© Andreas Hauß 2000

Das Kassandra- und Hiob- Syndrom

Eigentlich mag niemand schlechte Nachrichten.
Eigentlich.
Eigentlich wollen wir alle - aus der Vergangenheit lernend - die Gegenwart bewußt genießen und hoffnungsvoll unsere Zukunft planen und gestalten.
Über die planvolle Erfüllung der Zielvorgaben, wie eine DDR-Medienfloskel hieß, machten wir uns jedoch lustig.
Wegen der Realitätsferne. Wegen der Floskelhaftigkeit. Aber doch nicht wegen der Erwähnung, der Nachricht, der Benachrichtigung über eine positive Tatsache - oder?
Doch.
Es war zwar eine Floskel, aber oft entsprach sie den Tatsachen. (Nicht immer, aber immer öfter...)
Wir sind durch unsere freie Medienwelt so eingeübt in Katastrophen und die Gesichter wichtiger Politiker, daß uns eine Nachrichtensendung mit positiven Nachrichten unangenehm - weil fremd - aufstoßen würde.
Der Reflex: das ist doch alles Schönfärberei! käme sofort. Zu Recht. Denn wir wissen ja, was Schönfärberei ist, wir hören, wie „Zahlen hochgelogen werden“ in unseren Betrieben, wir kennen unsere Politfuzzis, die blühende Landschaften versprechen.
Am Satz das ist doch alles Schönfärberei stimmte, wäre er auf eine durch und durch „positive“ Tagesschau bezogen, insbesondere das Wort alles.
Und deshalb erhalten wir unsere Katastrophen fein dosiert:
Das U-Boot „Kursk“ sinkt. - Gibt es noch Überlebende?
Die Concorde stürzt ab - was mögen die Insassen in den letzten Sekunden gedacht haben?
Waldbrände in den USA.
Erdbeben in der Türkei.
Überschwemmung in Bangla Desh.
Katastrophen, Schicksal und Schicksale. Fatum. Kismet. Und Rätsel, warum und wieso.
Da kann man nichts machen.

Dazwischen unsere Politgrößen, die Pläne für die Reform von dies und von das vorstellen.
Die großen Gesten:
Trauer, wenn zu trauern ist
(für die Concorde zunächst schon einmal
in Paris,
dann auf der Expo,
schließlich im Kölner Dom
- und da waren die Opfer noch nicht begraben! Die private Trauerfeier stand noch aus!), und Staatsempfänge, Verträge, Verhandlungen.
Frau Ministerin und Herr Minister gestalten unser Leben. Nett.

Wer mag da noch Warnrufe ausstoßen, Kassandra spielen, wenn die Gegenwart rätselhaft und voller Katastrophen, die Zukunft hingegen von weisen Politikern gestaltet ist?
Wer warnt, ist ja nicht nur ein Miesmacher. Er ist zugleich jemand, der eine Zukunft als gestaltbar hinstellt, der uns auf etwas Machbares hinweist. Gegenwart und Zukunft verlangen uns plötzlich Verantwortung ab. Es werden durch den Warner Entscheidungssituationen geschaffen, in denen sich ein jeder verhalten und verantworten muß.
Wie unangenehm.

Da nehmen wir doch lieber eine Technik- oder Naturkatastrophe.
Oder hören unseren Politfuzzis zu.
Bevor wir Demokratie machen.
Wir haben da unsere Medien, die uns genau in dieses Verhalten einüben.
Tagtäglich: gegen Demokratie.
Tag für Tag.
Big Brother.