06.11.1999
»Was unterscheidet uns von Journalisten im
Faschismus?«
jW-Gespräch mit Eckart Spoo, langjähriger
Vorsitzender der Deutschen
Journalisten-Union in der IG Medien
* Eckart Spoo ist Mitglied des Kuratoriums für
das Tribunal über den NATO-Krieg
gegen Jugoslawien. Auf dem europäischen Hearing
zur Vorbereitung des Tribunals am
30. Oktober in Berlin sprach er über die Rolle
der Medien während des Krieges *
F: Am vergangenen Samstag fand in Berlin das Hearing
zum internationalen Tribunal
über den NATO-Krieg gegen Jugoslawien statt.
Sie forderten dort, auch die Medien
als eigene Waffengattung zu behandeln und in die
Anklageschrift
aufzunehmen. Wodurch haben sich die Medien während
des Krieges
strafbar gemacht?
Ich will nicht sagen »die« Medien. Da
muß man unterscheiden. Aber viele Medien -
in Deutschland leider fast alle - haben einseitig
berichtet und die andere Seite gar
nicht zu Wort kommen lassen. Sie haben die Partei
des Aggressors ergriffen und sich
auf seine Darstellung verlassen. Und das nicht nur
eine bestimmte Zeitlang, sondern
schon Monate vor dem Krieg, während des Krieges
und danach, bis heute. Obwohl
sich inzwischen oft herausstellte, daß die
NATO und vor allem der Bonner Minister,
der sich irreführend immer noch Bundesminister
der Verteidigung nennt, die
Öffentlichkeit belogen, übernahm ein Großteil
der Medien weiterhin kritiklos deren
Propaganda- Behauptungen, ließ sich also für
die Propaganda des Aggressors
instrumenatalisieren. Soweit deutsche Journalisten
währende des Krieges auf den
Balkan reisten, blieben sie meist auf der NATO-Seite,
wo sie umsichtig betreut
wurden. Auf die jugoslawische Seite sind sie nicht
gegangen.
Die ARD hat ihren Belgrader Korrespondenten in der
ganzen Kriegszeit kaum zu Wort
kommen lassen, hat ihn kaltgestellt. Was er zu berichten
gehabt hätte, wäre mit der
vorherrschenden NATO-Propaganda schwer auf einen
Nenner zu bringen gewesen.
Tatsachen hätten die vorgefaßten, vorgefertigten
Meinungen nur stören können. Denn
man wußte ja von vornherein Bescheid, es gab
ein klares Feindbild, und es stand fest,
wer schuld war, nämlich das Opfer der Aggression.
Damit niemand auf falsche, also
richtige Gedanken kam, sprach man möglichst
gar nicht darüber, daß es ein
Angriffskrieg der NATO war. In der Frankfurter Rundschau
wurde kürzlich ein
Mitarbeiter des Südwestrundfunks erwähnt,
der Mikrophonverbot erhielt, weil er es
gewagt hat, vom Angriffskrieg gegen Jugoslawien
zu sprechen. Also weil er die
Wahrheit gesagt hat. Ein bezeichnender Fall.
Viele Propagandalügen, die damals von Minister
Scharping, vom NATO-Sprecher
Shea und anderen Offiziellen in den Medien gestreut
wurden, sind inzwischen längst
überprüft und widerlegt. Doch welche Redaktion
ist bereit, nachgewiesene
Falschbehauptungen zu berichtigen? Man beharrt auf
der Lüge, man tut so, als wüßte
man nicht, daß man monatelang mitgelogen hat.
Die Öffentlichkeit wurde irregeführt über
Kriegsgründe, Kriegsziele, über Gegner,
Verlauf und Ergebnisse des Krieges. Uns wurden Greuelmärchen
über ein KZ im
Stadion von Pristina, über Völkermord,
über Massaker und Massengräber
nahegebracht. Minister Scharping schwelgte sadistisch
in den fiktiven Einzelheiten.
Herausgeschnittene Föten, abgeschnittene Köpfe,
mit denen die Bösen Fußball
spielten, erschienen ihm nützlich, in Deutschland
die Bereitschaft zum Krieg
anzuregen. Manche Lügen, die er dem Publikum
zumutete, mochte sogar der
NATO-Sprecher nicht stehenlassen; aber die deutschen
Medien, fast alle, ließen
Scharping weiter lügen, und in seinem jetzt
veröffentlichten Kriegstagebuch
wiederholt er einfach alles und läßt
sich applaudieren.
