Von Hermann L. Gremliza
Reden wir über die Medien und den Krieg. Den Krieg vom letzten
Jahr. Ein Krieg, der ohne Mitwirkung der Medien nicht hätte geführt
werden können. Der Krieg ist der Ernstfall des Journalismus. In ihm
spitzt sich zu und kommt zum reinsten Ausdruck, was eher unauffällig
und verschwommen seinen Alltag bestimmt: Die Förderung und Verteidigung
der ökonomischen Interessen des Kollektivs, das ihm sein Geschäft
ermöglicht. Zunächst und im Frieden sind es die Interessen der
herrschenden Klasse, aber die steht ja auf dem Index der verbotenen Wörter,
also sagen wir der dominierenden Gesellschaftsschicht, vertreten durch
die werbende Wirtschaft, ohne die es 95 Prozent dessen, was da Medien heisst,
gar nicht gäbe, sodann und im Krieg die Interessen des Standorts,
der Nation, also der Einheit von Kapital und nationaler Arbeit oder sagen
wir der Produzenten und Konsumenten.
Ich beginne mit zwei kurzen Berichten von der Balkanfront.
Der erste Bericht geht so:
Gleich am ersten Tag der Feindseligkeiten griff die deutsche Luftwaffe
Belgrad an, den Sitz der Kriegsbrandstifter auf dem Balkan.
Woher das Zitat stammt, ist leicht zu erraten: Aus einem Bericht der
Bildzeitung vom 26. März 1998. Oder aus der alternativen Tageszeitung
«TAZ» vom selben Tag. Oder aus der Deutschen Wochenschau vom
Frühjahr 1941.
Jetzt ein zweiter Bericht von der Balkanfront:
Sonst nichts Neues vor Bukarest. Ausser dass die Rumäner ein widerliches
Volk sind, üble Lausebalkantypen.
Woher stammt dieses Zitat? Es stammt aus dem Brief eines deutschen
Vizefeldwebels, der heute durch ein anderes Zitat bekannt ist, das nicht
von widerlichen, verlausten Balkantypen handelt, sondern im Gegenteil von
deutschen und anderen Vizefeldwebeln. Das bekannte Zitat des Briefschreibers
heisst:
Soldaten sind Mörder. Denn der Vizefeldwebel an der Balkanfront
im Mai 1918 hiess Kurt Tucholsky.
Was will ich damit sagen? Ich will damit sagen, dass in modernen Staaten
und zwar in Demokratien wie Diktaturen der Krieg die totale geistige und
psychische Mobilmachung der Intelligenz voraussetzt. Denn der Krieg ist
der Ernstfall des nationalen Interesses. Im Krieg gibt es keine Parteien,
sondern nur noch EIN Volk. Wo es aber keine Parteien mehr gibt, gibt es
keine zwei Meinungen, und wo es keine zwei Meinungen mehr gibt, gibt es
keine Information, sondern Propaganda. Das wäre vor ein paar Jahren
eine Unterstellung gewesen, heute ist es offen erklärte Absicht. Ein
paar Zitate aus dem jüngsten Krieg, zum Beweis:
Im Krieg ist Debattieren verboten Kriegsminister Rudolf Scharping hatte
die Parole ausgegeben: Unsere Soldaten brauchen Rückhalt im Parlament
und in der Öffentlichkeit. Dieser Rückhalt könnte
durch Debatten geschmälert werden.
Im Krieg ist Fragen verboten Gerhard Schröder hatte es angeordnet,
ich zitiere: Jetzt ist nicht die Zeit, in der Mitglieder dieses Kabinetts
Fragen nach der Sinnhaftigkeit des Einsatzes stellen ... Wir haben uns
zum Handeln entschlossen, es gibt keine Alternative.
Im Krieg muss der Regierung geglaubt werden Ludger Volmer, grüner
Staatsminister im Auswärtigen Amt, hatte verfügt ich zitiere:
Es war und ist Milosevics Absicht, die Albaner im Kosovo zu vertreiben
und auszurotten. Wer von dieser Analyse nicht ausgeht, ist für mich
kein ernsthafter Gesprächspartner.
Wer am Krieg zweifelt, ist ein Landesverräter Angelika Beer, die
kriegspolitische Sprecherin der Grünen, hat das Urteil erlassen ich
zitiere: Jeder Zweifel an dem, was wir beschlossen haben, stärkt Milosevic,
schwächt die Nato und verunsichert die Soldaten, die im Einsatz sind.
