Das Geheimnis der Gefrier- und Wanderleichen
 
In einigen Monaten wird DER Prozeß dieses Jahrzehnts beginnen, der Strafprozeß gegen Slobodan Milosevic. Im Massenbewußtsein ist er irgendwie schuldig an all den Kriegen auf dem Balkan, schon allein deshalb, weil es doch Schuldige geben muß. Dieser nicht unrichtige Grundgedanke wird zwar erheblich beeinträchtigt durch

- Morde und Vertreibungen im Kosovo NACH 1999,
- in der südserbischen Pufferzone NACH der Entmachtung Milosevics,
- in Mazedonien NACH seiner Auslieferung an das denHaager ICTY,

aber Politik und Medien bemühen sich, aufkommende Zweifel, ob man den Richtigen erwischt hat, zu zerstreuen. So wird die ursprüngliche Klageschrift des ICTY lang und länger, zugleich aber auch komplizierter.

- Racak lag noch in Milosevics Verantwortungsbereich (das angebliche Massaker dort ist jedoch schon jetzt durch Medienberichte als UCK-Inszenierung verdächtigt und somit unbrauchbar).

- Die Bürgerkriege in den Nachbarländern sind zwar brutal und verlustreich gewesen - nur inwiefern hatte Milosevic damit zu tun? Die Befehlskette reichte zwar auf bosnisch-muslimischer Seite zu Izetbegovic, auf kroatischer Seite zu Tudjman. Auf bosnisch-serbischer Seite fehlt aber jegliche Verbindung zur Regierung des Nachbarlandes Jugoslawien.

- und so kämen Massengräber in Serbien mit Massakeropfern aus Kosovo ganz gelegen, wenn nachweisbar wäre, daß Milosevic eine solche Vertuschungsaktion befohlen hätte. Die Befehlskette von der Staatsspitze bis zum Tatort wäre nachweisbar.

Diese Variante der Einbeziehung Milosevics ins Diabolische wird derzeit vorbereitet.

Die Geschichte liest sich in allen Medien in unregelmäßigen Abständen etwa so:
Da der Diktator Milosevic Böses plante, jedoch auch wußte, daß das ICTY und die wachsame Internationale Gemeinschaft der westlichen Heiligen ihm auf die Finger schauen und ihn evtl. auch mal zu fassen bekommen würde, baute er in seinen Verbrechensplan gleich die Spurenbeseitigung ein. Als seine Schergen im Kosovo die Albaner vertrieben oder massakrierten, sollten keine Leichen zurückbleiben. Was nicht gefressen wurde (Scharpings Fötengrill), wurde in Kühllaster gesteckt und sollte in Serbien entweder verbuddelt oder verbrannt werden. In Panik fuhren die LKW-Fahrer ihre Trucks jedoch gelegentlich in Flüsse und Seen. Die LKW tauchten wieder auf und mußten dann entladen werden. Diese massakrierten, zunächst im Kosovo vermassengrabten, dann wassergetunkten und neuvergrabenen Leichen werden nun wieder exhumiert, untersucht und nun endlich final bestattet.
Ein durchaus einzigartiges Gedicht voller widerlicher Details, diabolischer Besessenheit, intriganter Winkelzüge. Die Taufe und Jungfernfahrt erlebte dieses odysseische Epos in der "Timocka krimi revija", einem Krimiblättchen also, dessen Herausgeber ein Freund Mihajlovics, des Innenministers Serbiens ist. Alles lief gut. Serbische Blätter übernahmen die Story. Es galt, Milosevic in der jugoslawischen Bevölkerung so niederzuschreiben, daß er auslieferungsreif für denHaag war. Dafür winkte gutes Geld. Und als das ICTY den Plot für gut und nützlich befand, entstand echtes Interesse, die Geschichte am Leben zu halten. Beim ICTY und in der internationalen Presse.

Es gibt jedoch gewisse Mindeststandards eines verwöhnten Lesers, die sich vom Stil in Krimiheftchen abheben. Seriöse Berichte von verantwortungsbewussten, erfahrenen Journalisten der freien Presse innerhalb der unabhängigen Medien der freiesten aller freien Welten sollten diese Standards erfüllen. Diese zu setzen und einzuhalten begründet die Ausbildung zum Journalisten in Schulen, Universitäten, Volontariat.

