeichnen gewesen. Könnte diese Entwicklung dort nicht ein auch für Mazedonien gangbarer Weg sein?

Antwort: In der Tat muss man sagen, dass das, was in der Zone B passiert ist, wirklich ermutigend ist und dass das auch rein technisch gesehen eine Chance für Mazedonien darstellt, weil ja durch die neuerliche stringente Kontrolle der Zone B, die jetzt durch die serbischen Sicherheitskräfte durchgeführt wird, diese Chance, dieses Vakuum, als Rückraum auch für die Einheiten, die in Mazedonien kämpfen, nicht mehr zur Verfügung steht, und auf diese Weise vielleicht auch die militärische Situation in Mazedonien beeinflusst wird. Aber meistens ist es in dieser Region so, dass ein Modell, das an einer Stelle funktioniert, eben nicht Eins zu Eins übertragbar ist. Wir haben hier weder eine solche Situation, wie die in der Zone B, dass wir irgendeine von außen kommende Stabilisierungsmaßnahme treffen können, wie sie in diesem Fall die serbischen Sicherheitskräfte darstellen, noch haben wir bisher jedenfalls die Einsicht - ähnlich ist es hier angeboten und versucht worden gegenüber den Rebellen oberhalb von Tetovo in den Bergen -, nämlich die Waffen niederzulegen, während die UÇPMB das wahrgenommen hat, haben es eben die Leute in Mazedonien nicht wahrgenommen. 

Frage: Auch wegen des mangelnden Amnestieangebotes seitens der Regierung?

Antwort: Ja, dazu war bisher keine Seite bereit, eine solche Amnestie zu erklären, sicherlich auch durch die Vorgänge, die ja doch mit einer ganzen Zahl von zivilen wie auch Opfern unter den mazedonischen Sicherheitskräften verbunden war, so dass hier die psychologische Vorbereitung für diese Amnestie nicht gegeben war. Aber nochmals, ich bin der Meinung, es muss jetzt von außen Druck gemacht werden, auch von unserer Seite, dass diese Koalition der Nationalen Einheit, nicht zerbricht, sondern dass sie eine echte Koalition wird. Es ist doch keine Koalition, wenn wir lediglich ein Paar Austausche von Ministern haben, die Einnahme formal von neuen Parteien, wie zum Beispiel der einen Albanerpartei von Herrn Imeri, aber dass mehrere Mitglieder dieser Koalition, darunter auch die bisherige Albanerpartei unter Herrn Xhaferri, die ja zusammen mit der bisherigen Regierung gearbeitet hat, plötzlich einen Kurs einschlagen, der völlig dem widerspricht, was bisher Konsens auch mit den internationalen Organisationen war. Das ist tatsächlich eine sehr schwierige Lage, die dort geschaffen worden ist, und auch wenn es vielleicht von der Logik sich anbietet, diesen Weg zu gehen, kann er nicht im Einzelverfahren beschritten werden, sondern es geht nur, darüber eine Vereinbarung herzustellen, und dies, durch das Vorpreschen, ist meines Erachtens jetzt sogar erschwert worden.” (fp)

Die Hervorhebungen stammen von mir, A.H.. Sie besagen nichts anderes als (und man stelle sich diese Situation mal von seiten z.B. Mazedoniens oder Belgiens in Bezug auf Deutschland vor!):

- Einflußnahme nicht nur auf die Zusammensetzung der Regierung, sondern auch auf ihr Handeln

- Verhandlungen mit der UCK, wenn sie militärisch erfolgreicher wird

- "Verluste bei der Zivilbevölkerung" (Erler benutzt noch immer das Unwort des Jahres 99) werden für Mazedonien beklagt. Grund: eine Kriegführung so ähnlich wie die, die hochgelobt wurde in Bezug auf den Kosovo. Erler vergißt zu erwähnen, daß die mazedonische Regierung diese Zivilisten zur Räumung des kampfgebietes aufgefordert hatte, daß es die UCK-Methode der menschlichen Schutzschilde gibt, daß es die EU/NATO/OSZE waren, die darauf drängten, daß KEIN Kriegszustand in Mazedonien ausgerufen wird (was der Regierung ein anderes Vorgehen erleichtern würde).

Herrn Erler "irritiert" das Geheimabkommen, das die von der EU in die Regierung reingedrängten Parteien mit der UCK trafen. Er erwähnt es zumindest. Auch hier mal wieder eine Parallele zu Deutschland: wie hätte die SPD, die hätten die Deutschen reagiert, wäre aus der SPD/FDP-Koalition  die FDP zu Geheimverhandlungen mit der RAF zusammengetroffen? Eine völlig absurde Situation. In Mazedonien soll nun laut Erler "Druck" gemacht werden, daß eine solche Koalition zusammenbleibt und das Land regiert.

Mehr zu Herrn Erler: siehe  http://www.medienanalyse-international.de