Und der Medienbeauftragte der OSZE, Freimut Duve, SPD,
früher im Rowohlt-Verlag für die Publikationen von Ivan Illich,
Andre Gorz und Rudi Dutschke verantwortlich, gab dem Diktat der Propaganda
seinen Segen: Die Nato habe wie eine Firma operieren müssen, die am
Erfolg gemessen werde. Dazu gehörte, so Duve, der amtliche Wächter
über die Medienfreiheit, nicht zuletzt die entsprechende Propaganda.
Wie nun hat diese Propaganda im Krieg gegen Jugoslawien funktioniert?
Ihren Anfang nahm sie mit der Erfindung eines einleuchtenden Kriegsgrundes,
genannt:
Der Völkermord:
Minister Scharping erklärte am 26. März, zum Kriegsbeginn:
Im Kosovo findet ein ethnisch begründeter Völkermord statt.
Am 28. März legte Scharping nach: Im Norden von Pristina
wird ein Konzentrationslager eingerichtet. Lehrer werden
zusammengetrieben und vor den Augen ihrer Schüler
erschossen. In Srebrenica mussten die UN-Truppen zusehen,
wie 30’000 Menschen umgebracht wurden. (Zur Erinnerung: UN
und Rotes Kreuz haben 7’000 Verschwundene gezählt. 480
Leichen wurden bis heute gefunden. Mindestens 23’000, vielleicht 29’000
Leichen gehen auf Scharpings Konto.)
Am 6. April nach zwei Wochen Krieg zeigt Scharping etwas vor, das die
Bildzeitung so referiert: Neuer Beweis für Massaker? Das Video des
Grauens: EIN Albaner liegt in seinem Blut. Das schockierende Video KÖNNTE
DER ERSTE EINDEUTIGE BEWEIS für Massenhinrichtungen der Serben an
Kosovo-Albanern sein. Es könnte, der erste, eindeutige Beweis sein
zwei Wochen nach dem Beginn eines Krieges, der einen erwiesenen Völkermord
beenden soll.
In Wirklichkeit weiss Scharping über einen Völkermord bis
dahin nichts, was er und seine Propagandakompanie nicht selber erfunden
haben. Und der er auch auf den Kopf gefallen ist, kommt es vor, dass er
sich manchmal verrät wie das Hamburger Abendblatt am 9. April meldet
ich zitiere:
Scharping übte Kritik an der Informationspolitik der Nato.
Wenn das Bündnis diese Politik ändere, könne präziser
über
die humanitäre Lage im Kosovo berichtet werden. Er habe DIE
VERMUTUNG, dass es ziemlich grosses Erschrecken geben
werde, wenn bekannt werde, was dort wirklich geschehe. (Er selber wusste
nichts Da war der Krieg bald drei Wochen alt.)
Was die Nato tatsächlich wusste, berichtete der SAD am gleichen
Tag, und wer die Nachricht suchte, konnte sie finden natürlich nicht
auf den Titelseiten, aber da und dort im Kleingedruckten ich zitiere: Hauptankläger
Graham Blewitt vom Internationalen Gerichtshof äusserte sich unzufrieden:
Die Nato hätte bislang nur vollmundige Erklärungen über
Beweise für Kriegsverbrechen gemacht. Material, das diese Erklärungen
stützt, habe das Tribunal nicht bekommen.
Wir sehen: Für das Vorliegen des behaupteten Kriegsgrundes gab
es nach drei Wochen Krieg noch immer keinen Beweis. Aber der war
auch nicht nötig. Denn Scharping und sein Lügenbruder Fischer
wurden von den deutschen Kriegsjournalisten keineswegs gefragt oder gar
ausgelacht, sondern täglich in einer Tonlage gerühmt, die man
aus Landserheften und von Konsalik kennt. (...)
Zur Propaganda im Krieg gehört unverzichtbar die Greuelpropaganda,
das heisst die Propaganda mit Nachrichten über Greuel, die der Feind
verübt habe. Es war nicht ganz einfach, den Bedarf an den entsprechenden
Nachrichten zu stillen. Was weiter half, war die alte Journalisten-Maxime:
Nur was man erfindet, hat man exklusiv. Hier einige der tollsten Ergebnisse:
Bild: Serben töten Babys, vergewaltigen Frauen. Die
Milosevics eine schreckliche Familie ihn nennen sie
«Schlächter», seine Frau «Hexe von Belgrad»
300
Schwerverbrecher aus dem Zuchthaus ins Kosovo losgelassen
Die BZ: Milosevic der Feind intim Der Alkoholiker Er nimmt
immer stärker die Züge eines zweiten Hitler an
Bild, 1.April, ganzseitig: über einem Foto, das Flüchtlinge
an der Grenze zu Albanien zeigt: ... sie treiben sie ins KZ. Nun wird der
Alltag im Kosovo KZ-Wirklichkeit. Hitler und Stalin sind in Milosevic wiederauferstanden.