Mindeststandards sind z. B. Authentizität, Plausibilität, Transparenz, Vermeidung selbstreferentieller Berichte, „flotter“ Stil und genügend Raum für den Leser, sich aus dem Geschriebenen ein „eigenes“ Bild zu formen. Zum Letzteren: wer nichts behauptet, muß auch nichts beweisen, und wer geschickt suggeriert, erzeugt beim Leser die Annahme, er, der Leser also, denke selber. Vgl. dazu diese Analyse eines Artikels von Matthias Rüb in der FAZ. Das Machwerk erweckt den Eindruck, der kluge Kopf lasse nicht denken, sondern denke wirklich selbst. So funktionieren viele der Massengrab-Storys auch.

Authentizität
Fotos, Zeugenaussagen, Kartenmaterial peppen einen sonst zu trockenen Report immer auf. Zudem wird über den "Ein Bild sagt mehr als tausend Worte"-Effekt hinaus der Eindruck von Wahrhaftigkeit und Beweis erbracht. Was tun unsere Reporter bzw. ihre Redaktionen aber dann, wenn, wie im Falle der Wanderleichen, diese nicht fotografierbar sind? Z.B. wegen Ekeleffekten, weil sie auf geheimem Polizeigelände verscharrt seien oder weil das Ereignis vor zwei Jahren unter Wasser stattfand oder weil alles ganz geheim war ...? Dann nimmt man Fotos, die etwas mit dem Thema zu tun haben könnten, aus z.B. dem Archiv ("so sah die Leiche aus, bevor sie tot war"). Im Falle der serbischen Leichenfunde: so sieht ein Mercedes-Kühllaster im Wasser aus. Oder: so sieht es aus, wenn irgendwo nach Leichen gebuddelt wird. Oder ein Foto des Ermittlers oder des Innenministers. Belegen und beweisen kann man auf diese Weise zwar nichts - aber authentisch wirkt sowas schon.
Die Detailfreude aus einem Zeugenbericht untermauert den ersten Eindruck. Wenn allerdings nur ein einziger "Zeuge" zur Verfügung steht (ein Polizeitaucher), dann muß mit etwas Sex and Crime nachgeholfen werden. Und so schwimmt dem guten Mann also eine wunderschöne Leiche einer Albanerin mit entblößtem Oberkörper aus dem Laster entgegen.
Je akkurater ein Orts- und Zeitbezug, desto glaubhafter wirkt alles: Datum, Uhrzeit, Wetterbedingungen usw.. Stehen diese Daten nicht zur Verfügung, wird zumindest geheuchelt, man habe sich um diese Fakten bemüht. Ein Report, der aussagt, irgendwann habe irgendwo irgendwas stattgefunden, wirkt eben nicht authentisch.
Und so weist jeder Massakerbericht zumindest einen Ortsnamen auf. Von Zeitung zu Zeitung unterschiedlich wird dieser Ort allerdings mit wechselnden Namen belegt. Es entsteht der Eindruck, Serbien sei mit Massengräbern übersäht. 3 "Tatorte" erhielten so über 10 verschiedene konkrete Namen, die ungenauen ("im Nordosten Serbiens", "an der Grenze zu" usw.) nicht mitgerechnet.
 

Plausibilität
ist ein Muß - trotz der heutzutage nur noch Überschriften konsumierenden Frühstücksleser. Es könnte sich ja jemand auch mal ein verlängertes Frühstück leisten - etwa sonntagsmorgens. So darf eine einmal genannte  Zahl innerhalb desselben Artikels nicht schwanken. Das ist auch bei unseren Massenmordologen gut gelungen. Innerhalb eines Artikels schwankt nichts. Von Bericht zu Bericht, von Zeitung zu Zeitung schwanken die Zahlen allerdings beträchtlich. Eine immer weiter steigende Zahl wäre dabei plausibel - entsprechend dem Tagesergebnis an gefundenden Leichen. Wenn jedoch in einem Massengrab Zahlenschwankungen von über 100% nach unten geschehen, darf man mit Fug und Recht annehmen, daß etwas nicht stimmt. Kommen diese Zahlen zustande zu einem Zeitpunkt, an dem der Journalist berichtet, es werde erst das Gestrüpp über dem Grab entfernt, ist die Glaubwürdigkeit des gesamten Machwerks zu bezweifeln.
Plausibel sollte auch sein, daß die Kühllastertransporte mit der Beseitigung der Leichen enden. Das war immerhin der behauptete Zweck. Die Beseitigung der Kühllaster selbst konnte nur ein einmaliger Unfall sein. So schön spannend die Geschichte des auftauchenden Kühllasters war - plausibel ist es nicht, daß diverse Kühllaster angeblich diesen Weg der Versenkung nahmen. Für den einen, den ersten LKW, fand sich eine rührende Story eines panikergriffenen Fahrers. Die Folgegeschichten erzählen die Erfolgsstory mit anderem Ort nur noch nach, machen jedoch keinen Sinn mehr. Außer man würde der jugoslawischen Regierung einen Hang zur Kühllastervernichtung unterstellen.