F: Warum kamen kritische Journalisten, die es doch gibt, nicht zum Zuge?
Ich habe anfangs schon vor Verallgemeinerung gewarnt.
Zum Glück gibt es einzelne
Blätter, die versucht haben gegenzusteuern,
namentlich die junge Welt. Mit ihren
geringen Auflagen blieben sie nahezu machtlos gegenüber
dem Fernsehen, der
Bild-Zeitung und den regionalen Monopolblättern,
gegenüber der täglichen Hetze von
früh bis spät, gegenüber der Dämonisierung
eines einzelnen Mannes in Belgrad, von
dem wir nie ein einziges authentisches Wort zu hören
bekamen. Mit diesem Mann
dürfe man nicht sprechen, dekretierte Scharping.
»Der Schlächter« nannte ihn die
Bild-Zeitung in einer riesigen Schlagzeile. Zum
neuen Hitler machte ihn die
NATO-Propaganda - wie gehabt. Bevor die US- Air-Force
libysche Städte
bombardierte, war Ghaddafi zum neuen Hitler ernannt
worden, im Irak Saddam
Hussein, in Jugoslawien nun Milosevic. Jedes Mal
ein neuer Hitler, immer dieselben
Propagandamethoden, die eigentlich längst abgenutzt
sein müßten. Man müßte sich
doch eigentlich schämen, immer wieder mit denselben
Mitteln zu arbeiten.
Verantwortliche Journalisten müßten eigentlich
irgendwann einmal merken, wozu sie
mißbraucht werden. Viele Tausende arbeiten
in den großen Medienkonzernen, die
sind ja nicht alle blöde und verantwortungslos.
Allerdings muß man bedenken, unter
welchen Bedingungen sie arbeiten: Wie überarbeitet
sie in viel zu dünn besetzten
Redaktionen vor den Bildschirmen sitzen. Wenn sie
aus den üblichen Quellen lauter
ähnliche, fast gleichlautende Texte erhalten.
Wenn die abonnierten
Nachrichtenagenturen unisono berichten, alle im
Sinne der NATO, dann ist es für die
einzelne Kollegin, den einzelnen Kollegen nicht
leicht, sich dem Propagandastrom
entgegenzustellen. Wer da anfängt zu zweifeln,
der hält den Betrieb auf. Aber genau
das ist die Aufgabe jedes demokratischen Journalisten:
zu zweifeln.
F: Wäre der Krieg gegen Jugoslawien ohne die
einseitige Berichterstattung nicht
möglich gewesen?
Eine realistische Berichterstattung über die
Kriegsfolgen hätte die Stimmung
umschlagen lassen. Die Stimmung war sowieso nicht
günstig für den Krieg. Es war ja
nicht so, daß das Volk über den Krieg
gejubelt hätte. In Ostdeutschland gab es breite
Ablehnung. Greuelmärchen etwa über Massenvergewaltigungen
bewirkten allerdings,
daß sich viele Menschen auf das Argument einließen:
»Da kann man doch nicht
einfach zusehen«. Wären die Lügen
korrigiert worden, und wären dann umgekehrt
Bilder von tatsächlichen Kriegsgeschehen, von
den Folgen der NATO-
Bombardements gezeigt worden, dann hätten sicher
erst recht viele gesagt: »Da kann
man doch nicht länger zusehen.« Und sicher
wären dann nach und nach immer mehr
Menschen gegen den Krieg, gegen die NATO auf die
Straße gegangen. Diese
Möglichkeit des Stimmungsumschlags gegen die
NATO, gegen die Bundeswehr und
gegen ihn war Scharping bewußt. Das war es,
was er fürchtete. Und dann geschah das
Schändlichste: Der Zugang zu den Bildern des
jugoslawischen Fernsehens wurde
versperrt. Zunächst dadurch, daß die
NATO die Anlagen des Fernsehens in Belgrad,
in Novi Sad (Foto: AP) und anderen Orten zerbombte.