Serben feuern auf schutzlose Flüchtlinge. Es gibt Sätze, die
mehr Lügen enthalten als Worte, hat Kay Sokolowski kürzlich in
KONKRET geschrieben.
BZ, 6. April: Scharpings grausamer Video-Beweis Selbst Tote
noch mit Baseballschläger zerschmettert
Es gab natürlich immer mal wieder einen Spielverderber, wie in
diesem Fall die Frankfurter Rundschau am 7. April ich zitiere:
Sichtlich bewegt führte Scharping ein Video mit Greueln an Kosovo-Albanern
vor. Von diesem müssen wir später hören, die Herkunft sei
nicht geklärt. Es handle sich um ungesicherte Quellen.
Ausnahmsweise kam die Wahrheit auch mal im «Spiegel» zu
Wort, wie hier am 31. Mai, in einem Bericht von Peter Schatzer, dem Direktor
bei der Internationalen Organisation für Migration, der gerade aus
dem Kosovo zurückgekommen war. Er schrieb ich zitiere: Von Massengräbern,
Lagern und Vergewaltigungen wussten die Menschen, mit denen wir in den
drei Tagen im Kosovo sprachen, nichts.
Aber dann kam die DPA vom 2. Juni, mit der Gesellschaft für bedrohte
Völker und andere Greuel, und die schätzt die Zahl der getöteten
oder auf der Flucht gestorbenen Kosovo-Albaner auf 30’000. Die Zahl könne
aber auch deutlich höher liegen. (Sie wissen gewiss alle, wie
viele Kriegstote die UN-Verwaltung bis heute gefunden hat: 2’108. Angaben
über deren Nationalität und die Todesursache Schüsse, Bomben,
Minen wurden nicht gemacht. Man weiss nur, dass die meisten dieser Toten
aus Einzelgräbern exhumiert wurden.)
Bis heute hat sich keine Zeitung, kein Sender für die kritiklose
Weitergabe dieser Greuelpropaganda entschuldigt und nicht einmal für
das, was sie dem Kriegsminister Scharping auf seiner Pressekonferenz am
16. April über serbische Greueltaten abgenommen hatten ich zitiere
den Minister im Original:
Im Zusammenhang mit der Befragung der Vertriebenen und deren Schilderungen
will ich noch einmal darauf aufmerksam machen, dass es für einen normalen
menschlichen Kopf extrem schwierig ist, noch auszuhalten, was man dort
an Berichten bekommt. Wenn beispielsweise erzählt wird, dass man einer
getöteten Schwangeren der Fötus aus dem Leib schneidet, um ihn
zu grillen und dann wieder in den aufgeschnittenen Bauch zu legen; wenn
man hört, dass systematisch Gliedmassen und Köpfe abgeschnitten
werden; wenn man hört, dass manchmal mit den Köpfen Fussball
gespielt wird, dann können Sie sich vorstellen, dass sich da einem
der Magen umdreht ...
Wie verblendet musste man sein, diesen Dreck zu glauben? Keiner
soll sagen, man habe damals noch nicht wissen können, was man heute
weiss, nämlich dass das alles gelogen war. Es gibt einen Ton, der
den Lügner verrät, und den hatte Scharping präzise getroffen.
Dass bis heute kein Journalist den Minister dafür zur Rede gestellt
hat, ist ein deutlicher Beweis dafür, dass seine Lügen ihnen
ganz recht waren und sind, weil sie im Interesse der Nation und ihres ersten
Krieges nach der bedingungslosen Kapitulation von 1945 lagen.
Tucholsky hat einmal gesagt, ein Reisebericht gebe oft ein erstaunlich
gutes Bild von dem Reisenden. Auch Propaganda gibt oft ein sehr gutes Bild
von den Propagandisten, und so konnte, wer wollte und über das notwendige
kritische Rüstzeug verfügte, aus der Propagandapresse des Balkankriegs
alles über die Propagandisten erfahren und zwar ohne dass dazu solche
Fehlleistungen vorkommen mussten wie in folgendem Fall:
Am 30. März meldete BZ-Berlin: Gestern wurden zwei Spitzenpolitiker
der Kosovo-Albaner hingerichtet: Fehmi Agani und Baton Haxhiu. Am 30. März
meldete die Bild-Zeitung:
Hinterhalt auf Beerdigung, Milosevic lässt fünf prominente
albanische Oppositionelle erschiessen (der Vorgang wird detailliert beschrieben.)