Transparenz
Einschränkungen in der Durchsichtigkeit der Gesamtereignisse durch Ekligkeit des Themas und den angeblichen Fundorten Polizeikaserne/Manövergelände werden von jedem Leser als verständlich akzeptiert und gläubig entgegengenommen. Daß sich jedoch bei der tollen Geschichte für die angesehensten Blätter der westlichen Welt nur eine einziger Zeuge bereitfindet, der schon in der Timocka krimi revija seinen Namen hinhielt, gibt zu denken. Nach der weiten Verbreitung und also auch gewisser Akzeptanz in der serbischen Bevölkerung sollte man annehmen, daß von den hunderten Augenzeugen an den jeweiligen Fundorten sich noch einige mehr melden. Sie würden ja immerhin nicht als Täter belangt, sondern als Zeugen hochgeschätzt - bis hin zu einem Bakschisch für einige blutrünstige Einzelheiten für unsere Reporterliga. Auch die LKW-Fahrer waren nicht Täter, auch nicht die Polizisten, die die Zweitbeerdigung vornahmen und jetzt immerhin Dienst unter dem eifrigen Herrn Karleusa tun. Sie alle könnten sich als Zeugen melden und die Mordsgeschichte durchsichtiger machen und aufpeppen.
Wenn ein Fünkchen Wahrheit an der Geschichte wäre. Dann ließen sich Befehlsketten und Ereignisfolgen leicht erkennen und erklären. (Aber in einer typisch serbischen Verschwörung, in tiefster Abhängigkeit vom inhaftierten Diktator, sagt niemand etwas.) Immerhin existiert ein Video von Ausgrabungsarbeiten sowie immer mal wieder eine Pressekonferenz, auf der der Polizeihauptmann Karleusa und sein oberster Dienstherr, der Innenminister Mihajlovic, neuste Details ausplaudern.
 

Vermeidung selbstreferentieller Bezüge
Selten bis niemals sollte ein Journalist erwähnen, dass andere Blätter schon über das angegangene Thema schrieben, dass man womöglich selbst schon berichtete (und zuvor dabei anderes als jetzt aussagte). Auch ist es üblich zu verschweigen, dass man als Journalist nicht selbst am Ort des Geschehens war und deshalb nur eine AP- oder dpa- Meldung verwurstet. Solches Verhalten der Journalisten findet auch in diesem Falle statt. Und so können verschiedene Blautöne vom Himmel gelogen werden. Daß man sich auf die Berichterstattung von Nachrichtenagenturen (auch nur ein Mann/Frau vor Ort) verläßt, und diese sich ohne Nachfragen auf die Märchen des serbischen Innenministeriums einlassen, ist zwar angesichts allgemeiner Sparmaßnahmen und unsicherer Flüge verständlich. Wenn jedoch referiert wird, was jemand anderes behauptet, hat man in der deutschen Sprache ebenso wie im Englischen verschiedene Mittel, dies auszudrücken. Zitate, indirekte Rede, Konjunktiv - Mittel der Distanz, die der Revolverjournalist heute gerne vermeidet. Im Fall der Massengräber "wurde gefunden". Wenn noch ein Ermittlungsteam des ICTY eingeschaltet werden soll, ist jegliche Formulierungsvorsicht vergessen - unabhängig davon, ob das Team des ICTY schon da ist, was es herausfindet, wie es zusammengesetzt ist usw..