Viele
Tausende Journalistinnen und Journalisten in Jugoslawien
verloren
dadurch ihre Arbeitsplätze. Investitionen im
Wert von vielen
Hunderten Millionen Mark wurden zerstört. Meines
Erachtens wären da jetzt
Solidaritätsaktionen deutscher Journalistinnen
und Journalisten angebracht. Als
nächstes beschloß die Satellitenkonferenz
in London auf deutsches Betreiben hin, die
Bilder, die aus Jugoslawien vom Sender RTS angeboten
wurden, nicht mehr
weiterzuverbreiten.
So wurde systematisch verhindert, daß wir uns
über die Schäden und Opfer der
Bombardements informieren konnten. Das war ein direkter
Angriff auf unser
Grundrecht auf Information. Wem die Menschenrechte
etwas bedeuten, namentlich das
Grundrecht der Informations-, Meinungs- und Pressefreiheit,
ohne das Demokratie
unmöglich ist, der muß sich dringend
wehren gegen diesen Machtmißbrauch, gegen
diese Regierung, die übrigens - per Schreiben
des Auswärtigen Amts - ihr Vorgehen
noch kürzlich zu rechtfertigen versuchte.
F: RTS wurde abgestellt, weil es ein Propagandasender sei ...
Mit dieser Begründung dürfte man die meisten
Medien in Deutschland jetzt amtlich
abschalten oder bombardieren. Ich sehe den Sender
in Novi Sad vor mir, der für 70
Millionen Mark erbaut worden war. Nach dem Bombardement
war er ein einziger
Trümmerhaufen. Dieser Sender hatte einen europäischen
Fernsehpreis bekommen: Für
seine Verdienste um die interethnische Verständigung.
Jeden Tag hat er in sechs
Sprachen gesendet und so dazu beigetragen, daß
es dort in der Vojvodina - also in
dem Gebiet um Novi Sad - seit Jahrzehnten zu keinerlei
Zusammenstößen zwischen
den Volksgruppen gekommen ist. Ein einmaliges Idyll
in Europa, das die NATO
meinte zerbomben zu dürfen.
F: Liegen im Verhalten des Großteils der Presse
nicht eindeutige Verstöße gegen den
Pressekodex vor und wäre es nicht Aufgabe des
deutschen Presserates gewesen, sich
mit diesen Dingen zu beschäftigen?
Der Pressekodex enthält einige gute Grundsätze,
aber einen besonders wichtigen
leider nicht: Nämlich die Ächtung der
Propaganda für den Angriffskrieg. Der
Pressekodex ächtet die Verletzung von sittlichen
und religiösen Gefühlen und
dergleichen. Das mag auch wichtig sein. Aber ich
denke, es gibt nichts Wichtigeres
als Krieg und Frieden. Es gibt keine wichtigere
friedenspolitische Aufgabe, als
Kriegspropaganda zu unterbinden und zu ächten.
Darum habe ich vor Jahren eine
Initiative ergriffen, den Pressekodex um diesen
Punkt zu ergänzen. Die Deutsche
Journalisten-Union in der IG Medien hat den Antrag
zum Beschluß erhoben. Die
Mitwirkung im Presserat wurde von dieser und anderen
Bedingungen abhängig
gemacht. Auch per Beschluß des Gewerkschaftstages
der IG Medien. Leider hat sich
der Vorstand der IG Medien nicht daran gehalten.
Damals hat vielleicht auch mancher
Gescheite noch nicht geahnt, wie sich die BRD noch
weiter entwickeln könnte.
Dieser Krieg ist ja nicht vom Himmel gefallen, sondern
er ist auch publizistisch
vorbereitet worden. Erinnern wir uns doch, wie sich
in den letzten Jahren bestimmte
Formulierungen in Politikerreden und Leitartikeln
durchgesetzt haben: Wir müssen
wieder Verantwortung übernehmen, wir müssen
erwachsen werden, wir müssen
wieder normal werden. Mit all diesen Begriffen war
immer nur das eine gemeint: Wir
müssen wieder Krieg führen dürfen.
Sie wollten den Krieg. Das ist eine Grundtendenz
des kalten Imperialismus, über die wir uns
klar werden müssen. Über die wir sehr
deutlich und offen reden müssen. Diese Auseinandersetzung
muß mit gedanklicher
Schärfe geführt werden, ohne Betulichkeit.