Am selben Tag meldet aber auch die als seriös geltende «Süddeutsche
Zeitung»: Serben exekutieren fünf Albaner-Führer, darunter
auch Fehmi Agani und der 37jährige Journalist Baton Haxhiu.
Eine Woche später, am 6. April, meldet die Frankfurter
Rundschau: Am Montag sind sechs namhafte
kosovo-albanische Intellektuelle mit Hilfe der deutschen
Botschaft in einer Bundeswehr-Maschine nach Bonn
gekommen: Fehmi Aghani, Baton Haxhiu und so weiter
Am 30. März meldete die BZ: Ibrahim Rugova konnte untertauchen,
sein Haus wurde dem Erdboden gleichgemacht. Zwei Wochen später
hiess es ganz nebenbei im «Spiegel»: Die Strasse vor Rugovas
weissge tünchter Residenz wirkt merkwürdig leer. Erst nach langem
Klingeln öffnet Rugova.
(...)
Einen letzten Fall noch will ich schildern, weil er sozusagen den Idealfall
dessen darstellt, was nationale Greuelpropaganda ist, wer sie herstellt
und warum sie undementiert bleibt.
Im feinsten Teil der FAZ, im Feuilleton, schrieb der 68er Schriftsteller
Peter Schneider: «Bisher hat der Westen keine Antwort auf die schreckliche
Wette von Milosevic gefunden:
«Ich kann über Leichen gehen, ihr könnt es nicht.»
Was Schneider zitierte, hatte in der «Zeit» gestanden,
und zwar so ich zitiere wörtlich: «Ziemlich erschrocken erinnerte
Joschka Fischer sich später: Milosevic sei ihm vorgekommen, wie einer,
der ihm in die Augen sieht und schweigend mitteilt:
«Ich gehe über Leichen, und das kannst du nicht.»
Keiner hat, als ich den Fall publik gemacht hatte, sich entschuldigt, natürlich
nicht, weder die FAZ noch ihr Lügendichter. Nur ein einziger hat sich
zu Wort gemeldet, nach dem Krieg, im September, Kriegsminister Rudolf Scharping,
in seinem Kriegstagebuch, vorabgedruckt in der «Welt am Sonntag».
Ich zitiere: «Schon früher hatte Aussenminister Joschka Fischer
von den zynischen Sprüchen erzählt, die er sich hatte anhören
müssen. Der entscheidende Unterschied ist: Ich, Milosevic, kann über
Leichen gehen, Ihr könnt das nicht.» Scharping liess offen,
ob Milosevic daraufhin zur Feier des Tages ein paar albanische Föten
gegrillt hat.
Nach all dem hat der Reporter Schnitzler von SAT.1, der nicht gerade
als linker Kritiker bekannt geworden ist, angeekelt von einer Verwilderung
der journalistischen Sitten gesprochen:
«Krieg bringt Quote ... Heute reicht es aus, wenn es auf den
Malediven ein Gerücht gibt, dass es im Kosovo
Konzentrationslager gibt ...»
Das stimmt schon, aber haben deshalb die Medien, wie Schnitzler meint,
versagt? Natürlich nicht, im Gegenteil: Sie haben vorzüglich
funktioniert und sich qualifiziert für all die Kriege, die jetzt kommen
werden (...).
Unter schwierigsten Bedingungen so gut wie ohne jedes seriöse
Material hat die Presse ihre von Schröder, Fischer, Scharping, Beer
und Duve gestellte nationale Aufgabe vorbildlich erfüllt: den zur
totalen geistigen und psychischen Mobilmachung nötigen Bedarf an Falschmeldungen
und Stimmungsmache gestillt, das nationale Kollektiv zusammengeschweisst,
keine störenden, unnötigen Fragen gestellt.
Ich habe Teile dieser Rede (...) bei einer Veranstaltung der Schweizer
Mediengewerkschaft vorgetragen. Mein Gegenüber, der Medienredaktor
der konservativen Neuen Zürcher Zeitung, antwortete auf meine Beispiele
von Kriegspropaganda-Sprache: Das haben wir hier in der Schweiz gar nicht
so mitbekommen. In Deutschland hat sich da ja in diesem Jahrhundert wirklich
nichts geändert.
SFB, 22. Mai 2000