Stil
Gewiß sind Zeugenaussagen, eingestreut in einen Bericht in direkter Rede, weit spannender als nur indirekte Rede im Imperfekt/Konjunktiv. Nur woher nehmen und nicht stehlen? Es ist nur ein "Zeuge" da, der Leichen aus einem Kühllaster geborgen haben will. Also werden anonyme Zeugen aufgefahren oder "Kreise", aus denen man erfuhr.  Oder die Aussagen des Herrn untersuchenden Polizeihauptmanns Karleusa plustern sich zu Zeugenaussagen.
 

Die blutrünstigen Mordsgeschichten trafen ursprünglich in Serbien auf eine durch Krieg und Machtwechsel verunsicherte, mit dem täglichen Überleben beschäftigte Bevölkerung mit korrupten Staatsbediensteten und bröckelnden Strukturen des Staates. Eine in ihrer Hetze gegen das "alte Regime"  hemmungslose Journaille mit dem ökonomischen Zwang zum auflagensteigernden "Kick" in den Texten traf auf interessierte Politiker, die sich von der Auslieferung Milosevics viel versprachen. Trifft diese Schilderung der Leselandschaft nur auf Serbien zu?

Die Story erinnert an serbische Bohnensuppe, bei der die Zutaten nicht unbedingt wechseln, aber in unterschiedlicher Menge zugegeben werden: statt Salz mehr Pfeffer, beim nächsten Mal statt viel Pfeffer eher mehr Paprika. Die Sättigungsbeilage wechselt von Kartoffeln zu Nudeln. Aber serbisch ist immer alles – und Fleisch ist immer dabei. Menschenfleisch. Pfui?  Ja. Pfui. Der Scharpingsche Fötengrill ist vom selben Kaliber. Das Fötengrillfest des Herrn Scharping - hier steht es. Dazu passend gibt es ein Buch, das sich mit dem  Mythos Menschenfresser beschäftigt, dem Kannibalismusvorwurf als uralter Propagandalüge.

Wen interessieren Widersprüche? Wer hat Zeit und Mittel, diese aufzudecken, hinterher zu recherchieren? Warum auch?

Wie fertigt man Massengräber bei einer nur ungenügenden Anzahl realer Leichen? Mit Bewegung derselben. Es kann derzeit eins nicht ausgeschlossen werden: daß, seitdem die Story so richtig gut ankam, echte Leichen aus Südserbien, dem Kosovo, Bosnien oder auch Mazedonien herbeigeschafft wurden. Dies könnte die Begründung für wechselnde Zahlenangaben sein und für die Formulierungen, Leichen seien exhumiert und (suggeriert wird "zur Untersuchung") weggeschafft worden. Ein "Recycling"  ein und derselben Toten zu unterstellen fällt nicht leicht, denn ich kann derartiges nicht nur nicht beweisen, sondern werde es wohl auch nie beweisen können. Ich kann nur die Parallelen zu Racak und anderen Orten ziehen, an denen interessierte Kreise Leichen zusammenlegten, entwaffneten und teils sogar entuniformierten. Die Unterstellung der Leichenschändung an die "Schergen Milosevics" gebe ich somit retourkutschend zurück. Immerhin jedoch mit einem Fragezeichen versehen. Wenn mir jemand die unglaublichen Widersprüche in der internationalen Berichterstattung logisch erklären kann, nehme ich alles mit größtem Bedauern zurück. Allerdings erst dann.

Die Schamlosigkeit einer Fiktion ist ebenso bedrückend wie die Realwerdung einer solchen Fiktion Hollywoodscher Prägung  - z.B. beim Terroranschlag auf das World Trade Center. Journalistische Maßstäbe und Hochhäuser brechen ein. Insbesondere wird auch dem hartgesottenen Marxisten, der noch immer glaubte, dass die Bourgeoisie zumindest zur Selbstverständigung ein oder zwei halbwegs seriöse Blätter pro Land benötigt, dieser Glaube genommen. Die bisher als „seriös“ titulierte Presse macht völlig unbeschwert mit. Immerhin werden dort die Börsenkurse und die Sportberichterstattung noch nicht geschönt, so sehr dies manchmal auch notwendig erscheinen könnte.

Für die, sie sich selbst überzeugen wollen,  hier (http://www.medienanalyse-international.de/cool.html) der link zu Berichten über die serbischen Massengräber samt Kommentaren. Nehmen Sie sich Zeit zum Studieren.

(c) Andreas Hauß, September 2001, http://www.medienanalyse-international.de