Denn hier geht es um Leben und Tod. Das haben viele
Alte, Frauen und Kinder in
Jugoslawien zu spüren bekommen. Über die
Realität dieses Krieges gibt es kaum
Berichte in Deutschland. Ich habe als Kind - bin
ja nicht mehr der Jüngste -
Bombenkrieg erlebt. Ich weiß, was es bedeutet,
wenn man eine ganze Nacht im Keller
sitzt und es rummst draußen. Das zerrt an
den Nerven. Und wenn man zwei oder drei
Nächte im Keller sitzen muß und nicht
schlafen kann, das macht einen fertig. Für die
Menschen in Jugoslawien ging das zweieinhalb Monate
so, Nacht für Nacht. Das ist
eine nervliche Schädigung, die sie nie loswerden.
Zurück blieb ein Land mit 600 000 zerstörten
Arbeitsplätzen in der Industrie, also mit
einer Riesenmasse Arbeitslosen, und fast einer Million
Flüchtlinge aus der Krajina,
aus Bosnien, aus Kosovo. Welche Zeitung, welcher
Sender bei uns kümmert sich
darum? So viele, denen es angeblich immer nur um
die Humanität ging, schweigen.
Mit dem Embargo trägt Deutschland dazu bei,
die Menschen in Jugoslawien
auszuhungern. Dieser Krieg ist ja nicht zu Ende.
Jeden Tag fordert er neue Opfer.
Auch im Kosovo, wo unter Aufsicht und Verantwortung
der KFOR - also auch unter
Aufsicht deutscher Truppen - seit dem Ende des Bombenkriegs
viele Hunderte Serben
massakriert worden sind.
F: Auch das Hearing in Berlin mit internationaler
Beteiligung wurde von den
bürgerlichen Medien kaum zur Kenntnis genommen.
Gibt es Möglichkeiten, den
Medienboykott zu durchbrechen?
Da würde man gerne ein Patentrezept geben. Das
gibt es leider nicht. Man muß mit
vielen einzelnen Journalistinnen und Journalisten
reden, ihnen klar machen, wofür sie
verantwortlich sind. Ich denke, daß Journalistenorganisationen
die dringende Aufgabe
haben, jetzt überall in jeder Stadt zu diesem
Thema Veranstaltungen zu machen. Und
die Frage zu stellen: Was unterscheidet uns eigentlich
von den Journalisten 1933 bis
1939? Ich meine: Von denen, die nicht als Kommunisten
oder Juden gleich rausflogen.
Linke Blätter wurden geschlossen. Aber die
typischen bürgerlichen Blätter erschienen
weiter mit denselben Journalistinnen und Journalisten
wie vorher. Die haben auch ihr
Verhalten nicht wesentlich geändert, sie haben
ein paar Sprachregelungen dazugelernt.
Ganz ähnlich wie sich auch heute Sprachregelungen
durchsetzen; sie müssen gar nicht
amtlich verfügt werden. Diese mitmarschierenden
Medien sind genau gesehen eine
eigen Waffengattung im Krieg. Das muß dringend
reflektiert werden.
Den demokratischen, verantwortungsbewußten
Journalistinnen und Journalisten in den
großen Medienbetrieben wird es helfen, wenn
ausnahmsweise auch mal Druck von
unten kommt. Wenn Leser die Wahrheit einfordern.
Wenn sie unter Berufung auf die
Wahrheitspflicht der Medien Beschwerden beim Presserat
erheben - der allerdings
viel zu tun hätte, falls er sich mit all den
täglichen Kriegspropagandalügen einzeln
befassen müßte. Wenn die Chefredakteure
in öffentliche Diskussionen verwickelt
werden. Wenn wir Berichtigungen fordern. Wir müssen
ihnen die
verfassungsrechtliche Strafbarkeit der Vorbereitung
von Angriffskriegen vorhalten;
ohne publizistische Vorbereitung wäre kein
Angriffskrieg führbar. Vor allem aber
müssen wir uns mit denen auseinandersetzen,
die systematisch die Öffentlichkeit
irregeführt haben: den Regierenden, die verpflichtet
sind, die Öffentlichkeit
wahrheitsgemäß zu informieren, aber das
Gegenteil getan haben.
Das Gespräch führte Wera Richter/Foto: Gabriele Senft
(Aus der Wochenend-Beilage)